Aktuelle Entwicklung, Leistungsbilanzsalden und Wechselkurse
Neuerdings wachsen auch die deutschen Exporte nach China schneller als die chinesischen Exporte nach Deutschland (1). Seit 2011 übersteigt der Leistungsbilanzüberschuss des „Exportweltmeisters“ Deutschland den der Chinesen, sowohl gemessen zu laufenden Preisen und Wechselkursen als auch im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt; gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist der deutsche Leistungsbilanzsaldo bereits seit 2009 größer als der chinesische.
China wurde und wird insbesondere in den USA auch von namhaften Ökonomen wie Paul Krugman (2010, 2012 [2]) dafür kritisiert, dass es sich aufgrund einer gezielten Unterbewertung seiner Währung Handelsvorteile verschaffe und so zu unerhört hohen Leistungsbilanzüberschüssen und Devisenreserven käme. Aufgegriffen hat dies zuletzt Rob Portman, Senator für Ohio und lange Zeit als Vizepräsidentschaftskandidat im Gespann mit dem jetzigen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner Mitt Romney gehandelt, am 29. August 2012:
“China manipuliert seine Währung und verschafft sich unfaire Handelsvorteile.” (3)
Wie die Graphik oben jedoch sehr gut zeigt, hat China seit 2009 seinen Leistungsbilanzüberschuss enorm reduziert, nicht nur zu laufenden Preisen, sondern auch im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt.
In Deutschland ist der Saldo der Leistungsbilanz hingegen nur kurz 2008/2009 im Rahmen der Finanzkrise zurückgegangen und verzeichnet heute wieder neue Rekorde (4).
Da liegt es nahe, einen Blick auf die Entwicklung der relativen Preise beider Länder zu werfen. Die folgenden Graphiken zeigen die Entwicklung der realen effektiven Wechselkurse von Deutschland und China gegenüber ihren Handelspartnern (5).
Während Deutschland real kräftig abwertet, wertet die Chinesische Währung real bereits seit 2005 stetig auf; mit anderen Worten: Während sich deutsche Waren für das Ausland ständig verbilligen, Deutschland also an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber seinen Handelspartnern gewinnt, verteuern sich chinesische Waren und verliert China an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber seinen Handelspartnern.
Die reale Aufwertung der chinesischen Währung dürfte noch höher ausgefallen sein als es die Graphik anzeigt. Die Währung wurde in beiden Fällen mit dem Verbraucherpreisindex deflationiert. Diese Berechnungsmethode unterschätzt nach Analyse der UNCTAD jedoch die tatsächliche reale Aufwertung der chinesischen Währung. China befindet sich im Stadium einer raschen nachholenden Industrialisierung. Die wird zu einem wesentlichen Teil durch den Einsatz modernster Technik im Exportsektor getragen. Aufgrund der damit verbundenen hohen Produktivitätssteigerungen steigen dort die nominalen und realen Löhne deutlich schneller, als es die nationale Entwicklung der Verbraucherpreise wiederspiegelt. So weist die UNCTAD, basierend auf der Entwicklung der Lohnstückkosten, eine deutlich stärkere Aufwertung der chinesischen Währung aus, als auf Basis des Verbraucherpreisindexes.
Parallele zur Eurokrise: Der gleiche Problemzusammenhang
Die Entwicklung der Leistungsbilanzsalden Deutschlands und Chinas und die zugrundeliegende Entwicklung der realen Wechselkurse verweist auf den gleichen Problemzusammenhang, der die Eurokrise bestimmt: Während in China die Löhne mit der Produktivität steigen, was jüngst auch der IWF für China attestierte, untergräbt Deutschland diese Lohnregel seit vielen Jahren; die daraus resultierende Entwicklung der Lohnstückkosten bestimmt die Preisentwicklung, die entsprechend in Deutschland vergleichsweise niedrig ausfällt und so über den realen effektiven Wechselkurs nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in der Eurozone „verzerrt“, sondern auch gegenüber seinen Handelspartnern weltweit.
Deutschland ist so betrachtet nicht nur in der Eurozone, sondern auch weltweit der Buhmann.
Warum lässt sich China das gefallen? Das dürfte mit an der besonderen Stellung liegen, die deutsche Exportwaren (Maschinen, Ausrüstungsgüter) für den Prozess nachholender Industrialisierung in China einnehmen – die, welch Ironie, eben den ökonomischen Spielraum für steigende Löhne in China liefern. China ist trotz seines fortschreitenden Industrialisierungsgrades immer noch auf den Import aus Deutschland mit seinem vollständig ausgebauten, wettbewerbsfähigeren Kapitalgütersektor angewiesen.
Länder mit vergleichsweise niedriger Produktivität können unter bestimmten Voraussetzungen auch in einer Währungsunion aufholen
Dieser Befund lässt weitere Rückschlüsse zu: Zum Beispiel den, dass das verbreitete Argument, Länder wie Griechenland könnten aufgrund ihres relativ niedrigeren ökonomischen Entwicklungsgrades nicht an einer Währungsunion teilnehmen, nicht richtig ist (6).
Entscheidend ist die Entwicklung der realen effektiven Wechselkurse bzw. relativen Preise. Diese aber werden dann „verzerrt“, wenn ein Land sich nicht an die ökonomischen Spielregeln hält; im Fall der Eurozone heißt diese Regel: Die Löhne dürfen nur um den Anstieg der jeweiligen Produktivität eines Landes plus dem vertraglich vereinbarten Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent steigen. Wer darunter liegt, bricht diese Regel, wer darüber liegt auch. Da Deutschland aber nun einmal seit 2000 fast fortlaufend die Regel nach unten gebrochen hat, kann und darf es aber eben nicht sein, dass die daraus mit hervorgegangenen „Wettbewerbsverzerrungen“ einseitig von den Ländern ausgebügelt werden müssen, die dadurch und weil sie selbst darüber lagen, ins Hintertreffen geraten sind.
Ein Land mit einem in der Ausgangslage vergleichsweise niedrigen Stand der Produktivität – wie Griechenland gegenüber Deutschland – kann dennoch, die gleichen, für die Wettbewerbsfähigkeit entscheidenden Lohnstückkosten ausweisen wie das Land mit höherer Produktivität – vorausgesetzt die Löhne entsprechen diesem Produktivitätsunterschied. Entwickeln sich dann im folgenden Aufholprozess die Lohnstückkosten entsprechend der vereinbarten Zielinflationsrate, ist eine nachholende Entwicklung bei unterschiedlichen Entwicklungsniveaus möglich.
Haben sich demgegenüber, wie in der Eurozone, die Lohnstückkosten über Jahre auseinanderentwickelt, kann der damit verbundene Unterschied in der Wettbewerbsfähigkeit nur durch eine Angleichung der Lohnstückkosten wieder ausgeglichen werden; damit dies nicht in eine deflationären Abwärtsspirale mündet, wie es derzeit der Fall ist, wäre es am vielversprechendsten, wenn die Länder, die über Jahre unter der vereinbarten Preisentwicklung lagen, nun für einen entsprechend langen Zeitraum darüber liegen würden (wie Deutschland) und umgekehrt darunter (wie Griechenland). Weil dieses Ziel nicht verfolgt wird, das Problem noch nicht einmal von den politischen Entscheidungsträgern gesehen und diskutiert wird, ist der Zusammenhalt der Eurozone gefährdet.
—
Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine Ich freue mich über jedes “Gefällt mir”. Kommentare sind auch sehr willkommen.
Wenn nur 100 Wirtschaft und Gesellschaft abonnieren…
—
1 https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2012/08/PD12_298_51.html
2 Der Link von Paul Krugman 2012 führt allerdings zum Blog von Ezra Klein, die feststellt: “China has stopped manipulating its currency.”
4 Ergänzend zu den Werten in der Graphik die neuesten Werte der Deutschen Bundesbank zum Deutschen Leistungsbilanzsaldo: 1. Halbjahr 2012: 76,7 Mrd. Euro; 1. Halbjahr 2011: 66,2 Mrd. Euro.
5 Zsolt Darvas, Real effective exchange rates for 178 countries, A new database, March 2012
Der reale effektive Wechselkurs ist bei Darvas so definiert (Original unter der folgenden Übersetzung):
„Der REER (real effective exchange rate = realer effektiver Wechselkurs) ist errechnet aus dem nominalen effektiven Wechselkurs (NEER) und einem Maß für die relativen Preise oder Kosten zwischen dem untersuchten Land und seinen Handelspartnern. Die gebräuchlichste Methode, Preise und Kosten zu messen und zu vergleichen sind Verbraucherpreise (CPI = Verbraucherpreisindex), Produzentenpreise (PPI = Produzentenpreisindex), Preis-Deflator des Bruttoinlandsproduktes und Lohnstückkosten (ULC)…In diesem Arbeitspapier basieren die realen effektiven Wechselkurse auf dem Verbraucherpreisindex.“
“The REER is calculated from the nominal effective exchange rate (NEER) and a measure of the relative price or cost between the country under study and its trading partners. The most popular price and costs measures are consumer prices (CPI), producer prices (PPI), GDP deflator, unit labour costs (ULC)…In this working paper we focus on CPI-based REERs.”
6 Dies gilt allerdings nur insoweit ein Land trotz relativ niedrigerer Produktivität in der Lage ist, sich den Kapitalgütersektor der Industrieländer via Importenkaufkraft verfügbar zu halten. Für viele Entwicklungsländer, insbesondere in Afrika südlich der Sahara dürfte dieser Spielraum seit Mitte der 1970er Jahre nicht mehr gegeben bzw. verschwindend gering sein. Das ist aber ein eigener, wenn auch wesentlicher Gegenstand.
Dieser Text ist mir etwas wert
|
|