Nachdem Wirtschaft und Gesellschaft gestern einen Gastbeitrag von Ursula Engelen-Kefer zum Aktionstag umFAIRteilen veröffentlicht hat, dokumentieren wir unten die Rede von ver.di-Ökonom Dierk Hirschel, die er am 29.09.2012 in Berlin gehalten hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Liebe Berlinerinnen und Berliner,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
willkommen in der Hauptstadt der Armut
jeder fünfte Berliner ist von Armut bedroht
jedes dritte Kind wächst hier in Armut auf
willkommen in der Hauptstadt der schlecht bezahlten Arbeit
jeder Dritte, der in dieser Stadt Vollzeit arbeitet,
kann von seiner Arbeit nicht leben.
willkommen in der Stadt der öffentlichen Armut
außer für einen Flughafen hat Berlin kein Geld.
Diese Stadt hat die zweithöchste Pro-Kopf-Verschuldung der Republik. Nur Bremen ist noch ärmer.
willkommen in der Stadt der Millionäre
In der Hauptstadt der Armut leben 10.000 Millionäre.
Die vier reichsten Berliner haben ein Vermögen von über sieben
Milliarden Euro.
Die alte Berliner Mauer ist weg.
Die neue Mauer verläuft zwischen arm und reich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
was für Berlin gilt, gilt auch für den Rest der Republik.
Die Kluft zwischen arm und reich wird immer größer.
Unser Land wird immer ungerechter.
Altenpfleger, Busfahrer und Verkäuferinnen malochen 50 Stunden die Woche und gehen mit weniger als 1500 Euro brutto nach Hause.
Gleichzeitig bekommt VW-Vorstand Winterkorn 45.000 Euro am Tag. Und für das Gehalt von Deutschbanker Anshu Jain müsste eine Erzieherin 390 Jahre arbeiten.
Ist das gerecht frage ich Euch? – gerecht geht anders!
Jedes Jahr werden zwischen Sylt und Baden-Baden rund 260 Milliarden Euro vererbt. Alles nach dem Matthäus Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. Den superreichen Quandts, Fincks und Albrechts fiel ihr Vermögen in den Schoß.
Ist das gerecht frage ich Euch? – gerecht geht anders!
Die Anwälte der Banken und Millionäre – die Röslers, Westerwelles und Lindners dieser Republik – sprechen von einer Neiddebatte.
Wir sagen, es war eure Politik, die dafür gesorgt hat, dass sich Leistung in diesem Land nicht mehr lohnt.
Ihr seid die Totengräber der sozialen Marktwirtschaft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der private Reichtum ist so groß wie nie zuvor. Das Nettovermögen der Deutschen bringt sieben Billionen Euro auf die Waage. Dieses Vermögen gehört wenigen. Die reichsten 70.000 besitzen davon fast ein Fünftel.
auch die öffentliche Armut ist so groß wie nie zuvor. Der öffentliche Schuldenberg ist über zwei Billionen Euro hoch. Städten und Gemeinden fehlt das Geld für Kitas, Schulen, Theater und Jugendzentren.
Privater Reichtum und öffentliche Armut sind aber zwei Seiten der gleichen Medaille. Schulden stehen immer Vermögen gegenüber.
In den letzten Jahren mehrten die Reichen ihr Vermögen auf Kosten der Allgemeinheit. Daran trägt die Politik große Mitschuld.
In der Finanzmarktkrise rettete Merkel die Banken. Milliardenschwere Finanzhilfen schützten die Vermögenden vor Verlusten.
Heute haben die Vermögenden die Krise hinter sich. Die Geldvermögen sind höher als vor der Krise. Nur die Schulden sind noch da.
Wirtschaftskrise und Rettungseinsatz hinterließen uns 400 Milliarden Euro neue Schulden. Drei Viertel davon allein für Hypo Real Estate, Commerzbank, & Co.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das war aber nicht alles. Die Schröder- und Merkel-Regierung machte den Reichen üppige Geschenke.
Für Spitzenverdiener, Unternehmer, Vermögende und Erben gab es mehr netto vom brutto.
Die Steuerpolitik riss ein 380 Milliarden Euro großes Loch in den Staatshaushalt.
Doch damit nicht genug. Die Hartz-Gesetze, Minjobs und Leiharbeit zerstörten die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt.
Deswegen können Beschäftigte und Gewerkschaften heute kaum mehr auf Augenhöhe verhandeln. Die Löhne sinken. Und mit den sinkenden Löhnen sinken auch die Einnahmen der Finanzämter und Sozialkassen.
Die neuen Schulden wurden also nicht durch Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslose verursacht, die angeblich über ihre Verhältnisse gelebt haben.
Die neuen Schulden haben wir allein der Reichtumspflege und der Finanzmarktkrise zu verdanken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Schuldenfrage ist eine Verteilungsfrage.
Leere Staatskassen sind kein Naturgesetz.
Wer mehr Geld für Kitas, Schulen und Krankenhäuser ausgeben will, der muss den privaten Reichtum endlich in die Pflicht nehmen.
Wir müssen den Reichtum der Wenigen besteuern,
um den Vielen ein würdiges Leben zu ermöglichen.
Eine Vermögenssteuer, eine Finanztransaktionssteuer, eine reformierte Erbschaftsteuer, ein höherer Spitzensteuersatz und eine höhere Körperschaftsteuer würden endlich wieder Geld in die leeren öffentlichen Kassen spülen.
Und da schwere Zeiten außergewöhnliche Maßnahmen erfordern, brauchen wir jetzt eine Vermögensabgabe.
Dafür ist höchste Zeit: Dafür müssen wir Alarm machen – laut und unüberhörbar.
Wir sind heute hier und wir wollen, dass noch mehr Menschen ihre Stimme erheben.
Alle, die nicht wollen, dass es in unserem Land immer ungerechter zugeht, sind eingeladen mitzumachen.
Wir sind die Mehrheit und wir arbeiten daran, dass daraus auch eine politische Mehrheit wird.
Glück auf
—
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