Stellen Sie sich vor, sie stehen fiebernd vor dem Arzt ihres Vertrauens und der erklärt ihnen ihren Zustand mit “Unsicherheiten” und “empfindlich eingetrübten Erwartungen”; oder stellen sie sich vor, sie sind arbeitslos und erklären ihrem im öffentlichen Dienst eingestellten Gegenüber bei der Bundesagentur für Arbeit, der ihnen gerade einmal wieder 100 Euro von ihrem ohnehin nicht zur Existenz reichenden Hartz IV Satz kürzen will, dass sie sich bereits verschulden müssen, um zu überleben, und der antwortet ihnen, dass sie ihre Schulden halt abbauen müssen, und murmelt noch etwas von “wirtschaftlichen Unwägbarkeiten”. Das trifft ungefähr das Niveau und vielleicht auch den Zynismus, die Bequemlichkeit, die ideologische Verbohrtheit oder eben den mangelnden Intellekt hochbezahlter Bundesbank-Ökonomen.
Die schreiben in ihrem gestern veröffentlichten Monatsbericht (Hervorhebung Wirtschaft und Gesellschaft):
“Die Konjunktur ist gegenwärtig von einem durchwachsenen Gesamtbild geprägt, das sich zum Jahresende hin aller Voraussicht nach weiter eintrüben dürfte. Die Unsicherheiten, die von der schwelenden Staatsschuldenkrise im Euro-Raum ausgehen, sind in diesem Zusammenhang ebenso von Belang wie die gemischten Konjunktursignale aus anderen Regionen der Welt. Die privaten Haushalte profitieren zwar weiterhin von der günstigen Arbeitsmarktlage und den beachtlichen Einkommenssteigerungen, in den Aussichten spiegeln sich die wirtschaftlichen Unwägbarkeiten aber ebenfalls erkennbar wider.”
Und:
“Die gegenwärtige Zurückhaltung der Unternehmen verdeutlicht, dass
von günstigen Finanzierungsbedingungen kein expansiver Impuls ausgehen muss, wenn Vertrauenseffekte infolge empfindlich eingetrübter Erwartungen und anhaltend hoher Unsicherheit das Investitionsklima belasten.”
Was die Bundesbank-Ökonomen hier als ursächlich begreifen, sind jedoch nur Symptome; man könnte in Anspielung auf das einleitende Bild auch sagen, dass sie das Fieber mit Fieber erklären. Solche Diagnosen sind wohl kaum geeignet, Patienten ihre Unsicherheit zu nehmen, geschweige denn, ihr Leiden zu erklären und Mittel zur Linderung desselben und zu dessen Überwindung zu suchen.
Die “Unsicherheiten” sind in Wahrheit Sicherheiten, denn mehr und mehr greift die Einsicht bei vielen Unternehmen wie deren Beschäftigten um sich, außer freilich in den hohen Etagen der Bundesbank, der Politik, den einschlägigen Medien und Unternehmensverbänden, dass die zur Überwindung der Eurokrise oktroyierten Ausgabenkürzungen in den Krisenländern und der damit verbundene Einbruch der Nachfrage mit zunehmender Sicherheit auch Deutschland erreichen wird.
Zwar legte die Ausfuhren insgesamt noch zu, aber, so hält es selbst der Monatsbericht der Bundesbank fest (Hervorhebung Wirtschaft und Gesellschaft):
“Der Zuwachs der Ausfuhren ergab sich im Berichtsquartal allerdings nicht durch eine breit über die Warengruppen verteilte Ausweitung der Auslandsnachfrage, sondern kam vor allem zustande, weil die deutschen Automobilhersteller in den Sommermonaten außergewöhnliche Exporterfolge feiern konnten. Dies gelang ihnen ausschließlich außerhalb des Euro-Raums, wobei die Kfz-Lieferungen in die USA herausragten.”
Das wiederum darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die unter anderem von der Bundeskanzlerin attestierte gestiegene Wettbewerbsfähigkeit von Krisenländern wie Portugal oder Irland auch nach Aussagen der Bundesbank jeder Grundlage entbehrt:
“Die Rückführung des Aktivsaldos gegenüber den EWU-Partnerstaaten geriet gleichwohl ins Stocken, weil deutsche Firmen im Juli und August nach einer neunmonatigen Durststrecke wieder spürbar mehr Waren im Euro-Raum absetzen konnten” - als umgekehrt die Handelspartner in der Eurozone (EWU) in Deutschland, hätte die Bundesbank hier sinnvollerweise ergänzen sollen.
Dann wären die Bundesbank-Ökonomen allerdings kaum drum herum gekommen festzustellen, worauf die Verschuldung (privat und staatlich) der Krisenländer denn eigentlich basiert: Solange nämlich Deutschland einen “Aktivsaldo”, also einen Überschuss in der Handelsbilanz- bzw. Leistungsbilanz mit den Handelspartnern ausweist, müssen sich die davon betroffenen Länder weiter verschulden; die Einnahmeüberschüsse Deutschlands, sind zwingend die Ausgabenüberschüsse der anderen.
Die “Staatsschuldenkrise” ist dann auch nur das Ergebnis einer Wettbewerbskrise innerhalb der Eurozone. Die für die Wettbewerbsfähigkeit ausschlaggebende Lohnstückkostenentwicklung bewegt sich immer noch weit auseinander; während Deutschland bisher nichts unternommen hat, um gezielt die seit Bestehen der Eurozone angehäuften Wettbewerbsvorteile auszugleichen, die es über eine nicht dem vertraglich vereinbarten Inflationsziel der Europäischen Zentralbank entsprechende Lohnentwicklung erzielt hat, hatten in den Krisenländern drastische Lohn- und staatliche Ausgabenkürzungen ein Absinken der Lohnstückkosten zur Folge. Solange deren Lohnstückkostenentwicklung aber weiterhin weit über der der deutschen liegt, behält Deutschland seinen Wettbewerbsvorteil. Die eigentliche Ursache für die Schulden und die damit verbundenen “wirtschaftlichen Unwägbarkeiten” bestehen damit fort.
“Vertrauenseffekte”, wie die Bundesbank-Ökonomen schreiben, die “infolge empfindlich eingetrübter Erwartungen und anhaltend hoher Unsicherheit das Investitionsklima belasten”, gründen wiederum vor allem auf dem mit den Ausgabenkürzungen verbundenen Nachfrageausfall.
“Die Investitionsplanungen der Firmen”, die die Bundesbank-Ökonomen zurecht problematisieren, haben jedoch nicht “im Zuge der Verschärfung
der Staatsschuldenkrise erheblich an Dynamik” eingebüßt, sondern im Zuge des falschen Rezepts zu Überwindung der Staatsschuldenkrise.
Warum, so die einfache Frage, die sich die Bundesbank-Ökonomen bloß hätten stellen müssen, sollte ein Unternehmen Investitionen planen, wenn die Nachfrage allerorten wegbricht und, wie die Bundesbank ebenfalls festhält, “neben den Investitionsbudgets zunehmend auch die Personaldispositionen überdacht” werden.
Die Bundesbank-Ökonomen können dies aber wohl einfach nicht, weil die ökonomische Kategorie der Nachfrage in ihrer Theorie einfach nicht den ihr gebürtigen Platz neben den für die Bundesbank-Ökonomen ausschlaggebenden Angebotsfaktoren einnehmen darf.
Entsprechend auch die (kontraproduktiven) Empfehlungen an die Politik:
“Angesichts der eingetrübten Wirtschaftslage im Euro-Raum wird teilweise eine expansivere Finanzpolitik in Deutschland gefordert. Dies erscheint vor dem Hintergrund der aktuellen Prognosen allerdings nicht gerechtfertigt…Es ist darüber hinaus nicht davon auszugehen, dass von einer expansiveren deutschen Haushaltspolitik spürbare wirtschaftliche Impulse auf die von der Schuldenkrise besonders betroffenen europäischen Länder ausgehen. Die Konsolidierung der Haushalte sollte für alle staatlichen Einheiten Priorität haben, damit Deutschland in der europäischen Schuldenkrise ein Stabilitätsanker bleibt.”
Deutschland, das sollte deutlich geworden sein, ist aber gerade aufgrund dieses Ansatzes der Bundesbank-Ökonomen, der in der Politik noch immer parteiübergreifend Gehör gefunden hat, obwohl sein Scheitern offensichtlich ist, kein “Stabilitätsanker”; Deutschland gleicht eher einem Meuterer, der in das sinkende Schiff der Eurozone, immer neue Löcher schlägt und es so immer weiter in die Tiefe zieht. Das Deutschland längst selbst droht, dabei zu ertrinken, scheint die Verantwortlichen dabei genauso wenig zu stören, wie die Hilfeschreie aus den Ländern, denen das Wasser bereits bis zum Hals steht.
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