Der Bundesfinanzhof hat heute seinen Beschluss vom 27. September 2012 bekannt gegeben, das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorzulegen.
Die Pressemitteilung des Bundesfinanzhofs klingt vernichtend:
“Die Verfassungsverstöße führten – so der BFH – teils für sich allein, teils in ihrer Kumulation zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung, durch die diejenigen Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen könnten, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt würden.”
Nun ist man schon fast geneigt, nicht mehr so genau hinzuhören, wenn ein Gesetz für verfassungswidrig gehalten wird; hat sich die Liste der vom Bundesverfassungsgericht für nichtig und mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärten Bundesgesetze in den vergangenen Jahren doch beträchtlich verlängert. Angetrieben, doch noch einmal genauer hinzuschauen, hat mich dann vielleicht auch nur diese Berichterstattung in der taz: In seinem Beitrag zur heutigen, oben zitierten Meldung des Bundesfinanzhofes, schreibt :
“Die beanstandeten Regeln gehen im Wesentlichen auf eine Reform des Erbschaftsteuerrechts durch die große Koalition Ende 2008 zurück. Die SPD hat sich aber gleich nach Verkündung des BFH-Beschlusses von ihrer damaligen Reform distanziert. Sie habe damals nur auf Druck der CDU/CSU zugestimmt, sagte der SPD-Steuerexperte Joachim Poß.”
Zu lesen, dass Joachim Poß ein “Steuerexperte” sein soll, sorgt bei mir allein schon für Stirnrunzeln; so richtig neugierig gemacht aber hat mich natürlich seine Aussage, dass die SPD “damals nur auf Druck der CDU/CSU zugestimmt” habe. Man vergisst ja so schnell. Was liegt also näher als jene Behauptung des SPD-Bundestagsabgeordneten Poß, der zugleich stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion für die Bereiche Finanzen und Haushalt ist (was allerdings nicht zur Voraussetzung hat, ein “Steuerexperte” zu sein, und was die so Berufenen bedauerlicherweise auch nicht automatisch zu “Steuerexperten” werden lässt), zu prüfen. In einer heute herausgegebenen Pressemitteilung von Poß heißt es hierzu:
“Mit diesem Beschluss bestätigt der BFH die Befürchtungen, die die SPD bereits bei der Verabschiedung des geltenden Erbschaftsteuerrechts im Jahr 2008 gehabt hat…”
Sehen aber so Befürchtungen aus:
“In einer Probeabstimmung stimmt die Unions-Fraktion im Bundestag dem Kompromiss zur Erbschaftsteuerreform zu. Rund 20 Unionsabgeordnete stimmen mit Nein, einige enthalten sich, heißt es aus der Fraktion. Der Koalitionspartner, die SPD-Fraktion, billigt die Reform – ebenfalls in einer Probeabstimmung am 24.11.2008 – einstimmig.”
In der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 25.11.2008 heißt es wiederum abschließend:
“Annahme des Gesetzentwurfs in geänderter Fassung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN”.
In dem Bericht des Finanzausschusses vom 26.11.2008 steht geschrieben:
“Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im federführenden Ausschuss Der Finanzausschuss empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Gesetzentwurf in der vom Ausschuss geänderten Fassung anzunehmen.”
Bei der namentlichen Abstimmung im Deutschen Bundestag über eben dieses jetzt vom Bundesfinanzhof für verfassungswidrig gehaltene Gesetz hat schließlich Otto Schily als einziger SPD-Bundestagsabgeordneter gegen das Gesetz gestimmt.
Daraus lassen sich nun wahrlich keine “Befürchtungen”, wie sie Poß jetzt nach der Bekanntgabe des Bundesfinanzhofes in die Welt setzt, herauslesen.
Zu diesem Befund sei ergänzend auch noch eine Passage aus einer Rede des Bundestagsabgeordneten Otto Bernhardt (CDU/CSU) am 27.11.2008 zitiert, der am Tag der Abstimmung als letzter für die Große Koalition den Gesetzentwurf verteidigte, bevor dieser zur namentlichen Abstimmung gestellt wurde, und zu der “Beifall bei Abgeordneten der SPD” protokolliert ist:
“75 Prozent aller Firmen werden beim Übergang auf die
nächste Generation überhaupt keine Steuern mehr zahlen.
Handwerksbetriebe und landwirtschaftliche Betriebe
fallen zu über 90 Prozent heraus.
Bei der nächsten Zahl habe ich den Eindruck, dass sie
zu Verwirrung führt: Ein anerkannter Steuerwissenschaftler
kommt in einer Untersuchung zu dem Ergebnis,
dass neun von zehn Firmen, die heute Erbschaftsteuer zahlen müssten, durch das neue Recht bessergestellt werden.
Aber diese Firmen kommen nicht zu mir und sagen
Danke. Die 10 Prozent, die mehr zahlen müssen, kenne
ich inzwischen alle, glaube ich. In der Tat handelt es sich
dabei um ganz große Familienunternehmen. Diesen haben
wir aber nun mit der totalen Steuerfreiheit eine Tür
geöffnet. Natürlich stellen die 10 Prozent Verwaltungsvermögen
eine Grenze dar. Aber diese Firmen sind sehr
innovativ. Sie ahnen nicht, wie schnell sie ihre Beteiligungen
und Verwaltungsvermögen in andere Gesellschaften
überführen und die Möglichkeit der Steuerfreiheit
nutzen. Auch hier sind Sorgen nicht angebracht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)”
Federführend für den “Vorgangsablauf” des Gesetzentwurfes, wie es im Bundestagsdeutsch so nüchtern heißt, war das Bundesministerium der Finanzen. Der damalige Bundesfinanzminister ist der heutige SPD-Kanzlerkandidat: Peer Steinbrück.
Steinbrück hatte in seiner Funktion als Bundesfinanzminister, gemeinsam mit dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, bereits die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer geleitet, die am 6. Juli 2007 ihre Arbeit aufnahm und diese am 5. November 2007 abschloss. Ihre Ergebnisse bildeten die Grundlage für den anschließenden Gesetzgebungsprozess.
Um ja keine “Befürchtung” zu übersehen, erschien es mir auch geboten, die Rede Steinbrücks in der Bundestagsdebatte nachzulesen. Und die ist durchaus erhellend. Verweist Steinbrück doch gleich einleitend darauf, dass CDU/CSU und SPD sich bereits in den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag über den Punkt einig geworden seien, der unter anderem jetzt den Bundesfinanzhof dazu bewogen hat, das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
Steinbrück in seiner Rede am 27. November 2008:
“Wir waren uns insbesondere über einen sehr wichtigen
Punkt einig, nämlich dass der Betriebsübergang im
Sinne der Mittelstandsförderung in Deutschland verbessert
werden sollte.”
Steinbrück weiter:
“Ich will mich zunächst auf das Thema Betriebsübergang
konzentrieren, weil es in vielen Reden die größte
Rolle gespielt hat. Was wir über ein Abschmelzmodell
verabredet haben und was jetzt gefunden worden ist, hat
es vorher nie gegeben. Das sage ich allen Kritikern, die
so tun, als ob das, was jetzt gefunden worden ist, irgendeinen
Nachteil für den Betriebsübergang darstellen
würde. Ich wundere mich über eine solche Bewertung.
Es hat – jetzt nenne ich es beim Namen – ein solches
Erbschaftsteuerprivileg für die Vererbung von Betriebsvermögen
in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland bisher noch nicht gegeben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)”.
Steinbrück hat die Einschätzung des Bundesfinanzhofs von heute also bereits vor der Abstimmung vorweggenommen. Wo der Bundesfinanzhof von einem “Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes” spricht, spricht Steinbrück von “Erbschaftssteuerprivileg für die Vererbung von Betriebsvermögen”. Er “befürchtet” aber nichts, sondern er feiert oder verteidigt es zumindest vehement als etwas, was es “in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat” – und erhält laut Protokoll “Beifall bei der SPD” und nicht etwa sorgenvolle Zwischenrufe.
Steinbrück unmittelbar weiter:
“Bisher musste die Vererbung von Betriebsvermögen
selbstverständlich versteuert werden. Wir kommen jetzt
zu der Regelung, dass bei einer bestimmten Option
85 Prozent oder bei einer anderen Option sogar
100 Prozent der Erbschaftsteuer gestundet werden oder
dass das Erbe sogar keiner Besteuerung unterliegt.”
Helau! Möchte man da rufen – als beschenkter Erbe von Betriebsvermögen.
Fast bedauernd und nicht “befürchtend” klingt Steinbrück da, wenn er fortfährt:
“Alle wissen – insbesondere diejenigen, die einen größeren juristischen
Sachverstand als ich haben –, dass ein solches
Erbschaftsteuerprivileg nur auf der Basis einer Gegenleistung
gegeben werden kann, weil es sonst verfassungswidrig
ist. Denn ansonsten wäre das gegenüber der
Vererbung privaten Vermögens gleichheitswidrig.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Natürlich ist das so!)
Das heißt, man kommt um die Konstruktion einer solchen
Gegenleistung überhaupt nicht herum. – Selbstverständlich
ist das so. – Denn ansonsten hätte ein solches
Gesetz bei einer verfassungsrechtlichen Überprüfung
nicht von hier bis zur nächsten Tür Bestand.
Insofern kann sich doch niemand darüber aufregen.”
Man musste also etwas, eine “Gegenleistung”, “konstruieren”! Man kam “um die Konstruktion einer solchen Gegenleistung” einfach nicht herum!
Steinbrück unmittelbar weiter:
“Insofern kann sich doch niemand darüber aufregen,
dass, wenn ein solches Erbschaftsteuerprivileg gewährt
wird, eine solche Gegenleistung eingefordert werden
muss.”
Man hört fast ein “Nur” vor “insofern” mit, wenn Steinbrück sich so zum Retter der Enterbten aufschwingt.
Steinbrück hält es in seiner Rede auch für einen “ziemlich gut nachprüfbaren Tatbestand”, auf die Lohnsumme abzustellen, um eine “Gegenleistung” für das “Erbschaftssteuerprivileg” zu definieren. Auf die “Anzahl der Arbeitsplätze” eines Betriebes wollte er hingegen in keinem Fall abstellen und seine Argumentation klingt eben, wie sollt es anders sein, wie die eines echten Agenda-2010-Politikers:
“Wir alle wussten allerdings auch, dass die Gegenleistung nicht
auf die Anzahl der Arbeitsplätze abstellen kann. Denn es
kann doch nicht irgendeine Zahl festgelegt werden, die
sich dann quasi wie eine Schlinge um den Hals der Mittelständler
legen würde. Das Motto muss demgegenüber
sein: Sie müssen innerhalb eines Konjunkturzyklus auch
atmen können. Das heißt, es muss sich um eine Lösung
handeln, die dieses Atmen über einen Zeitraum von sieben
oder zehn Jahren zulässt.”
Lassen wir das jedoch einfach mal so stehen und schauen, was der Bundesfinanzhof zum “Erbschaftssteuerprivileg” und zum “Arbeitsplatzerhalt” bzw. der “Lohnsumme”, die er mit einer ganz anderen Argumentation als “Begünstigungsgrund” ablehnt, schreibt:
“Im Einzelnen stützt der BFH seine Vorlage auf folgende Gesichtspunkte:
1. Die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften oder Anteilen daran stelle eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte und damit verfassungswidrige Überprivilegierung dar (Rz. 82 bis 94). Es könne nicht unterstellt werden, dass die Erbschaftsteuer typischerweise die Betriebsfortführung gefährde (siehe Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim BMF 01/2012; Rz. 89 ff.); es gehe weit über das verfassungsrechtlich Gebotene und Zulässige hinaus, Betriebsvermögen ohne Rücksicht auf den Wert des Erwerbs und die Leistungsfähigkeit des Erwerbers freizustellen, und zwar auch dann, wenn die für eine Erbschaftsteuerzahlung erforderlichen liquiden Mittel vorhanden seien oder – ggf. im Rahmen einer Stundung der Steuer – ohne weiteres beschafft werden könnten (Rz. 87).
Der Begünstigungsgrund „Arbeitsplatzerhalt“ erweise sich als nicht tragfähig, weil weit mehr als 90 % aller Betriebe nicht mehr als 20 Beschäftigte hätten (Rz. 48) und schon deshalb nicht unter die „Arbeitsplatzklausel“ fielen und ferner das Gesetz Gestaltungen zulasse, die es in vielen Fällen auf einfache Art und Weise ermöglichten, dass es für die Gewährung des Verschonungsabschlags auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten im Ergebnis nicht auf die Entwicklung der Lohnsummen und somit auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen in dem Zeitraum nach dem Erwerb ankomme (Rz. 143 bis 148 mit Beispielen).”
Ach, eines soll abschließend nicht unerwähnt bleiben: Auch Joachim Poß ist an der Debatte beteiligt, wenn auch nur als Zwischenrufer. Statt Befürchtungen zu äußern gegenüber Steinbrücks Worten, sind von ihm nur zustimmende, ja, anfeuernde Worte zu hören: “Genauso ist es!” Und: “So ist es!” “(Joachim Poß [SPD])”. So ist Poß im Protokoll des Deutschen Bundestages verewigt.
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