Über die Einkommens- und Vermögenskonzentration, die der Entwurf des Armutsberichts – genauer: “Lebenslagen in Deutschland – Entwurf des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung” – ausweist, wird in den Medien bereits rege berichtet. Auch die ersten Reaktionen aus der Politik sind so bereits vor dem offiziellen Erscheinen des Armutsberichts erfolgt. Er soll erst am 14. November verabschiedet werden. Größere Korrekturen sind – der Entwurf liegt der Redaktion von Wirtschaft und Gesellschaft vor – jedoch nicht zu erwarten.
Ein Punkt, über den noch nicht berichtet wurde, ist dieser: Das Interesse an Politik hat in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen. Das erschließt sich dem Leser allerdings erst durch einen Blick in den Anhang des 487 Seiten zählenden Berichts.
Die Bundesregierung thematisiert diesen Befund nicht, sondern beschränkt sich unter der Überschrift “Interesse an Politik” auf das Jahr 2009 und differenziert nach Altersklassen, Erwerbstätigen und nicht Erwerbstätigen. Mit 40,4 Prozent ist die älteste Altersgruppe, 55 bis 64 Jahre, am stärksten an Politik interessiert. Das Interesse lässt dann in den jüngeren Altersgruppen deutlich nach (45 bis 54 Jahre: 31,7 %; 30 bis 44 Jahre: 27,8 %). Die Altersgruppe unter 30 wird in diesem Kapitel nicht abgebildet.
Während Erwerbstätige bis zu einer Quote von 46 Prozent an Politik interessiert sind, sind Arbeitslose nur mit 17,9 Prozent an Politik interessiert. Die Bundesregierung hält darüber hinaus fest: “Eine Auswertung nach der Einkommensverteilung ergibt, dass das politische Interesse mit steigendem Einkommen zunimmt.”
Vor diesem Hintergrund ist nun das über die vergangenen Jahre gewachsene Desinteresse an Politik interessant, dass die Bundesregierung allerdings ausblendet. Es geht jedoch aus einer Tabelle im Anhang des Berichts hervor.
Die Einkommens- und Vermögenskonzentration, der deutliche Anstieg der Niedriglohnquote zwischen 2000 und 2007 und das ebenfalls deutliche gestiegene Armutsrisiko, das der Armutsbericht für diesen Zeitraum ausweist, und der von der Bundesregierung selbst anerkannte Sachverhalt, dass das politische Interesse mit steigendem Einkommen zunimmt bzw. mit sinkenden Einkommen und Arbeitslosigkeit deutlich abnimmt, zeigt, dass der gegenwärtige Zustand der Gesellschaft auch eine wesentliche Grundlage unserer Demokratie untergräbt. Interessant auch, dass das Interesse an Politik gerade in den Bundestagswahljahren 2005 und 2009 deutlich abgenommen hat.
Die von der Bundesregierung herangezogenen Zahlen vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) in Köln auf der Basis des Sozioökonomischen Panels des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigen entsprechend, dass die Politik noch deutlich weniger Interesse bei Menschen mit Migrationshintergrund, bei Menschen mit Armutsrisiko, bei Menschen mit sehr niedrigen Einkommen und auch bei Menschen mit niedriger Bildung wecken kann. So ist das Desinteresse an Politik bei Menschen mit Migrationshintergrund und bei Menschen mit Armutsrisiko doppelt so stark ausgeprägt wie bei Menschen ohne Migrationshintergrund und ohne Armutsrisiko. Der Unterschied zwischen Menschen mit niedriger Bildung und Menschen mit hoher Bildung ist noch ausgeprägter: Sind bei Menschen mit hoher Bildung nur 7 Prozent nicht an Politik interessiert, so sind es bei Menschen mit niedriger Bildung über 23 Prozent.
Es ist nicht erkennbar, dass sich die Politik dieser Herausforderung stellt.
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