Alltag im Regierungsviertel: “Zukunftskongress Deutschland 2020″? Nein Danke!

Donnerstag Abend. Böse Buben Bar. Ich kehre auf meinem allabendlichen Streifzug durch das Regierungsviertel mit meiner alten Labrador-Hündin Queeny dort ein. Es ist schon spät. Die meisten Gäste sind bereits gegangen. Nur noch zwei sitzen am Tresen. Am Ende des Raumes entdecke ich zwei Nachbarn aus der Marienstraße und setze mich zu ihnen. Wir sind die letzten Gäste. Schnell kommt eine angeregte Unterhaltung in Gang. Da fällt mein Blick auf den Nachbartisch.

Die Gäste müssen bereits aufgebrochen sein, der Tisch ist aber noch nicht abgeräumt. Neben einer leeren Flasche Bier, einem leeren Pitcher – einer Glaskanne für eineinhalb Liter Bier -, einer abgebrandten Kerze und einem vollen Aschenbecher, in dem noch eine zurückgelassene Zigarette glimmt, sehe ich zwei Papiere liegen. Ein trauriges Stilleben eigentlich, kommt es mir so im Halbdunkeln in den Sinn. Dann aber denke ich: Vielleicht wichtige Dokumente, die die Gäste haben liegen lassen. Ich greife nach ihnen. “Zukunftskongress Deutschland 2020″ lese ich und werde schnell gewahr, dass es sich um zwei identische Einladungskarten der SPD-Bundestagsfraktion handelt.

“Guckt mal”, sage ich zu meinen Tischgenossen, von denen einer sogar ein SPD-Parteimitglied ist, ein echter Genosse also, “die SPD kümmert sich wieder einmal um die Zukunft.” Heiteres Lachen, schallt mir daraufhin entgegen. Offensichtlich kommt es allen am Tisch aberwitzig vor, dass sich die SPD wieder einmal um die ferne Zukunft sorgt, anstatt sich einmal der Gegenwart anzunehmen. “So etwas hat es glaube ich zuletzt in der Sowjetunion der 20er Jahre gegeben”, wirft einer ein, “die Menschen immer auf eine bessere Zukunft zu vertrösten.”

“Zeig mal her”, sagt daraufhin der echte Genosse, nimmt sich eine der Karten und klappt sie auf. Ich tue es ihm nach und beginne zu lesen. Ich habe gerade die einleitenden Sätze überflogen, die mit Dr. Frank-Walter Steinmeier, MdB unterschrieben sind, und bin bei Samstag, 15. September 2012 angelangt, da höre ich den Genossen just an eben dieser Stelle vorlesen: “9.45 Uhr ´Deutschland morgen´, Rede Frank-Walter Steinmeier. 10.30 Uhr Panel I ´Ein gerechtes und lebenswertes Land´…”

“Das klingt in der Tat ein bisschen nach alte Sowjetunion”, werfe ich ein. “Aber Frank Steinmeier ist nun wirklich jedes Sozialismus unverdächtig”, entgegnet ein anderer, “an sich ist er nicht mal der Sozialdemokratie verdächtig. Hat er sie nicht in ihren Grundfesten erschüttert?” “Und so soll, wenn es nach denen geht, die sozialdemokratische Zukunft aussehen”, fährt der Genosse unbeirrt fort, “13.00 Uhr Rede Peer Steinbrück…16.30 Uhr Rede Sigmar Gabriel”, endet er schließlich.

“Na, kein Wunder, dass die Sozialdemokraten am Nachbartisch die Einladungen haben liegen lassen”, gibt jetzt ein anderer Tischnachbar von sich. Ich schaue ihn an, und sehe in ein verächtliches Grinsen, das dabei ist, sein ganzes Gesicht einzunehmen. “Wie kann man nur nach dieser politischen Vergewaltigung, ich meine die Agenda 2010, jetzt auch noch auf 2020 verfallen”, stöhnt der Genosse. “Tja”, sage ich in die Runde, “ich glaube, dem habe ich nichts hinzuzufügen.”

Wir legen die Karten wieder auf den Nachbartisch, der wenig später abgeräumt wird, und wenden uns wieder unserer Unterhaltung zu. Schließlich hatten wir gerade ernsthaft über Politik diskutiert, da wollte der “Zukunftskongress” der SPD nicht so recht reinpassen. Als ich mich noch einmal durch die freundliche Bedienung, die den Nachbartisch abräumt, ablenken lasse, sehe ich noch, wie sie einen kurzen Blick auf die beiden Einladungskarten wirft, sie dann achtlos zusammenknüllt, im vollen Aschenbecher beerdigt und alles zusammen davon trägt.

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