Warum die Bundestagsabgeordneten sorgenfrei das gesetzliche Rentensystem zerstören können

Wir haben an anderer Stelle berichtet, dass der Alterssicherungsbericht 2012 – der der Redaktion vorliegt – „sich in großen Teilen wie eine Werbebroschüre aus der privaten Versicherungswirtschaft“ liest. Warum die Bundesregierung und noch mehr die SPD-geführte rot-grüne Bundesregierung das gesetzliche Rentensystem zur Disposition gestellt haben, kann vielleicht ein anderer Sachverhalt erklären, den der Alterssicherungsbericht ausweist: Es sind die Altersentschädigungen der Bundes- und Landtagsabgeordneten.

„Die Altersentschädigung der Bundes- und Landtagsabgeordneten ist – angelehnt an andere öffentliche Ämter in der Bundesrepublik – eine öffentlich-rechtliche Altersversorgung ohne Beitragszahlung zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung“ heißt es dazu einleitend im Kapitel „Altersentschädigung der Bundes- und Landtagsabgeordneten“.

Über dieses Privileg ließe sich schon trefflich streiten. Zählen die Bundestagsabgeordneten, auf die wir uns hier konzentrieren wollen, mit einer monatlichen „Entschädigung“ von 7.668 Euro doch durchaus zu den Gutverdienern. Wenn es den Bundestagsabgeordneten wirklich um die Sicherung des gesetzlichen Rentensystems ginge, müssten sie doch als erstes dafür eintreten, sich daran zu beteiligen und nicht, sich davon auszunehmen.

Weiter heißt es ebenda:

„Das Grundgesetz bestimmt in Artikel 48 Absatz 3, dass die Abgeordneten einen Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung haben. Im Hinblick auf die mit der Übernahme eines Abgeordnetenmandats häufig einhergehende Unterbrechung des beruflichen Werdegangs, die gebotene Gleichbehandlung aller Abgeordneten und nicht zuletzt die Unabhängigkeit des Mandats wurde eine eigenständige Versorgungsform gewählt. Diese dient dazu, unabhängig von der sonstigen Altersabsicherung des Mandatsträgers, einerseits die versorgungsrechtlichen Nachteile auszugleichen und andererseits der Bedeutung des Mandats durch Anknüpfung an die Leistungen aktiver Parlamentarier gerecht zu werden. Abgeordnete werden während der Zeit ihrer Zugehörigkeit zu einer gesetzgebenden Körperschaft nicht durch die gesetzliche Rentenversicherung erfasst.“

Diese Begründung erscheint mit Verlaub nicht eben überzeugend, sondern sehr hingebogen. Hier der Artikel 48 Absatz 3 des Grundgesetzes im Original:

„(3) Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Sie haben das Recht der freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“

Das Grundgesetz sieht also keineswegs vor, dass die Abgeordneten nicht durch die gesetzliche Rentenversicherung erfasst werden, noch sieht es vor, irgendwelche „Nachteile auszugleichen und andererseits der Bedeutung des Mandats durch Anknüpfung an die Leistungen aktiver Parlamentarier gerecht zu werden“, wie es im Alterssicherungsbericht unter Anspielung auf das Grundgesetz heißt. Diese „Bedeutung“ schreiben sich die Parlamentarier nur selbst zu bzw. ein von ihnen ausgearbeitetes Bundesgesetz.

Altersarmut droht den Bundestagsabgeordneten – und das ist hier der eigentliche Aufhänger und nicht etwa eine Neid-Debatte – droht den Bundestagsabgeordneten wohl kaum. Im Alterssicherungsbericht heißt es hierzu:

„Der durchschnittliche monatliche Zahlbetrag lag im Dezember 2011 bei den Versorgungsempfängern in Bund und Ländern zwischen 3.004 Euro beim Deutschen Bundestag und 314 Euro in Hamburg (Teilzeitparlament), und bei den Hinterbliebenen zwischen 2.029 Euro beim Deutschen Bundestag und 384 Euro in Hamburg. Die Angaben beziehen sich nur auf die Zeit der Abgeordnetentätigkeit und lassen keine Aussagen hinsichtlich der Gesamtversorgung zu.“

Und:

„Der Gesetzgeber sieht in der Regel eine Mandatsdauer von mehr als einer Wahlperiode als Voraussetzung dafür vor, dass die Ansprüche aus dem bisherigen – vom jeweiligen Beruf abhängenden – Alterssicherungssystem durch Ansprüche aus dem Versorgungssystem der Abgeordneten ergänzt werden können. Seit dem 1. Januar 2008 beträgt für Abgeordnete des Deutschen Bundestages die Mindestmitglieds-dauer ein Jahr. Die Leistungen der Alters- und Hinterbliebenenversorgung, die in vollem Um-fang einkommensteuerpflichtig sind, werden zwölfmal jährlich gezahlt…Zur Absicherung im Krankheitsfall haben Versorgungsempfänger Anspruch entweder auf Beihilfe nach beamtenrechtlichen Maßstäben (Brandenburg: nur analoge Anwendung der Beihilfevorschriften) oder auf Zuschuss zu ihren Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen.“

Die Frage die sich hier stellt ist: Liegt es nicht nahe, dass diejenigen, die sich mit ihrer eigenen Alterssicherung so weit von der Alterssicherung der Bevölkerungsmehrheit entfernt haben, den Sinn für die Alltagsrealität von Rentnern und Beitragszahlern wie für das gesetzliche Rentensystem insgesamt verloren haben, weil sie selbst von ihrer Gesetzgebung – die Absenkung des Rentenniveaus, die Zerstörung der Rentenformel, die Rente mit 67 – überhaupt nicht betroffen sind? Und geht das so ausgestaltete Alterssicherungssystem nicht weit, allzu weit über die Vorgabe des Grundgesetzes in Artikel 48 Absatz 3 hinaus? Meine Antwort lautet ja.

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