Lesen Sie ruhig weiter, auch wenn die folgende Nachricht von gestern (durchaus auch im übertragenen Sinne) ist, denn das Thema geht nicht nur uns alle an und bleibt uns, wie es aussieht, noch lange erhalten – länger vielleicht, hoffentlich, als Ursula von der Leyen ihr Amt als Arbeits- und Sozialministerin.
Wobei mir just einfällt, dass, so wie von der Leyen ihr Amt als Bundesministerin für Arbeit und Soziales ausfüllt bzw. nicht ausfüllt, wir ihr doch unbedingt eine(n) Arbeitslosen- und Rentenminister/in an die Seite stellen sollten, eine Person, die sich wirklich der Sorgen und Nöte der Arbeitslosen und Rentner annimmt.
Aber kehren wir, auch wenn es schwer fällt und jeden sozial denkenden und mitfühlenden Menschen depressiv macht, zurück zur harten Wirklichkeit. Da meldet der Deutschlandfunk gestern doch glatt in seinen 13 Uhr Nachrichten:
“Bundeskanzlerin Merkel unterstützt von der Leyens Kampf gegen Altersarmut
Bundeskanzlerin Merkel unterstützt Arbeitsministerin von der Leyen im Kampf gegen die Altersarmut. Es sei richtig, dass die Ministerin den Blick auf dieses Problem werfe, sagte Regierungssprecher Seibert in Berlin. Nun müsse darüber nachgedacht werden, ob eine Zuschussrente nach der Vorstellung von der Leyens die geeignete Antwort darauf sei. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Vogel, äußerte sich kritisch zu den Plänen der Arbeitsministerin. Vogel sagte im Deutschlandfunk, wenn eine Zuschussrente komme, müsse sie fair finanziert sein. Dies könne nicht über die Rentenbeiträge geschehen, sondern allenfalls über Steuern. In einem solchen Fall müssten die Gelder an anderer Stelle im Haushalt eingespart werden.”
Das ist wie gesagt eine Nachricht, kein Kommentar aus der, nennen wir sie ruhig so, marktradikalen Wirtschaftsredaktion des Deutschlandfunks.
Der uninformierte Zuhörer, der ja gerade durch die Nachrichten informiert werden soll, muss da doch tatsächlich denken, dass von der Leyen und Merkel nicht selbst mit für die Altersarmut verantwortlich zeichnen; ich sehe sie ja selbst schon vor mir, die beiden, mit der Altersarmut ringend.
Die Verantwortung von der Leyens und Merkels: Vorkämpfer für Rentenarmut
Von der Leyen war jedoch von 2003 bis 2005 Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit des Landes Niedersachsen und von 2005 bis 2009 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Schon in dieser Zeit dürfte sie im Bundesrat und später dann im Bundestag nicht nur brav, sondern überzeugt für alle Einschnitte ins Rentensystem gestimmt haben. In diesen Zeitraum fallen beispielsweise, um nur einige aus den umfangreichen Renten”reformen” herauszugreifen:
- Die Aussetzung der Rentenanpassung zum 01. Juli
2004 (Nullrunde) - Der Auszahlungszeitpunkt der Rente wird für
Neurenten (ab April 2004) auf das Monatsende
(bisher Monatsanfang) verschoben - 2005 Die bisherige
“Niveausicherungsklausel” des § 154 Abs. 3 SGB
VI für das (Netto-) Standardrentenniveau (67%
nach “Riester”-Rechnung) wird gestrichen. Als
Mindestsicherungsziel wird ein Nettorentenniveau
vor Steuern in Höhe von 46% (bis 2020) bzw.
43% (bis 2030) festgelegt. - 2005 Einführung einer Berichtspflicht der Bundesregierung
für das Jahr 2008 darüber, ob die nach heutiger
Einschätzung für das Jahr 2035 erforderliche
Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre
Bestand hat, auch um das neue Mindestsicherungsziel
sicherzustellen. Die Berichtspflicht erstreckt
sich auch auf Vorschläge darüber, durch
welche sonstigen Maßnahmen das Sicherungsziel
von 46% über das Jahr 2020 hinaus (unter Wahrung
der Beitragssatzstabilität) - 2005 Ab 2006 wird die Altersgrenze für die frühestmögliche
Inanspruchnahme einer Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit
in monatlichen Stufen um je einen Monat vom
vollendeten 60. auf das vollendete 63. Lj. angehoben
(betroffen sind Geburtsjahrgänge ab
1946). - 2005 Alterseinkünftegesetz (AltEinkG)
- Steuerfreie Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge,
die auf einen Grundlohn von mehr als 25 Euro
die Stunde berechnet werden, sind nicht mehr
sozialversicherungsfrei. - 2007 Alg II-Empfänger sind dann nicht rentenversicherungspflichtig,
wenn sie neben dem Bezug von
Alg II versicherungspflichtig beschäftigt oder versicherungspflichtig
selbständig tätig sind oder Alg
beziehen.
Bemessungsgrundlage für die RV-Beiträge von
Alg II-Empfängern sind monatlich 205 € (bisher:
400 €). - 2008 ff Die Regelaltersgrenze wird in Jahrgangsstufen
beginnend ab 2012 bis zum Jahre 2029 auf 67
Jahre (bisher: 65 Jahre) angehoben. - 2011 Der Bezug von Alg II begründet alleine keine
Versicherungspflicht mehr in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Eine detaillierte Übersicht über die Renten”reformen” seit 1978 finden Sie in der Chronik von Johannes Steffen, Arbeitnehmerkammer Bremen.
Was die Ministerin jetzt vorschlägt, geht in Richtung weitere Privatisierung des Rentensystems und führt damit auf direktem Weg in höhere Altersarmut, weil die zukünftig von Altersarmut Betroffenen sich heute schon keine private Vorsorge zusätzlich leisten können – abgesehen davon, dass diese den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie die gesetzliche Rentenversicherung unterliegt, nämlich umlagefinanziert ist, und diese das gesetzliche Rentensystem weiter unterminiert, indem es ihm Mittel entzieht.
Von der Leyen steht also nicht nur mit in der politischen Verantwortung für Altersarmut, ihr jetziges “Rentenreformpaket” dürfte alles nur noch schlimmer machen.
Belastung oder wertvoller Beitrag
Das alles mit der Stabilisierung der Beitragssätze rechtfertigen zu wollen, erscheint vor dem Hintergrund der langfristigen Entwicklung der Beitragssätze in der Rentenversicherung wie auch in der Sozialversicherung insgesamt nicht stichhaltig. Die Beitragssatzentwicklung in den Sozialversicherungen erscheint in der längeren Frist doch recht stabil. Dass sie dem einzelnen Arbeitnehmer als Belastung verkauft wird und nicht vielmehr als wertvoller Beitrag für einen intakten Sozialstaat ist Teil des politischen Problems und der politischen Kultur(losigkeit).
Mehr Brutto für mehr Netto
Eine Gegenüberstellung der Entwicklung der Sozialbeiträge mit der Entwicklung der Bruttolöhne- und Gehälter zeigt allerdings, dass seit 1991 die Lohnentwicklung fast durchgängig unter der der Sozialbeiträge liegt. Eine “Entlastung” der Arbeitnehmer würde folglich in höheren Lohn- und Gehaltsabschlüssen liegen. Das legt auch die allgemein schwache Lohnentwicklung im Verhältnis zur Entwicklung der Produktivität und der Preise nahe. Dass aber ist nicht die Politik der Bundesregierung – und es war auch nicht die Politik der rot-grünen und schwarz-roten Vorgängerregierungen.
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