Aktuelle Nachrichten und Hintergrund auf Wirtschaft und Gesellschaft: Urwahl von Spitzenkandidaten bei Grünen – warum nicht bei Kanzlerkandidatur der SPD?

Sonntag, 02. September 2012 10:00 Uhr

“Kleiner Grünen-Parteitag entscheidet heute über Urwahl der Spitzenkandidaten

Die Grünen entscheiden heute darüber, mit welchem Verfahren sie die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl aufstellen sollen. Auf einem Kleinen Parteitag in Berlin soll über einen Antrag des Vorstands abgestimmt werden, der eine Urwahl unter den knapp 60.000 Mitgliedern vorschlägt. Gewählt werden soll dabei ein Duo mit mindestens einer Frau. Dafür haben die Fraktionsvorsitzenden Künast und Trittin, Parteichefin Roth und Bundestags-Vizepräsidentin Göring-Eckardt sowie zwei Kommunalpolitiker ihre Bewerbung angekündigt. Bis zum 9. November sollen die beiden Spitzenkandidaten der Grünen feststehen. Es wäre das erste Mal, dass eine Partei in Deutschland die personelle Aufstellung von ihren Mitgliedern und nicht von einem Parteitag entscheiden lässt.”

So heute früh der Deutschlandfunk.

Warum gibt es eigentlich nicht einmal aus der Partei-Linken innerhalb der SPD den Vorschlag, in einer Urwahl über den Kanzlerkandidaten der SPD abstimmen zu lassen? Sollte mir da etwas Öffentlichkeitswirksames in dieser Hinsicht entgangen sein, bitte ich um Einspruch.

Dass die beiden großen Wahlverlierer und jetzigen Kanzlerkandidaten sich schon einmal präventiv und durchaus öffentlichkeitswirksam gegen eine Urwahl aussprechen, wie Peer Steinbrück im August und Frank Steinmeier heute, liegt auf der Hand und sagt einiges über ihr Verständnis und ihr Vertrauen in bzw. Misstrauen gegen ihre eigene Partei aus, wie auch über ihr Demokratieverständnis im Allgemeinen.

Steinbrücks “Argument”: “Keiner der drei Kandidaten wird gegen den anderen kandidieren”. Damit spricht er – sicherlich ungewollt – einen richtigen Kern an, den die SPD-”Troika” beinhaltet: Alle drei Kandidaten unterscheiden sich inhaltlich im Ansatz nicht: Sie alle sind Vertreter der Agenda 2010 und verteidigen sie bis heute, sieht man von dem ein oder anderen, der Tagespolitik und der Stimmung in der Partei und Bevölkerung geschuldeten politischen Feigenblatt einmal ab. Mit anderen Worten: Selbst wenn sich diese drei der Parteibasis zur Wahl stellen würden, wäre es eben doch keine Wahl.

Steinmeiers “Argument”: “Ich denke wir schaffen das ohne Urwahl”. Na klar! Sie haben ja die ganze Agenda-Politik entwickelt und durchgesetzt, ohne die Basis zu fragen oder auch nur einmal in sie hineinzuhören. Und das Wahlergebnis 2009, die 23-Prozent-Niederlage Steinmeiers? Her mit dem Fraktionsvorsitz! Wozu also jetzt eine Urwahl? Aus Steinmeiers autistischer Sicht ist seine Haltung völlig konsequent.

Gabriel wird sich bisher noch nicht entsprechend wie Steinmeier und Steinbrück geäußert haben, weil der SPD-Parteichef bei einer solchen Urwahl wohl noch die besten Karten hätte; scheint er doch trotz seines inhaltlichen Vakuums besser bei der Basis anzukommen als die anderen zwei; vielleicht, weil er verbal so plakativ mal auf die Banker, mal auf die Schweiz und mal auf den “Neoliberalismus” eindrischt, und die Basis, entmündigt, wie sie es nun einmal spätestens nach 1998 ist, jeden Strohhalm aufgreift, der wieder etwas mehr Sozialdemokratie verspricht – was freilich absolut blauäugig ist.

Nein, eine Urwahl, soll sie keine Farce sein, würde gleichzeitig bedeuten: eine Kanzlerkandidatin, ein Kanzlerkandidat aus der SPD-Linken müsste her und gegen diese Agenda-2010-Schwerenöter antreten. Sie oder er könnte dann in der Tat eine sozialdemokratische Kehrwende einläuten. Und das fürchten Gabriel, Steinmeier und Steinbrück wie der Teufel das Weihwasser. Für eine sozialdemokratische Partei sollte solch eine Urwahl dennoch bzw. gerade eine Selbstverständlichkeit sein.

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