Clemens Fuest, ein typisch deutscher Ökonom, weil realitätsfremd

Clemens Fuest, man mag es kaum glauben, ist tatsächlich Professor an der Universität Oxford – allerdings für Unternehmensbesteuerung und nicht für gesamtwirtschaftliche Fragen. Aber er ist eben auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium. Vielleicht fühlt er sich dadurch bemüßigt und befähigt, sich zur Fiskal- und Wirtschaftspolitik Frankreichs zu äußern. Gruselig die Vorstellung, dass, sollte das Vorhaben des Finanzministers denn tatsächlich umgesetzt werden, den deutschen Sachverständigenrat ein Gutachten für Frankreich erstellen zu lassen, auch Fuest ein Wörtchen mitzureden hätte. Warum das so gruselig ist, zeigt diese Aussage von ihm, die er gestern im Interview mit dem Deutschlandfunk vorbrachte:

“Das Hauptproblem ist aber die Politik in Frankreich selbst. Man hat sich entschieden, in Frankreich in der aktuellen Lage massiv Steuern zu erhöhen, statt Staatsausgaben zu kürzen. Das Land hat eine sehr hohe Staatsquote, eine hohe Staatsverschuldung. Das Land ist nicht wettbewerbsfähig. Das heißt, diese Herabstufung ist in erster Linie verursacht durch eine völlig falsche Wirtschaftspolitik in Frankreich und nicht durch Südeuropa. Das kommt natürlich hinzu. Aber weil wir eben die Probleme in Südeuropa haben, müsste eigentlich Frankreich besonders darauf achten, eine vernünftige, eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik zu machen. Die Regierung konzentriert sich da aber auf Umverteilungsziele und hat der Bevölkerung erzählt, dass man die hohen Staatsausgaben, die man heute hat, einfach weiterführen kann. Das ist alles realitätsfremd und dafür gibt es jetzt die Quittung.”

Ein generelles Ärgernis solcher Aussagen von vermeintlichen “Experten” ist, dass, will man deren Behauptungen prüfen, es einem mehr Arbeit bereitet als eben jenen – und die Ergebnisse in der Regel weniger Menschen erreichen als die aufgegriffenen und nicht selten widerlegten Quellen. Umso bedauerlicher ist es, dass sich nahezu täglich Aussagen von solchen Menschen aufgreifen lassen, die zwar so viele Titel und Positionen tragen, wie ein Weihnachtsbaum Kerzen, aber doch nicht befähigt sind, eine halbwegs neutrale, ideologiefreie, sachliche und damit hilfreiche Einschätzung zu geben.

Blicken wir also zunächst auf die Staatsquote, von der Fuest meint, dass Frankreich eine sehr hohe hätte. Die Staatsquote misst die Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt. Um Fuests Aussage zu bewerten, hier einige Staatsquoten vergleichbarer Industriestaaten im Überblick:

Staatsausgabenquoten verschiedener Industriestaaten (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Zwar weist Frankreich hier im Vergleich die höchste Staatsquote aus. Allerdings hätte Fuest – was ihm natürlich ideologisch überhaupt nicht in den Kram passt – genausogut darauf aufmerksam machen können, ja müssen, dass Deutschland eine besonders niedrige Staatsquote ausweist, selbst niedriger als das Mutterland des Kapitalismus, Großbritannien.

Fast gleichauf mit Frankreich liegt zudem Finnland, dafür bekannt und beneidet, dass es einen hervorragenden Bildungssektor hat – der natürlich auch Geld kostet. Dass Deutschland, ebenfalls am Bruttoinlandsprodukt gemessen, seit Jahren rund 25 Mrd. Euro weniger für Bildung ausgibt als auch nur der Durchschnitt der unter dem Dach der OECD versammelten Industriestaaten, spiegelt sich natürlich auch in der niedrigen deutschen Staatsquote wider. Die deutsche Staatsquote liegt auch deutlich unter der der Eurozone insgesamt.

Die Krönung aber ist Fuests Vorwurf, dass Frankreich nicht wettbewerbsfähig ist, und er dies auf “eine völlig falsche Wirtschaftspolitik in Frankreich” zurückführt. Ein Blick auf die für die Wettbewerbsfähigkeit entscheidenden Lohnstückkosten zeigt, dass Frankreich sich im Gegensatz zu Deutschland an das vertraglich vereinbarte Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von nahe unter 2 Prozent gehalten hat; lag es in einem Jahr einmal darüber oder darunter, hat es dies im nächsten Jahr wieder ausgeglichen. Deutschland aber, sieht man von den Jahren 2009 und 2012 ab, hat das Inflationsziel der EZB sträflich unterlaufen. Wie aber soll ein Land wie Frankreich wettbewerbsfähig bleiben, ohne seinerseits Vertragsbruch zu begehen, wenn Deutschland eben darüber Wettbewerbsvorteile erlangt?  Selbst die fernen USA wären aus dieser Perspektive qualifizierter für den Euroraum gewesen als Deutschland.

Lohnstückkosten und Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Wer sich in den zurückliegenden Jahren wiederum auf Umverteilungsziele konzentriert hat, ist nicht Frankreich, wie Fuest meint, sondern Deutschland – allerdings hat sich die Umverteilung in Deutschland, wenn es nach Fuest geht, wohl in die richtige Richtung bewegt, nämlich von unten nach oben bzw. von den Arbeitnehmern zu den Unternehmen. Gemessen an der Entwicklung der Arbeitsproduktivität und dem Inflationsziel der EZB hat Deutschland in keinem Jahr seit Bestehen der Währungsunion eine verteilungsneutrale Lohnentwicklung erreicht.

Verteilungsneutrale Lohnentwicklung in Deutschland? - Fehlanzeige! (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

In diese Richtung droht sich jetzt auch das “sozialistisch” regierte Frankreich zu entwickeln, was Fuest wohl entgangen sein muss. Der durch das deutsche Lohndumping entstandene Wettbewerbsdruck dürfte dafür maßgeblich mit verantwortlich zeichnen.

Dass nun gerade die deutsche Wirtschaftspolitik nicht wachstumsorientiert ist, zeigen die Wachstumsraten Deutschlands vor Ausbruch der Krise und aktuell: Das reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland lag in den Jahren 1999 bis 2005 deutlich unter dem Frankreichs. Zu denken geben müsste Fuest auch, dass Länder wie Finnland und Schweden mit einer deutlich höheren Staatsquote als Deutschland fast über den gesamten Zeitraum höhere Wachstumsraten ausweisen. Die Wachstums-Prognosen für Deutschland für dieses und nächstes Jahr zeigen wiederum gerade, dass das deutsche Modell auch ökonomisch nicht nachhaltig ist: Weil andere Länder des Euroraums – jetzt anscheinend auch Frankreich – unter dem Druck steigender Leistungsbilanzdefizite und steigender Schulden versuchen, dass deutsche Modell zu imitieren, sinkt auch die Nachfrage nach deutschen Gütern und Dienstleistungen und damit das Wirtschaftswachstum hier.

Als “realitätsfremd” erweist sich daher mehr und mehr die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik, auch, weil sie eben gerade nicht auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum setzt, sondern zuallererst auf ausgeglichene Staatshaushalte zielt und diese nicht als Ergebnis einer gesunden Wirtschaftsentwicklung begreift. Realitätfremd ist gemessen an seinen zitierten Aussagen auch Clemens Fuest.

Reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in verschiedenen Industriestaaten (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

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