Es könnte sein, dass Deutschland sich bald wieder auf seine hausgemachten Probleme zurückgeworfen sieht

Ein erster Versuch einer Annäherung an das Problem

Was, wenn das Europäische Währungssystem tatsächlich kippt? Aufgrund der Unterbewertung, die sich für Waren und Dienstleistungen aus Deutschland im Vergleich zu seinen Handelspartnern über Jahre entwickelt hat und sich unter anderem in der Lohnstückkostenentwicklung wiederspiegelt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer kräftigen Aufwertung einer dann wieder deutschen Währung auszugehen.

Lohnstückkostenentwicklung in der Eurozone - Deutschland hat am stärksten real abgewertet (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Die damit verbundene Verteuerung deutscher Waren im Ausland würde den über Jahre durch eine niedrige Lohnentwicklung bzw. Lohnstückkostenentwicklung gewonnenen Wettbewerbsvorteil zunichte machen. Das heißt nicht, dass der deutsche Export vollständig zusammenbricht. Das Warenspektrum deutscher Exporte, dürfte sich, was Maschinen und andere Ausrüstungsgüter anbelangt, als relativ resistent gegen Preiserhöhungen erweisen, vor allem für aufholende Schwellenländer wie China. Den weitaus größten Teil seines Außenhandels wickelt Deutschland aber immer noch mit Industrieländern ab und immer noch gehen rund 60 Prozent der deutschen Exporte in die Eurozone. Für diese Handelspartner würden sich die deutschen Waren und Dienstleistungen mit einem Schlag um vielleicht dreißig bis vierzig Prozent verteuern. Um diesen ungefähren Wert hat Deutschland innerhalb der Eurozone real abgewertet.

Die deutliche Unterbewertung Deutschlands und sein hohes Gewicht als größte Volkswirtschaft in Europa dürfte es auch für andere Länder unattraktiv machen, im Falle eines Auseinanderbrechens der Währungsunion mit Deutschland zusammen zu gehen. Würden Länder wie Finnland, Belgien und die Niederlande bspw. doch bei einem Zusammengehen mit Deutschland entsprechend aufwerten, weil ihr Gewicht viel zu gering ist, um auf den Außenwert einer gemeinsamen Währung Einfluss zu nehmen. Diese Länder allein aber hätten dies nicht zu befürchten, weil sie sich weitgehend, wie Frankreich, an das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank gehalten haben.

Frankreich wäre aus einem weiteren Grund nicht so betroffen, wie Deutschland: Seine Exportabhängigkeit ist nicht so hoch; eine über Jahre eingehaltene Produktivitäts- und Inflationsziel-orientierte Lohnpolitik gewährleistet eine wesentlich robustere Binnenwirtschaft als dies für Deutschland gilt, das sich ja eben nicht daran gehalten hat, den durch Produktivitätsgewinnen und Preissteigerungen vorgegebenen kosten- und verteilungsneutralen Spielraum an die Arbeitnehmer weiterzugeben. Ein internationaler Vergleich der Exportquoten – des Anteils der Exporte am Bruttoinlandsprodukt – zeigt, dass bei den herangezogenen Ländern die Exporte nur in Deutschland “durch die Decke” gehen.

Exportquoten verschiedener Industriestaaten - nur die deutschen Exporte gehen weiter "durch die Decke" (Zur Vergrößerung auf die Graphik klicken.)

Bis auf Spanien und die USA haben außerdem alle hier herangezogenen Länder gemessen am Bruttoinlandsprodukt ein höheres Niveau der Staatsausgaben. Staatsausgaben wirken – neben einer angemessenen Lohnentwicklung – stabilisierend auf die private Wirtschaft und die Volkswirtschaft insgesamt.

Staatsausgabenquoten verschiedener Industriestaaten (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Würde Deutschland also mit dem Auseinanderbrechen der Währungsunion auf seine unverhältnismäßig niedrige Lohnentwicklung, seine hohe Exportabhängigkeit und einen zurückgedrängten Sozialstaat zurückgeworfen, könnte wohl nur noch eines helfen: diese drei Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Weil die Aufwertung bei einem unkontrollierten Auseinanderbrechen schockartig erfolgen würde, müsste die Politik sehr kurzfristig agieren, um die durch den Exporteinbruch hervorgerufenen ökonomischen und sozialen Verwerfungen versuchen aufzufangen.

Einen groben Hinweis auf die Dimension, die dieses Unterfangen mit sich brächte, können evtl. der Anstieg der Exportquote – die wohl auffallendste Anomalie in der deutschen Wirtschaftsentwicklung – wie der Leistungsbilanzüberschuss und die Entwicklung der Lohn- und Staatsquote liefern. Das niedrige Wirtschaftswachstum in Phasen hoher Leistungsbilanzüberschüsse – nicht nur in der zurückliegenden Dekade, sondern auch in den 1980er Jahren – wäre dabei ebenfalls einer eingehenderen Untersuchung wert. Schließlich gilt bei all dem auch: Auch ein Erhalt der gemeinsamen europäischen Währung dürfte wesentlich von der Korrektur der deutschen Fehlentwicklung abhängen. Wirtschaft und Gesellschaft wird dem versuchen in gesonderten Beiträgen nachzugehen.

Die große Anomalie: Die deutsche Exportentwicklung (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

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