Höchste Zeit, den Leserinnen und Lesern von Wirtschaft und Gesellschaft einzugestehen: Der Herausgeber dieser Seite, die mit ihrer steigenden Zahl von Gastautoren auf dem besten Weg ist, sich zu einer Internet-Zeitung zu entwickeln, die theoretische und empirische Wirtschafts- und Gesellschaftsanalyse, Medienbeobachtung, politische Meinung und eigenwilliges Feuilleton bietet, ist ein Träumer! Hier ein Beleg für diese völlig unzeitgemäße Eigenschaft:
Gestern las ich in der online-Ausgabe der zur SPD-Kanzlerkandidatur:
“Und tatsächlich, schon in seinem zweiten Satz warf Gabriel die Angel aus. Man werde, sagte er, am Montag auch ´einen Vorschlag vorlegen, wie die SPD in den kommenden Jahren ein weiteres Absinken des Rentenniveaus bis 2030 auf 43 Prozent verhindern wird´. Der Streit über die Rentenhöhe war zuletzt eng an die Kandidatenfrage gekoppelt worden.”
Die taz-Autorin Anja Maier hat diesen Satz Gabriels auf der Pressekonferenz aufgegriffen, die die “Troika” zur gestrigen Entscheidung (gestrig durchaus in der doppelten Bedeutung des Wortes), Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten der SPD zu ernennen, am Nachmittag im Willy Brandt Haus gab.
Prompt begann es in mir zu arbeiten: Ja, ist diese Aussage Gabriels nicht ein Indiz dafür, dass in der Vorstandssitzung am Montag die große inhaltliche Kehrtwende kommen wird, zumindest bei der Rentenfrage? Gabriel und Steinbrück holen sich die Zustimmung der SPD-Linken, indem sie verkünden, zumindest das derzeitige Rentenniveau von 50/51 Prozent beizubehalten? Dass dies angesichts der realen Entwicklung von Altersarmut immer noch völlig unzureichend ist, ist in diesem Zusammenhang ja insofern einmal kurz auszublenden, weil eben auch die SPD-Linke keine darüber hinausgehenden Forderungen stellt – sieht man einmal von Hilde Mattheis ab, die vor die 50/51 Prozent immerhin noch ein “mindestens” setzt.
Doch bereits heute Vormittag – just am Tag der bundesweiten Aktion umFairteilen, welch Ironie, sie wird von der SPD “unterstützt” – holt mich Träumer eben jener Gabriel schon wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Deutschlandfunk meldet in seinen 11 Uhr Nachrichten:
“SPD-Chef Gabriel hat sich gegen ein zu starkes Absenken des Rentenniveaus ausgesprochen. Er sagte der “Bild”-Zeitung, die Politik müsse alles dafür tun, dass das Niveau der Altersbezüge nicht drastisch sinke. Das erreiche man am besten durch eine gute Wirtschaftspolitik sowie höhere Löhne und Gehälter. Gabriel betonte, unter seiner Führung werde es keine völlige Kehrtwende vom Rentenkonzept geben. In einer Sondersitzung des Parteivorstands am Montag soll der zur Zeit größte Streitpunkt in der SPD ausgeräumt werden. Der frühere Bundeskanzler Schröder warnte seine Partei vor umfassenden Änderungen bei der Rentenreform. Um die Altersbezüge bezahlbar zu halten, sollte man an der Rente mit 67 und der Absenkung des Niveaus festhalten, sagte Schröder der ´Rheinischen Post´.”
Auch dass Schröder sich dazu sogleich wieder zu Wort meldet – Steinbrück sagte gestern auf der Pressekonferenz, dass er es machen wolle wie Gerhard Schröder! -, heißt doch wohl nichts anderes, als dass die Agenda-Politiker die Politik und den Wahlkampf der SPD bestimmen werden.
Man darf gespannt sein, wie sich die SPD-Linke und die Jusos dazu verhalten werden, ob sie mir Anlass geben werden, doch wieder zu träumen, oder ob die Linke sich wie gewohnt wegduckt und mit ein paar mauligen Interviews à la Ottmar Schreiner begnügt und gefällt – und doch alles mitträgt.
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