Es ist ein Trauerspiel, das sich da in der SPD-Parteispitze zuspitzt. Durchaus zuzutrauen ist den SPD-Partei-Oberen, dass sie, wie der Cicero schreibt, den Kanzlerkandidaten bereits ausgekungelt haben: Peer Steinbrück soll es laut Cicero werden. Gut denkbar allerdings auch, dass hier einfach Fakten geschaffen werden sollen, die so noch nicht entschieden sind. Gabriel hat jedenfalls erst einmal dementiert. Ein anderer Steinbrück-Fan, sein Hofbiograph und Springer-Autor, Daniel Friedrich Sturm, hält Gabriels Dementi wiederum für “zu weich” und weiß in diesem Punkt vielleicht besser Bescheid als der SPD-Chef selbst. Der Autor und Chefredakteur des Cicero, Christoph Schwennicke, ist jedenfalls begeisterter Anhänger der Agenda 2010. Beispiel gefällig:
“Angela Merkel hat, als sie Gerhard Schröder in ´seinem´ Kanzleramt verabschiedete, ihm unter Bezug auf seine Agenda-Politik bescheinigt, dass er sich ums Land verdient gemacht habe. Darum muss es ihr auch gehen: dass das am Ende auch über sie gesagt wird, über die Grenzen des Parteipolitischen hinweg.”
Da liegt auch diese Geisteshaltung nahe:
“Konjunkturprogramme, Abwrackprämie und Kurzarbeit – bisher hat die Notstandsgesetzgebung von Angela Merkel in der Wirtschaftskrise dem Land nur Kredite auf die Zukunft, aber noch keine Zukunft selbst beschert.”
Wo wir wohl heute stünden, wenn die Politik in der Finanzkrise auf Menschen wie Schwennicke gehört hätte. Da passt es doch gut ins Bild, dass Steinbrück als Finanzminister sich in der Finanzkrise bis zuletzt gegen Konjunkturprogramme sperrte (1), weswegen Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman Steinbrück damals auch “Holzköpfigkeit” (boneheadedness) vorwarf.
Mit parteiinterner Demokratie und Transparenz hat das ganze Verfahren, das Sigmar Gabriel, Frank-Walter-Steinmeier und Peer Steinbrück als “Troika” ausgeheckt haben, von Anbeginn nichts zu tun. Das Verfahren erinnert eher an das im Vatikan; fehlt nur noch, dass am Ende weißer Rauch über dem Willy Brandt Haus aufsteigt – roter Rauch würde auch auf keinen der drei Kandidaten passen.
Sie stehen alle drei hemmungslos hinter der anti-sozialen Agenda-Politik und sind sogar “stolz” auf sie. Das wurde auf Wirtschaft und Gesellschaft wieder und wieder belegt und thematisiert. Das zuletzt publizierte Rentenkonzept aus dem Hause Gabriel ist da nur das Tüpfelchen auf dem i, das da besagt: Ändern wird sich unter dieser Führung nichts. So betrachtet handelt es sich auch weniger um eine Troika – drei verschiedene Köpfe, die politische Alternativen denken und sie ihrer Partei und den Wählern zur Entscheidung stellen -, sondern eher um eine Hydra – egal wer von den dreien verliert, es wird ein Kopf als Kanzlerkandidat nachwachsen, der keine sozialdemokratische Alternative zur Bundesregierung bereithält.
Warum das alles in einer Partei möglich ist, deren Basis nach Demokratie und Transparenz und nach einer sozialen Alternative lechzt, das kann wohl nur durch einen langsamen geistigen Zerfall im Gefolge der Schröder-Ära und hartnäckige Unterdrückung parteiinterner Gedankenvielfalt durch die Agenda-Politiker erklärt werden. Was die damit verbundene Inhaltsleere auch auf unteren Karrierestufen für Blüten treibt, hat zuletzt wunderbar ein Interview mit dem neuen Berliner Landesvorsitzenden, Jan Stöß, gezeigt, der bei den Medien und wohl auch innerhalb der SPD auch noch als “links” gilt. Hier ein Auszug:
“Wie gut eignet sich Klaus Wowereit nach der BER-Blamage als Wahlkampfhelfer?
Er wird der beste Wahlkampfhelfer sein, den wir hier in Berlin und darüber hinaus haben.
(Anmerkung T.H.: Der regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit, hat bei den letzten Wahlen in Berlin seinen Wahlkreis an einen bis dato unbekannten CDU-Kandidaten verloren; siehe dazu auch: Wahlkampf und Wahlausgang in Berlin – ein Fieberthermometer für die SPD, vom 19.09.2011; auch für Jan Stöß war Klaus Wowereit offensichtlich kein guter Wahlhelfer, denn er hat sich mit seiner Kandidatur als Bezirksbürgermeister gegenüber dem Kandidaten von Bündnis90/Die Grünen nicht durchsetzen können.)
Glauben Sie das wirklich?
Ja! Und wir sind personell sehr gut für den Wahlkampf aufgestellt.
Ihr Wunsch-Kanzlerkandidat?
Wir haben drei gute Kandidaten. In den nächsten Monaten soll die Entscheidung fallen. Bis dahin werde ich die Personaldebatte nicht weiter anheizen.
(Anmerkung T.H.: Diese unpolitische Haltung ist leider in karrierebewussten Funktionärskreisen durchaus verbreitet: Hauptsache Ruhe. Bloß keine eigene Positionierung vornehmen. Das könnte ja die Karriere gefährden. Besser Liebkind mit allen. Wenn dies nicht so wäre, hätte es so schlimm für die SPD gar nicht kommen können, wie es seit Schröder gekommen ist.)
Bei der Bundestagswahl 2009 erhielt die SPD in Berlin 20,2 Prozent. Wie viel werden es im nächsten Jahr?
Auf den Punkt: Wir wollen weiter vorn liegen als beim letzten Mal.”
Na, bei solch bescheidenen numerischen Zielen kommt´s dann wirklich nicht drauf an, wer Kanzlerkandidat der SPD wird.
Die einzige Hoffnung, die da noch bleibt, haben wir bereits an anderer Stelle ausgeführt: Aktuelle Nachrichten und Hintergrund auf Wirtschaft und Gesellschaft: Urwahl von Spitzenkandidaten bei Grünen – warum nicht bei Kanzlerkandidatur der SPD?
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(1) Siehe dazu zum Beispiel auch: Steinbrück provoziert Britischen Premier
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