Das IMK stellt Analyse zur Rente vor und empfiehlt Reformen – Hausaufgaben für die Politik

Frontalangriff auf Rentenkonzept der SPD und die “Zuschussrente” von von der Leyen

Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat heute auf der Bundespressekonferenz eine neue Analyse zur Rente vorgestellt. Das IMK fordert eine “deutliche Anhebung des gesetzlichen Rentenniveaus” und eine “steuerfinanzierte Aufstockung gegen Altersarmut”. Die Einführung der Riester Rente, so das IMK weiter, war eine “Fehlentscheidung”. Damit sind Studie und Empfehlungen an die Politik des IMK auch ein Frontalangriff gegen das von SPD-Chef Sigmar Gabriel erst vor wenigen Tagen präsentierte Rentenkonzept und die Zuschussrente von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen.

Endlich: Ein internationaler Vergleich der Rentenniveaus

Die Entwicklung des Rentenniveaus ist eine zentrale Bestimmungsgröße für die Alterssicherung. Wirtschaft und Gesellschaft hat die inländische Entwicklung des Rentenniveaus bereits thematisiert, was Reaktionen hinsichtlich der Vergleichbarkeit hervorgerufen hat. Diesen Gegenstand werden wir kurzfristig weiter vertiefen.

Jetzt hat das IMK jedoch eine sehr verdienstvolle Ergänzung zur Einschätzung des deutschen Rentenniveaus vorgestellt: den internationalen Vergleich des deutschen Rentenniveaus mit dem des Durchschnitts der unter dem Dach der OECD versammelten Industrieländer.

Geringverdiener stehen in Deutschland am schlechtesten unter allen Industriestaaten da

Das Ergebnis dieses Vergleichs: Das deutsche Rentenniveau liegt “weit unter OECD-Durchschnitt”. So beträgt die so genannte Bruttoersatzrate, die von der OECD für internationale Vergleiche berechnet wird und alle im jeweiligen Land obligatorischen Rentenversicherungen umfasst, bei deutschen Durchschnittsverdienern aktuell lediglich 42 Prozent, im OECD-Durchschnitt gut 57 Prozent. Das Alterssicherungsniveau von Geringverdienern, die laut Definition nur die Hälfte des nationalen Durchschnittseinkommens verdienen, liegt in Deutschland so niedrig, dass Deutschland innerhalb der OECD-Staaten an letzter Stelle liegt.

Dieser internationale Vergleich ist auch insofern bedeutsam, weil die Rentenreformen hierzulande ja nicht nur mit einer veränderten Bevölkerungsentwicklung begründet wurden und werden, sondern auch mit zu hohen so genannten Lohnnebenkosten (Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber), die angeblich die deutsche Wettbewerbsfähigkeit beschädigen. Auch wenn jene Argumentation grundsätzlich falsch ist, weil die Lohnnebenkosten Bestandteil der für die Wettbewerbsfähigkeit entscheidenden Lohnstückkosten sind und eben jene in Deutschland aufgrund einer nicht produktivitätsorientierten Lohnpolitik über Jahre zu unfairen Wettbewerbsvorteilen gegenüber den Handelspartnern geführt haben, ist dieser internationale Vergleich der Renteniveaus wichtig für die politische Argumentation: Geht es doch auch darum, dem parteiübergreifenden, einstimmigen Chor einer Politik des “Gürtel enger schnallens” und den Behauptungen, wir würden “über unsere Verhältnisse leben” und könnten uns auch aufgrund immer mehr älterer und immer weniger jüngerer Menschen ein höheres Rentenniveau nicht länger leisten, zu begegnen. (Siehe dazu jetzt auch: Auch ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt: Deutschland kann und muss sich ein höheres Rentenniveau leisten).

Riesterrente ist gefloppt

Für die Riesterrente stellt das IMK fest, dass sich diese nicht nur wenige Menschen leisten können, sondern auch die Rendite dieser “kapitalgedeckten” Produkte “tendenziell geringer als die der umlagefinanzierten Rente” ist.

Wichtig hervorzuheben ist dabei, dass ohne die Riester-Reform die Beitragsbelastung für die Arbeitnehmer nur bei 13 Prozent läge, Arbeitnehmer aber durch die nicht paritätisch finanzierte Riesterrente längerfristig 15 Prozent ihres Bruttoeinkommens für die Altersvorsorge aufwenden müssen: 11 Prozent als hälftigen Beitragssatz für die Gesetzliche Rentenversicherung und vier Prozent für die private Vorsorge. “Ohne Riester-Reform wäre der GRV-Beitragssatz nach wissenschaftlichen Prognosen bis 2030 um rund 26 Prozent gestiegen. Die – hälftige -  Belastung für die Arbeitnehmer läge also bei nur 13 Prozent”, so das Institut.

Private Vorsorge schwächt Binnenkonjunktur

Wichtig auch der Hinweis des IMK, dass die privaten Sparanstrengungen im Rahmen der privaten Alterssicherung zu Lasten des privaten Konsums gehen, dies die Binnennachfrage schwächt und damit auch die Umsätze der Unternehmen, was aus Sicht des IMK ebenfalls “die Senkung der Lohnnebenkosten relativiert”.

Reformvorschläge des IMK – eine kritische Würdigung

“Sie können in der Rente keine Revolution ausrufen”, stellte Gustav Horn bei der Vorstellung der Studie in der Bundespressekonferenz nüchtern fest. Die Vorschläge des IMK zielen dann auch auf graduelle Veränderungen des bestehenden Systems. Im Vergleich mit den Rentenkonzepten der SPD – sowohl des Rentenkonzepts der Berliner SPD als auch des unter der Regie des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel entstandenen Rentenkonzepts aus dem Willy Brandt Haus – wie auch im Vergleich zu der von Ursula von der Leyen protegierten “Zuschussrente” muten die drei zentralen Forderungen des IMK jedoch geradezu revolutionär an:

Um das umlagefinanzierte gesetzliche Rentensystem zu stärken, schlagen die Wissenschaftler vor

  • die so genannte Riester-Treppe aus der Rentenformel zu entfernen, die den Anstieg der gesetzlichen Rente dämpft; diese Riester-Treppe unterstellt, dass alle eine Riesterrente abschließen und so das sinkende gesetzliche Rentenniveau kompensiert wird. Dass dies nicht der Fall ist und insbesondere für von Altersarmut bedrohte Geringverdiener nicht gilt, stört auch Gabriel nicht, denn sein Rentenkonzept der SPD arbeitet explizit mit dieser real nicht gegebenen Kompensation. Das unter anderem zeigt die (a)soziale Kaltschnäuzigkeit der SPD-Spitze.
  • statt der Förderung “kapitalgedeckter” Vorsorgeformen (das IMK hätte ruhig herausstellen sollen, dass nichts an dieser Vorsorgeform “kapital gedeckt” ist!) sollen wenn es nach dem IMK geht “gezielt die Renten von Geringverdienern und Personen mit unterbrochenen Erwerbsbiographien steuerfinanziert aufgestockt werden”; hierzu ist allerdings anzumerken, dass andere Länder wesentlich höhere Rentenniveaus (bis 90 % ihres früheren Einkommens) für Geringverdiener nur über das obligatorische Umlagesystem finanzieren – bei Deckelung der Renten nach oben. Interessant übrigens, dass andere Länder keine Bedürftigkeitsprüfung für Rentner kennen.
  • Mittelfristig fordern die Forscher, “das Niveau der GRV auf das durchschnittliche Rentenniveau in den OECD-Ländern anzuheben, das um 15 Prozentpunkte höher liegt als das deutsche.” Das würden heute durchschnittlich rund 400 Euro mehr monatlich für langjährig versicherte Männer bedeuten, wie das IMK ausgerechnet hat, statt 1.152 Euro 1585 Euro. Um dies zu finanzieren, schlägt das IMK eine “über viele Jahre verteilt in kleinen Schritten” erhöhte Beitragssätze vor. Berücksichtig man, dass innerhalb der 34 OECD-Staaten sehr unterschiedliche Einkommensniveaus herrschen (von Skandinavien bis Mexiko zum Beispiel), erscheint der Vorschlag des IMK, sich am Durchschnitt der OECD-Länder zu orientieren, nicht unbedingt sachgerecht. Auf meine Nachfrage konnten die Wissenschaftler zwar nicht entsprechende Vergleichszahlen für die skandinavischen Länder als Ländergruppe (ohne Norwegen, weil Ölexporteur) nennen, aber, während der OECD-Durchschnitt bei 57 % liegt, liegt der Schwedens bei 58, der der Niederlande bei 88 Prozent. Es erscheint mir daher sachgerechter, wenn man sich schon nicht am besten Land orientiert, so doch zumindest an einem Durchschnitt aus Ländern mit vergleichbaren Einkommensniveaus. (Siehe dazu jetzt: Auch ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt: Deutschland kann und muss sich ein höheres Rentenniveau leisten)
  • Schließlich schlägt das IMK vor, die Beitragsbemessungsgrenzen anzuheben, “wobei oberhalb der bisherigen Beitragsbemessungsgrenzen zusätzliche Rentenansprüche nur noch unterproportional erworben würden.” Außerdem soll die geltende Entgeltumwandlung in der betrieblichen Alterssicherung zwar weiterhin steuerfrei gehalten werden, zukünftig aber mit Sozialbeiträgen belegt werden. Nur so ließe sich vermeiden, “dass die Entgeltumwandlung den Rentenwert der GRV senke”, so das IMK. Gerade dem Vorschlag, die Beitragsbemessungsgrenzen anzuheben, ist in meinen Augen hohe Bedeutung beizumessen; Gustav Horn verwies in der Bundespressekonferenz darauf, dass in den vergangenen Jahren nicht nur die Ungleichverteilung zwischen Kapital und Arbeit zugenommen hätte, sondern auch die innerhalb von Löhnen und Gehältern. Von den gestiegenen Einkommen habe das Rentensystem aufgrund der Beitragsbemessungsgrenzen nicht profitiert, so Horn.

Insgesamt hat das IMK eine sehr hilfreiche Studie vorgelegt, von der man sich wünschen würde, dass sie die politische Diskussion belebt und insbesondere die Rentenkonzepte der Parteien in eine sozial ausgewogenere Richtung lenkt.

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