Vergessen Sie einmal für einen Augenblick Klaus Wowereits – wenn Sie es noch nicht gemerkt haben: es ist der regierende Bürgermeister von Berlin – Flughafenpleite; dies ist nicht zuletzt auch in Wowereits Interesse, der als Aufsichtsratsvorsitzender zwar verantwortlich für die Flughafenmisere ist, dies aber als Politprofi gekonnt zu kaschieren und auf andere abzuschieben versucht. Nun werden Sie vielleicht lakonisch denken: Was will man von einem Bürgermeister ohne Wählermandat auch schon erwarten, hat er doch seinen Wahlkreis im vergangenen Jahr gegen einen bis dahin unbekannten CDU-Politiker verloren. Soviel Apathie aber lasse ich Ihnen nicht durchgehen! Doch zur Sache.
Jeden Morgen und jeden Nachmittag laufe ich mit meiner Labrador-Hündin die Spree hinauf und hinunter. Am frühen Morgen ruht der Fluss noch still vor sich hin; ich sage den Reihern guten Morgen, die das Ufer säumen; ab und an läuft uns ein Fuchs über den Weg; zahllose Kaninchen stehen uns Spalier. Eine Idylle. Nicht so am Nachmittag. Da sind Reiher, Fuchs und Kaninchen längst in die Flucht geschlagen; vielleicht spüren sie sie, anders als wir: die Umweltverschmutzung, die sich alltäglich über der Spree ausbreitet. Denn anders als diese Tiergattungen, setzt sich unsere eigene Spezie ganz unbescholten, arglos und naiv eben jenen krebsgefährlichen Ausdünstungen der Spreeschiffahrt aus, um die es im folgenden gehen soll; Berliner und Besucher, Anwohner und Touristen sitzen und flanieren am Ufer der Spree, ahnungslos. Dabei liegt ein schwerer Dieselgeruch in der Luft, insbesondere dort, wo die Schiffe ein Wendemanöver hinlegen und kehrt machen. Doch schauen sie selbst; es sind nur zwei Minuten und acht Sekunden; bedenken Sie aber, rund 100 dieser Dreckschleudern fahren täglich mehrere Stunden die Spree hinauf und wieder hinunter:
Ein Einzelfall, meinen Sie? Hier noch ein “Einzelfall”:
“Dieselabgase sind gefährlich – das ist seit Jahren bekannt. Doch die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt nun, dass die Abgase von Dieselmotoren nicht nur ´potenziell krebserregend´ seien, wie es seit 1988 hieß. Die WHO stuft sie nun als ´für Menschen krebserregend´ ein. Damit gehören sie in die Gruppe 1 der Gefahrenstoffe.” Diese Meldung, hier der Süddeutschen Zeitung entnommen, stammt aus dem Juni 2012. Überschrift: “Dieselabgase sind krebserregend.”
Hätte sich der Berliner Bürgermeister aber nicht schon längst aufgrund der buchstäblich offensichtlichen Abgase (der Gestank lässt sich ja leider nicht filmen) Gedanken machen müssen, wie eine Energiewende auf der Spree möglich und durchzusetzen wäre? Natürlich nicht nur der Bürgermeister allein, der Berliner Senat, Regierung und Opposition, vielleicht sogar die kurzzeitig als Bürgermeisterkandidatin kandidierende und quakende, als diese gescheiterte und jetzt umweltvollmundig als Spitzenkandidatin ins Rennen um die Bundestagswahl 2013 angetretene Renate Künast.
Doch Gemach, Gemach ist die Devise – und irgendwie geht es ja auch um Devisen! Gerade einmal dreißig der rund 100 Spreeungeheuer sollen in den kommenen Jahren Dieselrußfilter erhalten. Dabei weiß es zum Beispiel Daniel Buchholz, umweltpolitischer Sprecher der SPD, ganz genau:
“Ein Spaziergang an Spree und Havel wäre noch erholsamer, wenn man nicht regelmäßig durch die Dieselrußschwaden der Passagierschiffe laufen müsste´, sagt der umweltpolitische Sprecher der SPD, Daniel Buchholz. ´Das verschlägt einem fast den Atem und ist erwiesenermaßen ungesund”, ist in der Berliner Morgenpost vom 9. Juli zu lesen. Hallo, wie lange regiert die SPD jetzt in Berlin?
Da trifft es sich doch gut, dass man sich aus der Verantwortung stehlen kann; noch einmal Daniel Buchholz:
“Leider können wir aber für die Berliner Wasserstraßen keine vergleichbaren Regelungen (wie bei der Umweltzone für Autos, T.H.) treffen, da entsprechende Vorgaben nicht auf der Landesebene möglich sind”, sagt Buchholz. Denn die Schiffe fahren auf Bundeswasserstraßen, die sogar unter EU-Recht fallen. Eine entsprechende rechtliche Vorschrift müsste daher aus Brüssel kommen.”
Hat der Berliner Senat aber je in Brüssel dafür Druck gemacht, seine Bürgerinnen und Bürger vor diesem krebserregenden Smog zu schützen?
Was tut er stattdessen? Er setzt auf Freiwilligkeit. Gerade mal drei (!) Schiffe wurden so in den letzten drei Jahren mit Rußfiltern ausgerüstet! Der Rest ist schnell erzählt, wir kennen ihn aus anderen Politikbereichen zur Genüge: Es ist zu teuer, die Unternehmen, in diesem Fall die Reedereien, fürchten um ihre Rentabilität usw.
Es gibt zumindest auch ein Solarschiff, das die Spree befährt. Man bemerkt es kaum, wenn man nicht gerade hinschaut; denn es säuselt leise vor sich hin; fast geräuschlos und ohne Rauchschwaden befördert es seine Gäste. Was könnte einem dazu nun einfallen? Vielleicht, dass wir eine Solarindustrie haben, die um ihre Existenz kämpft. Warum also nicht beim Bund darauf drängen in einem großen Rundumschlag alle Spreeschiffe auf Solar umzurüsten (die antiken Museumsschiffe, die vereinzelt die Spree befahren, können Ausnahmegenehmigungen erhalten). Die Schiffe, bei denen sich das nicht lohnt oder aus technischen Gründen nicht möglich ist, werden durch neue Solarschiffe ersetzt.
Ein teures Programm? Es würde für Beschäftigung sorgen, die Krebskliniken der Charité und andere Krankenhäuser wären zukünftig vielleicht weniger ausgelastet (auch ein Rentabilitätsproblem?!); so gerechnet sicherlich eine gewinnbringende Idee. Senat, Bund und Reedereien, und natürlich die zuständigen Behörden in Brüssel, müssten nur schleunigst an einen Tisch gebracht werden.
Und weil Freiwilligkeit viel zu langsam Ergebnisse produziert, weil nun einmal die die Reedereien treibende Gewinnmaximierung selbst ein Zwang ist, müsste von vornherein deutlich gemacht werden, dass ein Gesetz die Energiewende auf der Spree erzwingen wird. So etwas lässt sich auch über den Markt lösen, zum Beispiel, in enger Anlehnung an Vorschläge des Ökonomen Stephan Schulmeister, indem per Gesetz festgelegt wird, dass ab einem nahegelegenen Zeitpunkt keine Fahrgastschiffe Berliner Reedereien mit Diesel mehr die Spree befahren dürfen; auf diesen Zeitpunkt hin werden schon einmal Preis- oder Abgabensteigerungen festgelegt, die den Unternehmen Planungssicherheit geben und die Investitionen erleichtern.
Welche Partei im Berliner Senat diesen Vorschlag wohl als erstes aufgreift – die Piraten vielleicht; vom Seeräuber zum Spreeräuber, im Namen der Umwelt und des Gesundheitsschutzes? Oder bildet doch einmal die Sozialdemokratie die umwelt- und gesundheitspolitische Vorhut? Es gilt für die Energiewende das, was für jede erfolgreiche, den Menschen dienende Politik gilt: Am Anfang steht der Mut und der Geist, Alternativen zu denken – und sich nicht hinter bestehenden Zuständigkeiten anderer zu verstecken und die Hände in den Schoß zu legen.
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