Analyse der UNCTAD widerspricht der der WTO fundamental
UNCTAD Trade and Development Report 2012

Wirtschaft und Gesellschaft hat am 21. September die am selben Tag herausgegebene Pressemitteilung der Welthandelsorganisation (WTO) zum Welthandelswachstum aufgegriffen. In dem Beitrag wurde insbesondere kritisiert, dass die WTO die Eurokrise als Staatsschuldenkrise begreift, die zugrundeliegenden Handels- und Leistungsbilanzungleichgewichte aber nicht adressiert. Als Welthandelsorganisation fundamentale Fehlentwicklungen im Welthandel komplett auszublenden ist, abgesehen von den daraus hervorgehenden Fehldiagnosen, schon ein besonderer Vorgang.

Da ist es interessant, dass die UN Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in ihrem bereits am 12. September erschienenen Handels- und Entwicklungsbericht 2012 (Trade and Development Report 2012), der der Redaktion jetzt vorliegt, dem Ansatz der WTO grundsätzlich widerspricht. Anders als die Meldung der WTO hat der Jahresbericht der UNCTAD jedoch in der deutschen Presse praktisch keinen Widerhall gefunden. Das zeigt zumindest eine google-News-Suche; die englischsprachigen Medien hingegen haben den Bericht breit rezipiert. Das passt ins Bild der ebenfalls vom Verständis einer Staatsschuldenkrise beherrschten deutschen Leitmedien. Ein Grund mehr, den Trade and Development Report an dieser Stelle aufzugreifen. Mehr als ein kurzer Problemaufriss und eine Übersicht über den Report kann in diesem Rahmen jedoch zunächst nicht geleistet werden. Die Analysen der UNCTAD erscheinen jedoch schon nach kurzer Einsicht in den Report so bedeutsam gerade auch für die deutsche und europäische Wirtschaftsentwicklung und Politik, dass evtl. Berichte zu einzelnen Kapiteln folgen.

Die UNCTAD darf sich jedenfalls durch die Meldung der WTO bestätigt fühlen, die von einer “European Sovereign Debt Crisis”, von einer europäischen Staatsschuldenkrise, spricht und die Ausgabenkürzungen insbesondere in den südeuropäischen Ländern der Eurozone, fiscal adjustments, zwar als schmerzhaft aber notwendig bewertet. Ebene jenen Ansatz kritisiert die UNCTAD bereits einleitend grundsätzlich:

“The crisis in Europe is being widely referred to as a ´sovereign debt crisis´, as public finances have deteriorated markedly since the start of the global financial crisis and interest rates have soared in a number of
countries. However, the situation with public finances is less dramatic in most countries in the euro zone than in other developed economies such as Japan, the United Kingdom and the United States, which have nevertheless seen their bond yields fall to historical lows. Overall, in developed countries the worsening of public finances is primarily due to the working of automatic stabilizers and to the bailouts of financial institutions after the shock of late 2008, though the latter were entirely justified by the gravity of the situation. Since 2010, however, calls for an ´exit strategy´ from fiscal stimulus and for quick fiscal consolidation have gained the upper hand. As a result, fiscal austerity has become the ´golden rule´ throughout the euro zone, entailing especially draconian fiscal retrenchment in the Southern European member States. Such a measure may prove to be not just counterproductive, but even lethal for the euro and dire for the rest of the world as well.

Rising fiscal deficits in Europe are but symptoms – not the root cause – of the euro-zone crisis. Underpinning the huge divergence of long-term interest rates in the Economic and Monetary Union (EMU) are the wide wage and price differentials and the related build-up of large regional trade imbalances among the members. These imbalances started to build up at the very juncture when the most important instrument to deal with such imbalances – namely changes in the exchange rate – was no longer available. With fiscal policy ideologically blocked in many key countries and the existing monetary policy toolkit clearly inadequate, unconventional policy instruments are now needed.”

In der deutschen Pressemitteilung der UNCTAD heißt es hierzu zusammenfassend:

“Nach Auffassung der UNCTAD-Ökonomen liegt der Sparpolitik der Regierungen eine Fehlinterpretation der Ursachen der Krise zugrunde: die zunehmenden Defizite in den Staatshaushalten sind nicht Ursache, sondern Folge der Krise. Im Bemühen um eine Reduzierung der Staatsdefizite werden die negativen makroökonomischen Auswirkungen nachfragebremsender Maßnahmen gerade in einer wirtschaftlichen
Schwächephase oder gar Rezession übersehen, so der TDR. Bei stockendem Wachstum werden auch die Hoffnung auf steigende Steuereinnahmen und eine damit verbundene Konsolidierung der Staatshaushalte enttäuscht.”

Einen wesentlichen Grund für die Schwächung der Wachstumsdynamik in den Industrieländern sieht der Bericht der UNCTAD “im Druck auf die Löhne, der die Arbeitslosigkeit tendenziell weiter erhöht anstatt die Investitionen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze anzuregen. Parallele Lohnsenkungen in mehreren eng miteinander verflochtenen Ländern sind kontraproduktiv: sie können die internationale Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder nicht verbessern, schwächen aber überall die Binnennachfrage.”

Auf Basis dieser Problemstellung untersucht der Bericht der UNCTAD ausführlich theoretisch und empirisch die Entwicklung der Einkommensungleichheit seit den 1980er Jahren und damit in Beziehung stehende Ungleichheiten wie beispielsweise eine ungleiche Vermögensverteilung und ungleiche Bildungschancen. Ein anderes Kapitel untersucht die Auswirkungen des weltweiten Handels und technologischen Wandels auf die Einkommensverteilung. Realwirtschaftliche und finanzwirtschaftlichen Zusammenhänge werden erörtert. Weiter wird der Einfluss der Fiskalpolitik auf die Einkommensverteilung analysiert.

Auf Grundlage dieser breiten und vertieften Untersuchung entwickelt der UNCTAD-Bericht schließlich Empfehlungen an die Politik und greift dabei auch auf die “Ökonomie und Politik der Ungleichheit” zurück, die die Entwicklung der zurückliegenden Jahre in vielen Ländern, besonders auch in Deutschland, gekennzeichnet hat.

Der Trade and Development Report 2012 kann zum Preis von € 44,58 bezogen werden vom UNO-Verlag, Bonn (http://uno.wbv.de/publikationenshop.html).

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