Gravierende Irreführung durch die Medien
Wie zu erwarten, wird bereits wieder Stimmung gegen die gestern auf dem Berliner Landesparteitag von der SPD beschlossene Verhinderung weiterer Kürzungen des Rentenniveaus gemacht. So schreibt die BZ-Berlin in ihren News aus Berlin vom 28.10.2012 unter dem Abschnitt “Partei setzt auf höhere Beiträge”: “Für Beitragszahler bedeutet der SPD Rentenplan eine Mehrbelastung. Ein Durchschnittsverdiener müsste für jeden weiteren Prozentpunkt 13 Euro mehr im Monat an Beitrag bezahlen. Bei einem zu erwartenden Anstieg um 3,5 auf 22 Prozent wären das somit 45,50 Euro zusätzlich”.
Dies ist eine gravierende Irreführung, denn die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung sind hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu tragen. Auch ist in dem Riesterreform-Gesetz 2001 mit der gravierenden Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent vorgesehen, dass der Beitragssatz 2020 auf 20 Prozent und 2030 auf 22 Prozent ansteigt, dann allerdings festgeschrieben werden soll. Darum geht es vor allem in dem Paradigmenwechsel der Rentenversicherung durch die Riesterreform: Arbeitgeber sollen entlastet und Arbeitnehmer als Beitragszahler sowie Rentner weiter belastet werden.
Abwälzung des Arbeitgeberanteils auf die Arbeitnehmer
Den massiven Ausfall bei den von den Arbeitgebern hälftig mit finanzierten gesetzlichen Renten sollen die Arbeitnehmer alleine mit dem Aufbau einer kapitalgedeckten Privatversicherung vornehmen und hierfür bis zu 4 Prozent ihres Bruttoeinkommens bezahlen. Die staatliche Förderung durch Zuschüsse und Steuererleichterungen kommen vor allem den höher Verdienenden zugute. Die unteren Einkommensgruppen mit dem höchsten Risiko der Altersarmut sind kaum in der Lage, eine Riesterrente anzusparen.
Die ungenierte “Abzocke” privater Versicherer bei ihren “Riester”-Kunden, die unübersehbaren Risiken auf den Finanzmärkten sowie die Anrechnung der Riesterrenten auf die Grundsicherung verringern verständlicherweise das Interesse am “Riestern”.
Durchschnittsverdiener kommen bei der gesetzlichen Rente besser weg
Der Durchschnittsverdiener müsste für die Verhinderung einer weiteren Absenkung des Rentenniveaus unter 50 Prozent des Nettoeinkommens vor Steuern – wie im Rentenkonzept der SPD Berlin vorgesehen – ab 2014 0,1 Prozent mehr leisten. Das sind 2,60 Euro im Monat, also weit weniger als sie für die kapitalgedeckte Riesterrente aufbringen müssen. Dafür könnte verhindert werden, dass die Durchschnittsrenten von 867 Euro für Männer um 122 Euro niedriger wären, wenn heute bereits das abgesenkte Rentenniveau von 43 Prozent gelten würde. Viele Männer in West und Ost und die Mehrzahl der Frauen würden dann unter die Armutsgrenze fallen. Dies gilt allerdings ohne eine weitere Absenkung des Rentenversicherungsbeitrags von derzeit 19,6 Prozent.
Die von der Bundesregierung beschlossene Absenkung der Beiträge auf 18,9 Prozent würde den Durchschnittsverdiener gerade einmal um etwa 8 Euro im Monat entlasten. Dies steht in keinem Verhältnis zu den gravierenden Verschlechterungen der Altersrenten bei einem drastisch auf 43 Prozent abgesenkten Rentenniveau. Mit gutem Grund haben sich bei einer kürzlichen Befragung von Forsa 80 Prozent gegen die Absenkung der Rentenbeiträge ausgesprochen. Es entspricht daher dem erklärten Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung, dass die in der Rentenversicherung auf 25 Mrd. Euro angewachsenen Überschüsse für eine ausreichende Mindestreserve und die Rücknahme der gravierenden Leistungsverschlechterungen vor allem beim Rentenniveau eingesetzt werden. Darüberhinaus könnten damit auch die dringend erforderliche Verbesserung der Erwerbsminderungsrenten – heute schon häufig nahe bei oder unter der Armutsgrenze – finanziert werden sowie die Aussetzung der von einer breiten Bevölkerungsmehrheit ebenfalls abgelehnten Rente mit 67.
Finanzieller Spielraum auch für Rentenangleichung Ost-West vorhanden
Finanzieller Spielraum wäre ebenfalls noch vorhanden, die über zwei Jahrzehnte nach der Deutschen Einheit bestehende Schlechterstellung der Ost- gegenüber den Westrenten endlich zu beheben. Auch hierzu enthält der vom Landesparteitag der SPD Berlin beschlossene Rentenantrag eine klare Festlegung. Gewerkschaften und Sozialverbände haben bereits seit längerem ein Stufenkonzept für die organisatorische und finanzielle Umsetzung der Rentenangeichung Ost-West vorgelegt.
Bürgermeister, Senat und Abgeordnetenhaus von Berlin sind aufgefordert, für die Verhinderung einer weiteren Absenkung des Rentenniveaus und die Verbesserung der Erwerbsminderungsrenten sowie die Rentenangleichung Ost-West in der SPD und im Bundesrat “nicht nur den Mund zu spitzen, sondern auch zu pfeifen”.
Dr. Ursula Engelen-Kefer war von 1990 bis 2006 stellvertretende DGB-Vorsitzende und von 1984 bis 1990 Vizepräsidentin der damaligen Bundesanstalt für Arbeit. Von 1980 bis 1984 leitete sie die Abteilung Arbeitsmarktpolitik einschließlich der Internationalen Sozialpolitik beim DGB. Heute arbeitet sie als Publizistin in Berlin (www.engelen-kefer.de).
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