SPD: Nebelkerzen um Zukunft der Rente – Ein Gastbeitrag von Ursula Engelen-Kefer

Ursula Engelen-Kefer

Vom Wochende gibt es zwei unterschiedliche Voten von SPD-Landesverbänden aus Berlin und Nordrhein-Westfalen zur Zukunft der Rente. Wichtig dabei ist: Es geht um den Streit in der SPD um die Höhe des Rentenniveaus und damit der Rentenleistungen, der auf einem kleinen Parteitag der Bundes-SPD Ende November beigelegt werden soll.

Der Landesparteitag der SPD Berlin hat sich gerade dafür ausgesprochen, das Rentenniveau nicht unter die derzeitigen 50 Prozent des Nettoeinkommens vor Steuern absinken zu lassen. Damit würde der in der Riester-Reform vorgesehene Absturz bis auf 43 Prozent und damit in die massenhafte Altersarmut vermindert werden.

Die SPD NRW hat sich auf eine angebliche Kompromiss-Linie geeinigt: Danach soll der Rentenabfall bis 2020 weiterlaufen. Erst dann wäre zu entscheiden, ob die anstehenden Reformen auf dem Arbeitsmarkt durch Einführung eines Mindestlohnes ausreichen, das Rentenniveau zu stabilisieren oder ob ein gesetzlicher Eingriff erforderlich ist.

Verheerendes Signal für Millionen Rentnerinnen und Rentner

Die politische und mediale Propagandamaschine läuft bereits auf vollen Touren. Der Vorschlag der SPD von NRW, der politischen Heimat des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, wird als Kompromiss für den Parteitag der Bundes-SPD Ende November gepriesen. Dies ist ein verheerendes Signal für die Millionen von Altersarmut betroffenen und bedrohten Menschen in Deutschland. Danach würde der Abfall des Rentenniveaus bis 2020 auf 46 Prozent ungehindert fortschreiten, bevor überhaupt begonnen werden könnte, einen Einhalt politisch vorzubereiten.

Zudem dürfte die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von 8,50 Euro kaum mehr die Spirale in die Altersarmut aufhalten können. Nach zahlreichen wissenschaftlichen Gutachten wäre dazu ein Mindestlohn von über 12 Euro in der Stunde erforderlich.

Dringend erforderlich zur Verhinderung von Altersarmut ist weiterhin die Reregulierung der “Hartz-Sündenfälle” – gesetzliche Schleusenöffnungen bei Leiharbeit, befristeter Beschäftigung und vor allem den Minijobs.

Unbeantwortet bleibt die “Gretchenfrage”, mit welchen Mehrheiten die SPD diese Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt überhaupt durchsetzen will – vor allem, wenn sie mit solchen angeblichen Rentenkompromissen in den Wahlkampf geht.

Bleibt nur die vage Hoffnung, dass der Parteitag diesem Rentenvotum von NRW nicht folgt, sondern sich zumindest dem Rentenbeschluss der SPD Berlin anschließt.

Sie schwindet allerdings nach dem Interview des Juso Vorsitzenden Sascha Vogt von heute Morgen im Deutschlandfunk. Während die Jusos mit den Linken in der SPD sowie den Arbeitskreisen der Arbeitnehmer und der Frauen bislang die Rentenlinie der SPD Berlin unterstützt haben, das Rentenniveau nicht unter 50 Prozent abstürzen zu lassen, hat Vogt die dazu erforderliche gesetzliche Änderung zu einer “technischen Frage” herabgewürdigt und den Vorschlag von NRW als einen ersten Schritt der Verständigung gewürdigt.

Wer das parteitaktische Spiel kennt, weiß genau, dass damit einer der weniger werdenden “Aufrechten” in der SPD dabei ist, umzufallen. Fragt sich, wieweit ihm die Jusos dabei folgen und ob es genügend “Zivilcourage” bei den Linken, den Arbeitnehmern, Gewerkschaften und Frauen in der SPD-Spitze gibt, diesen rentenpolitischen “Umfall” aufzuhalten.

Dabei geht es bei der Rentenpolitik um wesentliche Entscheidungen für die SPD. Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel hat sich in seinem schon vor Wochen vorgelegten Rentenkonzept eindeutig darauf festgelegt, dass der in der Riester-Reform von 2001 gesetzlich festgelegte massive Absturz des Rentenniveaus auf bis zu 43 Prozent des Nettoeinkommens vor Steuern nicht aufgehalten werden soll.

Die selbst nach amtlichen Rentenberichten damit drohende Altersarmut soll durch eine steuerfinanzierte Solidarrente für langjährig Versicherte Geringverdiener bis auf etwa 850 Euro im Monat abgemildert werden. Darüber hinaus bleibt die Regelung, dass Versicherte mit 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente gehen können.

Gabriel setzt zudem den Paradigmenwechsel der Riesterrente in die Privatisierung fort: Zum Ausgleich der gravierenden Kürzungen bei der gesetzlichen Altersrente sollen die Tarif- und Betriebsrentenmodelle gestärkt werden. Dabei nimmt er in Kauf, dass die am meisten von Altersarmut betroffenen und bedrohten Menschen am wenigsten von diesen Regelungen profitieren können. Hinzu kommt, dass die Tarif- und Betriebsrenten vorwiegend für Mitarbeiter in Großbetrieben gelten und sozialversicherungs- sowie steuerfrei sind. Damit müssen auch die große der Mehrheit der Arbeitnehmer in den kleineren Betrieben und vor allem den expandierenden Dienstleistungssektoren mit oft niedrigen Einkommen den Ausfall an Beiträgen auch für die Rentenversicherung zahlen und/oder Verschlechterungen der Rentenleistungen hinnehmen. In den Genuss einer Betriebsrente werden sie allerdings kaum kommen.

Diese Beitrags-Subventionierung von Tarif- und Betriebsrenten soll in dem Rentenkonzept von Gabriel zwar in Zukunft entfallen. Aber an dem jetzt bereits wieder laut werdenden Widerstand der betroffenen Gewerkschaften hat sich auch schon Walter Riester als damaliger Bundesarbeitsminister und Initiator der Riester-Reform die Zähne ausgebissen.

Dynamische Altersrente wieder herstellen

Es ist daher ein richtiger und mutiger Schritt, wenn der Landesparteitag der SPD Berlin gerade beschlossen hat, keinen weiteren Absturz des Rentenniveaus hinzunehmen und die jetzigen 50 Prozent des Nettoeinkommens vor Steuern festzuschreiben. Allerdings kann dies nur ein erster Schritt sein, dem weitere zur Verbesserung der Rentenleistungen folgen müssen.

Zudem ist es auch ordnungspolitisch notwendig, die willkürlichen Manipulationen der Rentenleistungen nach unten durch die Riester- und Rürup-Reformen rückgängig zu machen und wieder zur dynamischen lohnbezogenen Altersrenten zurückzukehren. Nur dann werden die auf Pflichtbeiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern basierende gesetzliche Alterssicherung als wesentlicher Eckpfeiler unseres Sozialstaates und mit ihr weit über 20 Millionen Menschen in Deutschland eine sichere Zukunft haben.

Bereits heute liegen die durchschnittlichen Altersrenten zwischen 755,91 Euro in Baden Württemberg und 682,70 Euro in Bremen, dort also nur knapp über der Grundsicherungsgrenze. Bei einem Absinken des Rentenniveaus auf 43 Prozent würden die Renten heute zwischen 650,08 Euro in Baden Württemberg und 587,12 Euro in Bremen und damit für die große Mehrheit der Rentner unterhalb der Armutsgrenze liegen.

Dies gilt wohlgemerkt für den Durchschnittsrentner, während Frauen, sowie eine zunehmende Zahl von Männern in Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung bereits heute und ein Vielfaches mehr bei einem Rentenniveau von 43 Prozent Altersrenten nur noch weit unter der Existenzsicherung erhalten.

Wenig überzeugend ist die im vorliegenden Entwurf des Alterssicherungsberichts der Bundesregierung verabreichte Beruhigungspille: Die Haushaltseinkommen der Rentner seien erheblich höher. Das Statistische Bundesamt hat gerade Alarm geschlagen: “So viele Rentner wie nie brauchen Grundsicherung”.

Mit einem Anstieg von 24.000 armen Rentnern ist die Armutsquote innerhalb eines Jahres von 2,4 auf 2,6 angestiegen. Für Frauen im Westen beträgt sie bereits 3,2 Prozent. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten ist infolge der Kürzungen bei den gesetzlichen Altersrenten mit einem exponentiellen Anstieg der Altersarmut zu rechnen. Zudem sank die Kaufkraft der Rentner seit 2000 bereits um ein Fünftel infolge der ständigen Mehrbelastungen für die Gesundheitsversorgung und Pflege, mehrjährigen Nullrunden bei den Rentensteigerungen sowie anziehender Inflation.

Dr. Ursula Engelen-Kefer war von 1990 bis 2006 stellvertretende DGB-Vorsitzende und von 1984 bis 1990 Vizepräsidentin der damaligen Bundesanstalt für Arbeit. Von 1980 bis 1984 leitete sie die Abteilung Arbeitsmarktpolitik einschließlich der Internationalen Sozialpolitik beim DGB. Heute arbeitet sie als Publizistin in Berlin (www.engelen-kefer.de).

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