Im fünften Alterssicherungsbericht der Bundesregierung, der Wirtschaft und Gesellschaft vorliegt, heißt es: “Insgesamt ist die heutige Rentnergeneration nur zu einem sehr geringen Anteil auf Grundsicherung im Alter angewiesen.” Dem Alterssicherungsbericht der Bundesregierung liegen Zahlen aus Ende 2010 zugrunde. Heute hat das Statistische Bundesamt Zahlen aus Ende 2011 veröffentlicht. Danach ist die Zahl der Empfänger von Grundsicherung in nur einem Jahr um 5,9 Prozent auf 844.000 gestiegen. “Die Grundsicherung wird vor allem von Personen im Rentenalter ab 65 Jahren in Anspruch genommen”, hält das Statistische Bundesamt fest.
Einen möglichen, schon heute zu beobachtenden rapiden Anstieg von auf Grundsicherung angewiesenen Menschen im Rentenalter thematisiert der Alterssicherungsbericht jedoch nicht.
Die Bundesregierung zitiert stattdessen aus ihrem Koalitionsvertrag und zeigt damit, dass sie das jetzt auch durch die aktuellen vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen aufgezeigte Problem einer schon heute steigenden Altersarmut nicht im Blick hat:
“Wir verschließen die Augen nicht davor, dass durch veränderte wirtschaftliche und demographische Strukturen in Zukunft die Gefahr einer ansteigenden Altersarmut besteht.”
Auf dieser Grundlage müssen auch die im Alterssicherungsbericht vorgeschlagenen Instrumente zur Bekämpfung gegen Altersarmut bei der Bewältigung der schon jetzt in die Grundsicherung fallenden Menschen scheitern. Die Bundesregierung setzt auf private Vorsorge, ein Instrument, das langfristig angelegt ist, muss dazu aber selbst hilflos feststellen: “Allerdings sorgen gerade Geringverdiener noch zu wenig zusätzlich vor.” Einleitend heißt es dazu:
“Auffällig ist, dass insbesondere Bezieher geringer Einkommen noch zu wenig zusätzlich für das Alter vorsorgen. Rund 42 Prozent der Geringverdiener, das sind knapp 1,8 Mio. der gut 4,2 Mio. erfassten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit einem Bruttolohn von weniger als 1.500 Euro pro Monat, haben weder eine betriebliche Altersversorgung noch einen Riester-Vertrag.”
Das hindert die Bundesregierung freilich nicht daran, auf dieses auch ganz grundsätzlich zu kritisierende System der privaten Altersvorsorge zu setzen; im Gegenteil: Der Alterssicherungsbericht liest sich in großen Teilen wie eine Werbebroschüre aus der privaten Versicherungswirtschaft. So heißt es bereits einleitend:
“Die zusätzliche Altersvorsorge wird zukünftig immer wichtiger werden. Dies belegen auch Modellrechnungen zur Entwicklung des Gesamtversorgungsniveaus: Die aus Gründen der Generationengerechtigkeit erforderlich Absenkung des Sicherungsniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung kann durch zusätzliche Vorsorge ausgeglichen werden.”
Weder belegt die Bundesregierung, dass die Absenkung des Rentenniveaus aus Gründen der Generationengerechtigkeit erforderlich ist (die Rentenniveaus unserer Nachbarländer sprechen eine andere Sprache), noch berücksichtigt sie hier ihre eigene, an anderer Stelle festgehaltene Tatsache, dass viele eben nicht die Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus durch zusätzliche Vorsorge ausgleichen können. Völlig ausgeblendet bleibt darüber hinaus, dass die “zusätzliche Vorsorge” natürlich ebenfalls der Logik jeder demographischen Entwicklung unterliegt und keineswegs “kapitalgedeckt” ist.
Vor diesem Hintergrund erscheint es auch problematisch, dass der Alterssicherungsbericht mit einem Gesamtversorgungsniveau arbeitet, wozu die Bundesregierung sogar gesetzlich verpflichtet ist. Neben der gesetzlichen Rente werden darin auch die Riester-Rente und die Privat-Rente einbezogen. Und es heißt dazu:
“Das Gesamtversorgungsniveau soll für ´typische´ Rentnerinnen und Rentner berechnet werden, um den Einfluss von verschiedener (Erwerbs-)Biografien vor dem Hintergrund der Reformmaßnahmen auf die Einkommenssituation im Alter aufzuzeigen”
Damit wird die private Vorsorge als fester Bestandteil der Rente weiter hoffähig gemacht, zum Normalfall bzw. für “typisch” erklärt, obwohl viele Menschen sich diese private Vorsorge nicht leisten können – und obwohl, aufgrund dessen, dass einige Studien die Sicherheit und Rentabilität der Riesterrente grundsätzlich in Frage gestellt haben, auch mehr und mehr Menschen, die sich die Riester-Rente leisten könnten, davon Abstand nehmen.
Die Bundesregierung hält dazu einerseits fest:
“Dabei wird die gesetzliche Rente relativ an Bedeutung verlieren, bis zum Jahr 2030 sinkt das Bruttorentenniveau auf 40,5 Prozent. Dieser Rückgang wird vor allem durch den Aufbau der Riester-Rente, aber auch durch die Privat-Rente überkompensiert.”
Sie rechnet dann zwar auch Modelle für Geringverdiener durch, kommt aber insgesamt zum Ergebnis:
“Die Ergebnisse für die einzelnen Modellfälle zeigen, dass das Netto-Gesamtversorgungsniveau in allen Fällen langfristig steigt. Die Dämpfung der Rentensteigerung und der Einfluss des Übergangs auf die nachgelagerte Besteuerung auf das Netto-Gesamtversorgungsniveau wird kompensiert, wenn ein geförderter Altersvorsorgevertrag bedient und die Steuerersparnis aus der Steuerfreistellung der Rentenversicherungsbeiträge für eine zusätzliche private Altersvorsorge verwendet wird.”
Andererseits heißt es aber eben zur Riester-Rente:
“Hinsichtlich der Entwicklung im Zeitverlauf ist festzustellen, dass der Aufwuchs der Anwärterzahlen in der betrieblichen Altersversorgung in den Jahren 2001 bis 2005 sehr dynamisch erfolgte, in den letzten Jahren aber deutlich an Schwung verloren hat. Seit 2005 ging der Anstieg in etwa mit der wachsenden Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einher. Auch bei der Zahl der neu abgeschlossenen Riester-Verträge hat sich die Entwicklung zuletzt abgeflacht. In den letzten Jahren lag der Zuwachs bei den Riester-Verträgen bei jeweils etwa einer Million Verträge. Im ersten Halbjahr 2012 sind dagegen nur etwa 0,2 Mio. neue Verträge hinzu gekommen. Die Gründe dafür dürften u.a. in der aktuellen Finanz-markt- und Staatsschuldenkrise liegen, die zu einer zunehmenden, grundsätzlichen Skepsis gegenüber kapitalgedeckten Altersvorsorgesystemen geführt hat. Auch die Negativberichterstattung über die Riester-Rente in vielen Medien dürfte ebenfalls demotivierend auf viele Bürgerinnen und Bürger gewirkt haben.”
Diese “Negativberichterstattung” aber hat die Bundesregierung offensichtlich nicht dazu bewogen, die private Altersvorsorge neu zu hinterfragen, und sie hat sie schließlich auch nicht davon abgehalten, sie als feste zusätzliche Einnahmequelle für den “typischen Rentner” zu unterstellen.
Bermerkenswert übrigens auch, wie die einschlägigen Medien, die durchgesickerte Botschaft der Bundesregierung – “Die heutige Rentnergeneration ist überwiegend gut versorgt.” – in ihren Schlagzeilen weitgehend kritiklos nachbeten.
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