Wirtschaft und Gesellschaft hatte jüngst auf Basis von OECD-Daten die Netto- und Bruttorentenniveaus Deutschlands mit denen seiner Nachbarländer, der EU und der OECD verglichen. Das Ergebnis war: Unsere Nachbarländer wie auch die EU und die OECD im Durchschnitt weisen wesentlich höhere Rentenniveaus aus. Von daher erscheint der besonders gern auch von SPD-Chef Sigmar Gabriel im Rahmen der aktuellen SPD-Rentendebatte gebetsmühlenartig wiederholte Satz, wir könnten uns kein höheres Rentenniveau, ja, noch nicht einmal das Bestehende leisten, als unbegründet. Denn was sich unsere Nachbarländer mit vergleichbaren Einkommensniveaus, vergleichbarer demographischer Entwicklung und vergleichbarem institutionellem Rahmen leisten können, können wir uns auch leisten. Darüber hinaus müssen sich unsere Nachbarländer natürlich genauso im internationalen Wettbewerb behaupten wie Deutschland.
Im Folgenden soll die private Altersvorsorge, die ein wesentlicher Bestandteil der seit 2001/2002 durchgeführten Renten“reformen“ war, und die aktuell sowohl Gabriels Rentenkonzept wie auch das der Bundesregierung bestimmt, aus einem weitgehend vernachlässigten Blickwinkel unter die Lupe genommen werden. Das Ergebnis sei in diesem Fall vorweggenommen, weil es zugleich Problemstellung ist: Das private „Ansparen“ für die Altersvorsorge, sei es in Form der Riesterrente oder der betrieblichen Altersvorsorge geht zu Lasten zukünftiger Generationen und zu Lasten einer sicheren und armutsfesten Rente. Der Grund: Sparen heißt, nicht ausgeben; um so höher der Anteil des Einkommens, der gespart, also nicht ausgegeben wird, um so niedriger müssen die Einnahmen der Unternehmen ausfallen, die entsprechend weniger investieren, weil die Nachfrage sie nicht oder weniger dazu einlädt, ihre Kapazitäten zu erweitern oder neue Produkte und neue Produktionsprozesse zu entwickeln, als es der Fall wäre, wenn weniger gespart, also mehr ausgegeben und damit auch mehr nachgefragt würde.
Uns hat in diesem Zusammenhang besonders interessiert, wie sich denn Sparen und Investieren bei uns und in den Nachbarländern mit deutlich höheren Rentenniveaus entwickelt haben, wie viel also zum einen die privaten Haushalte von ihrem laufenden Einkommen sparen (Sparquote) und wie viel die Unternehmen gemessen am Bruttoinlandsprodukt in Anlagen investieren (Investitionsquote = Bruttoanlageinvestitionen in Prozent des Bruttoinlandsproduktes).
Geht man zurück bis zum Jahr 2000, zeigt sich grob, dass Deutschland über diesen Zeitraum nicht nur die höchste Sparquote ausweist, sondern diese auch mit den Renten“reformen“ und der Einführung der Riesterrente 2001/2002 bis hinein in die Finanzkrise 2008 steigt, die deutsche Investitionsquote aber just von diesem Zeitpunkt an sinkt und bis hinein in die Finanzkrise 2009 den niedrigsten Wert der verglichenen Länder ausweist. Seit 2008 ist die Sparquote gesunken, die Investitionsquote ist seit 2009 gestiegen. Das Wachstum der Bruttoanlageinvestitionen (zu konstanten Preisen 2005) war in Deutschland von 2001 bis 2004 Jahr für Jahr negativ. 2009 folgte dann ein erneuter kräftiger Einbruch (-11,4 %); die vergangenen beiden Jahre wuchsen die Bruttoanlageinvestitionen dann zwischen fünf und sechs Prozent; die Sparquote ging in diesen beiden Jahren leicht zurück.
Hinter den Kulissen der harmlos aussehenden grünen Linie, die die Sparquote Deutschlands abbildet, verbirgt sich zudem eine zunehmende Ungleichheit in der Entwicklung und Verteilung der Einkommen (vergleiche hierzu: Die Entwicklung der realen Bruttoerwerbseinkommen nach Einkommensdezilen 2000 bis 2010). Die hohen und sehr hohen Einkommen haben zugelegt, die mittleren, besonders aber die niedrigen und sehr niedrigen Einkommen haben verloren. Weil aus hohen Einkommen mehr gespart wird – das ist auch die Klientel, die sich die private Altersvorsorge leisten kann – als aus niedrigen Einkommen, treibt dies die Sparquote ebenfalls nach oben, obwohl Geringverdiener sogar entsparen.
Warum der empirische Zusammenhang zwischen privatem Sparen und unternehmerischen Investitionen so wichtig ist, hat jüngst erst der Ökonom Heiner Flassbeck dargelegt: „Allein schon die Idee, die Sparquote erhöhen zu wollen, um für die Zeit vorzusorgen, in der die Bevölkerung altert, ist verfehlt. Eine höhere Sparquote würde nur dann helfen, die Belastungen der Alterung abzumildern, wenn in der Folge auch mehr in Sachanlagen investiert würde. Oder anders gesagt: Wenn der Kapitalstock der Volkswirtschaft wachsen würde, aus dessen Erträgen man dann im Jahr 2030 die Rente bezahlen könnte. Wenn die privaten Haushalte aber mehr sparen, wird nicht mehr investiert, sondern weniger.“ (Anmerkung T.H.: Die Differenz bei den Zahlen zur Sparquote zwischen den hier wiedergegebenen Zahlen und denen von Flassbeck erklärt sich dadurch, dass Flassbeck Zahlen der Deutschen Bundesbank herangezogen hat, während hier für den internationalen Vergleich Zahlen der Ameco Datenbank, Eurostat, herangezogen wurden; die Differenz ändert daher nichts an den hier ins Zentrum gerückten Zusammenhängen.)
Sowohl die Logik als auch die Empirie zeigen: Private Altersvorsorge behindert die Realkapitalbildung der Unternehmen und bremst damit das Potenzial, aus der in den Investitionen eingebetteten höheren Produktivität auch zukünftig die Finanzierung der Rente zu sichern. Auch dieser ökonomische Zusammenhang zwischen Sparen und Investieren spricht daher für die gesetzliche Umlagefinanzierung, die natürlich auf eine angemessene Lohnentwicklung (Produktivitätssteigerung plus Inflationsausgleich = kosten- und verteilungsneutrale Lohnentwicklung) angewiesen ist, die wiederum die seit der Jahrtausendwende umgesetzten Arbeitsmarktreformen unterlaufen.
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