Schäuble: Wenn Spiegel richtig berichtet, will Schäuble EU entdemokratisieren – eine Lösung für die Eurokrise hat er nicht

Bevor wir uns vor allem mit einem Punkt in einem Beitrag auf Spiegel online über einen vermeintlich neuen “Masterplan” des Bundesfinanzministers auseinandersetzen, muss erstmal festgehalten werden, dass der Tenor des Beitrags von Sven Böll kaum zu ertragen ist: Da reißt allen voran Deutschland mit seinen wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen die Eurozone immer tiefer in die Krise, treibt immer mehr Menschen in die existienzielle Verzweiflung, und was fällt Sven Böll dazu ein? Er bejubelt die Deutschen! Hier eine Geschmacksprobe:

“Klamme Griechen, ermattete Europäer – Deutschland ist entschlossen, beide Probleme nun dauerhaft zu lösen. Das hat Schäuble klargemacht, wenn auch fernab der Heimat.”

Deutschland rettet die Welt – wenn es nach Sven Böll und wohl auch nach Wolfgang Schäuble geht. Propagandapolitisch ein Meisterstück.

Begeistert berichtet Böll, wie der deutsche Finanzminister Griechenland Absolution erteilt und findet selbst dessen Defizite in Englisch “wunderbar”, er ist ja aber auch niedlich unser Bundesfinanzminister:

“Das hat Schäuble klargemacht, wenn auch fernab der Heimat. Griechenland werde schon nicht pleitegehen, versicherte er am Sonntag in der Finanzmetropole Singapur. Dort sprach der 70-Jährige den wunderbaren Satz: ´There will be no Staatsbankrott in Greece.”

Und Böll zitiert Schäuble:

“Wir müssen jetzt einen großen Schritt in Richtung Fiskalunion gehen, der über die bisherigen Vorschläge hinausgeht´, forderte Schäuble in der vergangenen Nacht auf dem Rückflug nach Berlin, mitten über dem Indischen Ozean.”

“Mitten über dem Indischen Ozean”! Was für ein Held, unser Finanzminister. Wer bitteschön wäre sonst dazu in der Lage mitten über dem Indischen Ozean irgendetwas zu fordern!

“Der leidenschaftliche Europäer Schäuble will sich auf wenige Reformen konzentrieren, die es allerdings in sich haben”, so Böll weiter; und diese “Reformen” hätten es, wenn sie denn verwirklicht würden, in der Tat in sich. Nur eines kann derjenige nicht sein, der so etwas vorschlägt: Weder ein leidenschaftlicher Europäer, noch ein leidenschaftlicher Demokrat! Ein bornierter Haushaltspolitiker ist aber sofort erkennbar.

Hier Schäubles erster Vorschlag:

“Der EU-Währungskommissar soll genauso mächtig werden wie sein für Wettbewerb zuständiger Kollege. Letzterer kann Entscheidungen alleine treffen, er muss dafür nicht die Zustimmung der anderen Kommissare einholen. Wäre der Währungskommissar bei Entscheidungen wirklich unabhängig, würde seine Funktion entpolitisiert. Dann könnte nach Inhalten und nicht mehr nach Interessen entschieden werden.”

Ein Einzelner, nicht gewählter Komissar würde dann über die Budgets und damit über die sozialen und wirtschaftlichen Geschicke einzelner Länder entscheiden. Was für ein merkwürdiges Demokratieverständnis auch von Böll, der meint, “dann könnte nach Inhalten und nicht mehr nach Interessen entschieden werden.” Gewährleistet wäre wohl allein, dass noch konsequenter als es schon jetzt der Fall ist, gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit entschieden würde – im dogmatischen Interesse ausgeglichener Staatshaushalte und eines ungezügelten, zerstörerischen Wettbewerbs, offensichtlich die einzigen Inhalte, die den Beteiligten geläufig sind. Auf der Strecke blieben umso mehr die schon jetzt gebeutelten Menschen, sozialer Fortschritt und wirtschaftlicher Wohlstand.

So versteht es durchaus auch Böll – allerdings bewertet er es positiv:

“Um den Währungskommissar zu stärken, müssen die Nationalstaaten auf einen Teil ihrer Haushaltssouveränität verzichten. Der europäische Top-Beamte soll das Recht erhalten, gegen die Budgets der Mitgliedsländer sein Veto einzulegen. Das Verfahren könnte so aussehen: Schickt ein Euro-Mitglied seinen Entwurf nach Brüssel, und sieht dieser nach Ansicht des Kommissars ein zu hohes Defizit vor, muss das Parlament des Landes einen neuen Vorschlag ausarbeiten. Welche Einnahmen erhöht oder Ausgaben gesenkt werden, soll zwar nationale Angelegenheit bleiben. Trotzdem bedeutet der Vorschlag eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Status quo: Bislang kann die EU-Kommission einem Land nur empfehlen, seinen Haushalt nachzubessern.”

Der zweite Punkt – mehr hat dieser “Masterplan” nicht zu bieten – kann vor diesem Hintergrund getrost als demokratisches Feigenblatt bezeichnet werden:

“Außerdem will Schäuble die europäische Politik besser demokratisch legitimieren. Das EU-Parlament soll grundsätzlich früher an allen wichtigen Prozessen beteiligt werden. Zudem soll die Volksvertretung nicht immer alle Parlamentarier umfassen, sondern in flexiblen Zusammensetzungen tagen. Das würde bedeuten: Es stimmen immer nur die Abgeordneten der Länder ab, die von einer Entscheidung betroffen sind. Geht es um Themen der Euro-Zone, kommen entsprechend die Vertreter der 17 Länder der Währungsunion zusammen – und nicht die aller 27 EU-Staaten. Charmant an diesem Vorschlag ist vor allem, dass er das Demokratiedefizit Europas verringert, ohne die schwer verständlichen Entscheidungswege noch komplizierter zu machen.”

Wie man das “charmant” finden kann, weiß wohl nur Böll selbst. Jedem wirklich leidenschaftlichen Europäer und Demokraten kann es dabei nur schaudern. Eine Lösung für die der Eurokrise zugrundeliegenden Problem – die seit Jahren auseinanderlaufende Wettbewerbsfähigkeit und die im Verlauf der Krise kontraproduktiven Ausgabenkürzungen in den öffentlichen Haushalten – ist hierin ohnehin nicht zu erkennen.

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