Aktuelle Nachrichten und Hintergrund zu Merkels Griechenland-Besuch: Riexinger legt den Finger in die Wunde

Dienstag, 09. Oktober 2012 08:00 Uhr

Merkels Griechenland-Besuch: Diskussion um Hilfen für Athen

Vor dem Griechenland-Besuch von Bundeskanzlerin Merkel wird in Deutschland weiter über Hilfen für das hochverschuldete Land diskutiert. EU-Parlamentspräsident Schulz sagte der “Rheinischen Post”, angesichts der bitteren wirtschaftlichen und sozialen Folgen brauche Griechenland jetzt zusätzliche Impulse, um aus der Schuldenspirale herauszukommen. Zugleich unterstützte Schulz die Bitte der griechischen Regierung um mehr Zeit bei der Umsetzung der Reformen. Der Bundesvorsitzende der Linkspartei, Riexinger, forderte von der Bundesregierung ein Umdenken in der Euro-Krisenpolitik. Sie könne ihre Hilfszusagen an Bedingungen wie eine Reichensteuer knüpfen, sagte der Linken-Politiker im Deutschlandfunk. Riexinger will heute in Athen an den Protesten der Opposition teilnehmen. Bundeskanzlerin Merkel wird am Nachmittag zu Gesprächen mit Regierungschef Samaras und Staatspräsident Papoulias in der griechischen Hauptstadt erwartet. Frau Merkel machte vor ihrer Abreise noch einmal deutlich, dass sie den Griechen ihre Unterstützung zusichern, sie aber auch an ihre eingegangenen Verpflichtungen erinnern wolle.”

So die 8 Uhr Nachrichten heute früh im Deutschlandfunk.

Dass der EU-Parlamentspräsident und SPD-Politiker, Martin Schulz, die Krise nicht begreift und ein Gefangener der Agenda 2010 ist, haben wir bereits an anderer Stelle aufgezeigt. Wer heute früh im Interview allerdings tatsächlich einmal den Finger in die Wunde gelegt hat, das war der neue Parteichef der Linken, Bernd Riexinger. Allerdings wird dessen wichtigster Kritikpunkt in den Nachrichten oben nicht wiedergegeben. Es ist dieser:

“Wir sind dafür, dass in Deutschland höhere Löhne bezahlt werden, dass der Binnenmarkt in Deutschland selber gestärkt wird und Griechenlands Defizite praktisch stärker ausgeglichen werden. Wir haben ja ein Wirtschaftsmodell, das selber auf Exportüberschüsse aufgebaut ist und damit die Schulden von Griechenland mit produziert, und wir leben hier unter unseren Möglichkeiten. Sprich: die Löhne in Deutschland müssen dringend steigen. Sprich: wir sind für ein Wirtschaftsmodell, das tatsächlich den Menschen in Europa nützt und nicht nur einigen wenigen.“

Damit ist Riexinger derzeit der einzige deutsche Politiker in hoher Parteifunktion, der die zentrale Ursache der Eurokrise benennt und eine Alternative zu den rücksichtslosen und ökonomisch unsinnigen Ausgabenkürzungen aufzeigt: Das Grundproblem der Eurokrise ist und bleibt das über Jahre von den Deutschen unterlaufene Inflationsziel der Europäischen Zentralbank und der hierüber gewonnene Wettbewerbsvorteil. Sicher haben Griechenland und andere Euroländer das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank ebenfalls gebrochen, indem sie es überschritten. Während letztere jedoch gezwungen werden, über massive Ausgabenkürzungen ihre Abweichung zu korrigieren, sonnt sich Deutschland in seiner Rolle als Muster”reform”land und meint weiter machen zu können wie bisher.

Hinzu kommt, dass sich die oktroyierte Kürzungsorgie gerade im Fall Griechenlands auf einen Staat konzentriert, dessen Sozialprodukt gerade einmal doppelt so hoch ist wie das unserer Bundeshauptstadt. Die gesamte deutsche Politelite macht sich lächerlich, indem sie versucht, die Eurokrise an Griechenland festzumachen und an ihm “ein Exempel” zu statuieren. Eben solch Lächerlichkeit, Zynismus und Bequemlichkeit müssen sich auch die Politiker vorwerfen lassen, die ihre Parteispitze nicht zur Raison bringen und sich mit etwas parteiinterner Opposition zufrieden geben. Sie sind in Wahrheit gar keine Politiker, weil sie nicht politisch denken und handeln; sie sind Opportunisten.

Es ist schon erwähnenswert, wenn wenigstens ein Spitzenpolitiker es intellektuell leistet, auf jenen Zusammenhang hinzuweisen und den Weg, der mit aus der Misere, dem Leid, herausführen kann und ohne die eine eigentliche Alternative zur Politik der Bundesregierung gar nicht denkbar und tragfähig ist, aufzeigt: Die Lohnpolitik in Deutschland muss wieder in die Lage versetzt werden, höhere Löhne durchzusetzen. Das aber wird ohne eine Rücknahme der Arbeitsmarkt-”Reformen” nicht möglich sein, denn sie waren es, die den Tarifparteien das Heft aus der Hand genommen haben: Allein die Sanktionspraxis im Rahmen von Hartz IV und die Angst, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit diesen ausgesetzt zu sein, haben die viel bemühte “Tarifautonomie”, auf die sich auch immer noch gern vor allem DGB-Spitzen-Gewerkschafter berufen – kritisch dagegen ver.di-Chef Frank Bsirske -, zerstört.

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