Gerade gestern hat das Statistische Bundesamt neue Warnsignale für eine drohende Rezession auch in Deutschland gesendet. Der Wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn, schlussfolgerte gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft: “Die Folgen der Austeritätspolitik treffen jetzt auch Deutschland.”
Austeritätspolitik ist eine Politik, die vornehmlich auf staatliche Ausgabenkürzungen, Sozialabbau, Lohnsenkungen und “Flexibilisierung” des Arbeitsmarktes setzt, die die Arbeitnehmerseite nachhaltig schwächen. Was das bedeutet, erklärt vielleicht am besten die ursprüngliche englische Bedeutung des Wortes austerity: Entbehrung, Knappheit, Strenge. Streng ist das Regime, das den Krisenländern, aber auch Deutschland, das bald zu einem werden könnte, auferlegt wird; Entbehrung und Knappheit bedeuten die damit verbundenen sozialen Einschnitte und Lohnkürzungen und die im Zuge der Austeritätspolitik explodierende Arbeitslosigkeit für die Bevölkerung. Die mit dieser Politik einhergehende Ungleichheit bereitet selbst einem der Hauptbefürworter und Hauptverantwortlichen für diese Ausrichtung, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), Sorgen. Er thematisiert dies in seinem jüngsten Fiscal Monitor, in dem er eine ausführliche Bestandsaufnahme der Austeritätspolitik der vergangenen Jahre vornimmt – und kommt zu Schlussfolgerungen, die so gar nicht zu seiner politischen Praxis passen wollen:
“Groß angelegte und ausgedehnte Haushaltskonsolidierungen bedeuten mit großer Wahrscheinlichkeit soziale Opfer und mit ihr die zusätzliche Herausforderung, einer Verschärfung der durch die Anpassung und den diese begleitenden Wirtschaftsabschwung hervorgerufenen, steigenden Einkommensungleichheit vorzubeugen.
(Large and protracted fiscal consolidation is likely
to impose a social toll, raising the additional challenge
of how to prevent adjustment from exacerbating
the increase in income inequality accompanying
the downturn in growth.28 Studies confirm the
intuition that income inequality tends to rise during
periods of fiscal adjustment, especially when the
adjustment is based on a retrenchment in spending…)
…
Anpassungsmaßnahmen müssen vorsichtig ausgestaltet werden, um negative soziale Auswirkungen zu begrenzen und gleichzeitig ihre Nachhaltigkeit zu verbessern: Fiskale Anpassungen, die als unfair angesehen werden, werden kaum nachhaltig sein. Nachhaltigkeit setzt eine angemessene Progressivität bei der Besteuerung und einen angemessenen Zugang zu Sozialleistungen voraus. Kürzungen bei Transferleistungen, zum Beispiel, sollten daher von einer Vergrößerung des sozialen Sicherungsnetzes begleitet sein, unterstützt von Bedürftigkeitsprüfungen und effizienter Beobachtung. Gleichheit kann darüber hinaus durch Bekämpfung der Steuerhinterziehung verbessert werden, weil große Unternehmen und Vermögende einen größeren Anreiz haben, Steuern zu hinterziehen als Menschen mit niedrigen Löhnen, und weil erstere auch einen höheren Anteil ihres Einkommens aus Quellen beziehen, die es erleichtern, sie vor dem Finanzamt zu verstecken.
(Adjustment packages need to be carefully
designed to limit negative social effects and at the
same time improve their sustainability: fiscal adjustments
that are seen as unfair are unlikely to be
sustainable. This implies an appropriate degree of
progressivity in taxation and access to social benefits.
For example, transfer cuts should be accompanied
by an enhancement of social safety nets, supported
by means testing and efficient monitoring. Equity
can also be improved by combating tax evasion,
because large companies and wealthy individuals
have stronger incentives to avoid taxes than do lowwage
earners, and they may also receive a high share
of their incomes in forms that are easier to shield
from the scrutiny of tax authorities.)”
Heute nun, bestimmt der neue Bundeshaushalt die Nachrichten und die geringere Neuverschuldung, die er verspricht. Der Deutschlandfunk meldet heute früh in seinen 5 Uhr Nachrichten:
“Freitag, 09. November 2012 05:00 Uhr
Bundeshaushalt 2013 mit knapp über 17 Milliarden Euro Neuverschuldung
Die Neuverschuldung des Bundes soll 2013 geringer ausfallen als von Finanzminister Schäuble geplant. Wie der Haushaltsausschuss des Bundestages am frühen Morgen in seiner sogenannten Bereinigungssitzung beschloss, soll der Bund im kommenden Jahr 17,1 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Das sind 1,7 Milliarden Euro weniger als bisher vorgesehen. Der Etat, der mit den Stimmen der Koalition angenommen wurde, hat ein Gesamtvolumen von 302 Milliarden Euro. Der SPD-Haushaltspolitiker Schneider sprach von einem Wahlkampfhaushalt. Die neuen Mehrausgaben könnten nur mit Hilfe von Buchungstricks – etwa durch das Verschieben von Privatisierungserlösen – finanziert werden. Solide Haushaltspolitik sehe anders aus.”
Wie die sich mehrenden negativen Konjunkturindikatoren zeigen, ist das Versprechen einer geringeren Neuverschuldung jedoch ein äußerst vages. Das aber ist noch nicht einmal die entscheidende Kritik. Viel grundsätzlicher ist das Problem, dass die einseitige Sicht auf einen ausgeglichenen Bundeshaushalt die drängenden Probleme des Landes verdrängt. Deutschland hat jetzt schon eine beständig hohe Arbeitslosigkeit – das verschleiern die monatlichen Meldungen zur Arbeitslosigkeit und ihre Instrumentalisierung durch die Politik. Eine gewisse Arbeitslosigkeit gibt es immer; sie ist bedingt durch Arbeitsplatzwechsel und saisonale Einflüsse. Der Ökonom Claus Köhler sieht daher ein hohes Beschäftigungsniveau bei einer Arbeitslosenquote von 3 Prozent gegeben. Die deutsche Arbeitslosenquote beträgt schon jetzt mehr als das Doppelte – und sie soll, auch laut der aktuellen Prognose des Sachverständigenrates, weiter steigen.
Wirtschafts- und sozialpolitisch gesehen, müsste sich eine Opposition, die eine politische Alternative zur Bundesregierung aufzeigen möchte, darüber erkennbar abgrenzen, dass sie statt auf den Ausgleich des Bundeshaushalts als Ziel an sich auf ein Beschäftigungsziel setzt und entsprechend Maßnahmen aufzeigen, die geeignet sind, die Arbeitslosigkeit in Deutschland auf 3 Prozent zu senken. Damit wäre unmittelbar auch der Eurozone geholfen, denn es steht außer Zweifel, dass die damit verbundene Stärkung der Konjunktur sich auch als zusätzliche Nachfrage auf die Länder der Eurozone richtet. Ein nachhaltiger Ausgleich des Staatshaushalts wird mit einer Belebeung der Konjunktur ebenfalls wahrscheinlicher.
Dass die Opposition, namentlich die größte Oppositionspartei, die SPD, dazu nicht in der Lage zu sein scheint, dafür sprechen unter anderem der oben in den Nachrichten des Deutschlandfunks aufgegriffene Haushaltspolitiker Carsten Schneider, aber auch der designierte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der heute früh im Interview mit dem Deutschlandfunk ebenfalls unfähig war, eine entsprechende Alternative auch nur im Ansatz aufzuzeigen.
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