Die Publizistin Ursula Engelen-Kefer hat sich bereits mit mehreren Gastbeiträgen auf Wirtschaft und Gesellschaft zu Wort gemeldet und verschiedene Inhalte – unter anderem zum Sozialstaat, zur Alterssicherung, zur Eurokrise – darüber dankenswerter Weise vertieft.
Sie ist darüber hinaus eine der Erstunterzeichnerinnen des Aufrufes “Farbe bekennen – gegen entwürdigende Hartz IV Praxis und für berufliche Förderung” und hat auch dieses Thema bereits auf Wirtschaft und Gesellschaft behandelt.
Die folgende Stellungnahme von ihr nimmt Bezug auf meinen Beitrag über einen neuen Aufsatz von Andrea Ypsilanti und den Artikel “Ist die SPD beim Thema Rente noch ernst zu nehmen?“.
Es ist genau diese Diskussionskultur, die Wirtschaft und Gesellschaft befördern möchte. Ich bedanke mich daher auch auf diesem Weg noch einmal bei Ursula Engelen-Kefer für ihr Engagement.
SPD fehlt es an überzeugenden Konzepten bei Renten-, Arbeitsmarkt- und Eurokrisenpolitik – Andrea Ypsilanti gibt Aufschluss über Machtgefüge in der SPD – Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke verschleißen sich in personellen Auseinandersetzungen – Piraten noch nicht als politisch inhaltliche Kraft erkennbar
Für mich fehlt es an erkennbaren und überzeugenden Konzepten der SPD sowohl bei der Renten- und Arbeitsmarktpolitik wie auch der Eurokrisenpolitik. Die von Ihnen positiv hervorgehobenen Textteile von Andrea Ypsilanti geben einige Aufschlüsse über das Machtgefüge in der SPD. Dabei ist es auch folgerichtig, dass der Nähe zur FDP eine größere Bedeutung zugemessen wird als zu den links von CDU, CSU, FDP sowie dem Seeheimer Kreis und den Netzwerkern in der SPD angesiedelten parteipolitischen Kräften.
Dabei muss aber auch festgestellt werden, dass die Grünen und Die Linke sich schon seit geraumer Zeit in personellen Auseinandersetzungen verschleißen. Die Piraten sind als politisch inhaltliche Kraft bisher nicht erkennbar und scheinen ebenfalls der Verführung von politischen Posten und Macht an Stelle inhaltlicher Politik zu erliegen.
Bezüglich der Rentenpolitik würde ich den Aufschlag des neuen Parteivorsitzenden der SPD in Berlin, Jan Stöß, vor dem oben dargestellten generellen SPD politischen Hintergrund weniger kritisch beurteilen. Es wäre schon Einiges gewonnen, wenn ein weiterer Abfall des Rentenniveaus verhindert werden könnte.
Dazu muss der unsägliche rot-grüne Riesterfaktor außer Kraft gesetzt und die lohnbezogene dynamische Altersrente wieder hergestellt werden. Das derzeitige Rentenniveau von 51 Prozent ist schwer zu vergleichen mit dem vorherigen Rentenniveaus von 70 Prozent vom Netto, da inzwischen eine stufenweise ansteigende Besteuerung der gesetzlichen Altersrenten erfolgt (nach Urteil des Bundesverfassungsgerichtes). (Anmerkung Florian Mahler: Ich bin Urusla Engelen-Kefer sehr dankbar auch für diesen Hinweis hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Rentenniveaus. Nach Rückfrage bestätigte mir Ursula Engelen-Kefer allerdings meine Überlegung, dass dieser Sachverhalt bedeutet, dass die Kluft zwischen dem kritisierten heutigem Rentenniveau und den vorherigen Rentenniveaus aufgrund der heutigen Besteuerung und der damaligen Nettogröße ja noch tiefer ausfällt, als der einfache, aufgrund der veränderten Besteuerung nicht zulässige Vergleich vermuten lässt. Wenn es also aufgrund der vorherrschenden Kräfteverhältnisse auch innerhalb der SPD schon ein Fortschritt sein mag, wenn das jetzige Rentenniveau von 51 Prozent erhalten bliebe, halte ich dies vor dem in meinem Beitrag skizzierten Hintergrund doch zumindest für die Linke in der SPD als eine zu anspruchslose Forderung.)
Natürlich ist es richtig, dass bereits heute das Rentenniveau erheblich zu niedrig und seit 2004 ein Abfall der Kaufkraft der Rentner um 10 Prozent erfolgt ist – durch Riester-und Nachholfaktor für die von Olaf Scholz als Bundesarbeitsminister in der Großen Koalition durchgesetzte zweijährige Aussetzung des Riesterfaktors und gesetzliche Verhinderung einer Absenkung der Rentenzahlungen und deren Nachholung.
Hinzu kommt die zusätzliche Belastung der Rentner mit den erhöhten Beiträgen für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Praxisgebühr und die sonstigen erhöhten Eigenleistungen für Gesundheitskosten.
Statt Absenkung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, Verbesserungen der Rentenleistungen
Wenn die von der überwältigenden Mehrheit in der Bevölkerung und von den Gewerkschaften abgelehnte Absenkung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung von 19,6 auf 19,0 Prozent – wie gerade von der schwarz-gelben Bundesregierung beschlossen – unterbleiben würde, könnten aus der Reserve von über 28 Mrd. Euro und deren weitere Erhöhung in den nächsten Jahren wesentliche Maßnahmen zur Verbesserung der Rentenleistungen bei Alter und Erwerbsminderung sowie Rehabilitation geleistet werden.
Die SPD kann hierzu über den Bundesrat ein Zeichen setzen. Sollten die Kritiker in der CDU dabei bleiben und sich nicht “kaufen” lassen, könnte dies sogar verhindert werden.
Unabhängig davon wären die zusätzlichen Beitragsbelastungen aus der Aussetzung der Rente mit 67 verkraftbar (0,5 Prozent) und von der großen Mehrheit der Bürger auch erwünscht.
Wachsende Altersarmut erfordert weitreichende Veränderungen in Renten- und Arbeitsmarktpolitik
Die wachsende Altersarmut in den nächsten Jahrzehnten erfordert weitere grundsätzliche Veränderungen in der Renten-und Arbeitsmarktpolitik: Existenzsichernde Mindestlöhne, gesetzliche Verschließung der prekären Beschäftigungsverhältnisse, Beseitigung der Lohndiskriminierung für Frauen, Existenzsichernde Mindestrenten für langjährig Versicherte.
Dafür müsste die SPD wirklich an die unsäglichen 7,4 Millionen geringfügigen Arbeitsverhältnisse ran – eine wesentliche Ursache für die hohe Armut bei Arbeit sowie im Alter und die milliardenschweren Ausfälle bei den Beiträgen auch für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung.
Die Explosion dieser Minijobs war eines der verheerenden Ergebnisse der rot grünen Arbeitsmarktreformen. Ein besonderer Zynismus ist, wenn jetzt die “Explosion” der Beschäftigung von Rentnern – davon viele in Minijobs – als Beweis für das Interesse unter Rentnern an Weiterarbeit gewertet wird und der ehemalige rot-grüne Superminister Wolfgang Clement bereits die Rente mit 80 propagiert. Selbst wenn es einige Pensionäre in besonders komfortablen Arbeits- und Lebensbedingungen gibt, die ihre politische Tätigkeiten fortsetzen wollen, ist die Masse der Rentner in Minijobs oder sonstiger Arbeit mit miserablen Bedingungen und Löhnen tätig, weil sie das Geld zur Aufbessung ihr kargen Renten dringend brauchen.
Die SPD müsste sich entschuldigen und Kompensation bieten
Die SPD müsste sich bei den vielen betroffenen Menschen nicht nur entschuldigen, sondern ihnen ausreichende finanzielle Kompensation bieten und umgehend diese durch nichts zu rechtfertigende Ausweitung von Armut auch gesetzlich wieder beenden. Fragt sich allerdings, mit welcher politischen Konzeption und Koalition.
Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen wäre – Deckelung der Renten nach oben – Einbeziehung aller Beschäftigten in die gesetzliche Alterssicherung und Kapitalerträge
Genauso wichtig wie die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen – wobei dann allerdings auch eine Deckelung der Rentenleistungen nach oben zu erfolgen hätte- ist die Einbeziehung aller Beschäftigten, also auch der Selbständigen, Politiker und Beamten in die Solidarität der gesetzlichen Alterssicherung. Zu entwickeln sind darüberhinaus realisierbare Konzepte zur Einbeziehung auch der wachsenden Kapitalerträge.
Verhinderung der Absenkung des Rentenniveaus wäre schon Fortschritt – Ablehnung der Mitgliederbefragung seitens SPD-Fraktions-Spitze vielsagend
Allerdings ist derzeit nicht zu erkennen, mit welchen politischen Kräften dies umzusetzen ist. Daher wäre es schon ein Schritt nach vorne, wenn die Verhinderung eines weiteren Absenkens des Rentenniveaus zumindest innerhalb der SPD umgesetzt würde. Dass die von den Linken in der SPD hierzu vorgeschlagene Mitgliederbefragung von der Spitze der SPD Fraktion abgelehnt wird, zeigt, dass bereits hiermit in ein politisches Wespennest gestochen wurde.
Wirksame Opposition im außerparlamentarischen Raum?
Vielleicht haben diejenigen recht, die eine wirksame Opposition im außerparlamentarischen Raum sehen. Dies dürfte nicht nur für die Renten- und Arbeitsmarktpolitik gelten, sondern auch für die Euro-Krisenpolitik.
Dr. Ursula Engelen-Kefer war von 1990 bis 2006 stellvertretende DGB-Vorsitzende und von 1984 bis 1990 Vizepräsidentin der damaligen Bundesanstalt für Arbeit. Von 1980 bis 1984 leitete sie die Abteilung Arbeitsmarktpolitik einschließlich der Internationalen Sozialpolitik beim DGB. Heute arbeitet sie als Publizistin in Berlin (www.engelen-kefer.de).
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