Der so genannte Sachverständigenrat bleibt sich treu: “Flexibilität” auf dem Arbeitsmarkt erhalten und noch ausbauen, “moderate Lohnpolitik”, gegen “regulierende Einflüsse” wie Mindestlöhne oder Lohnuntergrenzen, aber für weitere Steuerentlastungen für Unternehmen in Höhe von 4,6 Mrd. Euro, “mehr Ehrgeiz bei Konsolidierung” der öffentlichen Haushalte; Schuld an der kommunalen Finanzlage seien “hohe Sozialleistungen“, statt aktiver Krisenbewältigung mittels staatlicher Eingriffe, Fokus auf “langfristigen Ordnungsrahmen“, weiterer Sozialabbau und weitere Privatisierung der Sozialversicherungen; trotz hoher Arbeitslosigkeit sei das Produktionspotenzial “überausgelastet“; und er stützt die Mär von “Erfolgen der Strukturanpassungsmaßnahmen” in den Krisenländern der Eurozone.
Die Medien greifen diesen Tenor bereitwillig auf: “Wirtschaftsweise mahnen Bundesregierung zum Sparen” (Deutschlandfunk), “Wirtschaftsweise fordern mehr Sparsamkeit” (Die Zeit), “Die Wirtschaftsweisen werfen der Bundesregierung mangelnden Sparwillen vor” (FAZ). “Dürftiger Sparkurs – Wirtschaftsweise unzufrieden mit Merkel” (Spiegel online).
Da ist es schon fast beruhigend, Merkels Reaktion darauf zu lesen:
“Merkel betonte, dass sie die Einschätzung nicht in allen Fragen teile. Deutschland stehe in dem Spannungsfeld, dass es einerseits die Schuldenbremse schon 2013 einhalten wolle, andererseits international dem Vorwurf aufgesetzt sei, zu stark zu sparen – und damit der Weltwirtschaft Wachstumsimpulse entziehe. ´In diesem Spannungsverhältnis versuchen wir immer, den Weg zu finden.”
Der Chefökonom der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Heiner Flassbeck, kommentierte dies gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft mit den Worten:
“Die bemerkenswerte Einschätzung von Frau Merkel zeigt, dass die deutschen Ökonomen eine völlig losgelöste und provinzielle Diskussion führen, die der Bedeutung und der Intensität der internationalen und europäischen Verflechtungen in keiner Weise gerecht wird.”
Nur, warum dann überhaupt diesen Sachverständigenrat finanzieren, wenn sein Rat doch kein Gehör findet – wichtiger noch: finden kann und finden sollte. Denn in der Tat benennt Merkel ja zumindest einen großen Widerspruch: Deutschland sieht sich seit langem isoliert aufgrund seiner einseitigen wirtschaftspolitischen Ausrichtung, die die hohen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands – deren Spiegelbild die hohen Defizite und damit die steigende Verschuldung des Rests der Welt sind – regelmäßig ignoriert und stattdessen die anderen Länder drängt ihre “Hausaufgaben” zu machen und den deutschen Weg der Ausgabenkürzungen zu gehen. Das aber ist nach ökonomischer Logik unmöglich, denn alle Länder können keinen Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaften. Jeder Überschuss setzt zwingend ein Defizit eines anderen Landes voraus; die Einnahmeüberschüsse eines Landes, sind die Ausgabenüberschüsse eines anderen Landes.
Ungeachtet dieses zwingenden außenwirtschaftlichen Zusammenhangs muss aber darüber hinaus gefragt werden, inwieweit die Ansichten des Sachverständigenrates dazu geeignet sind, den Menschen hierzulande zu dienen. Alle oben genannten Vorschläge des Sachverständigenrates sind ganz offensichtlich ungeeignet, den “Normalbürger” zu entlasten und Perspektiven für eine bessere Zukunft zu bieten; sie bedeuten das genaue Gegenteil. Die Kluft zwischen Arm und Reich muss sich unter dem Druck der jetzt schon herrschenden “Flexibilisierung” des Arbeitsmarktes, der weiteren Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme, einer noch ehrgeizigeren Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und all den anderen Vorschlägen des Sachverständigenrates weiter vertiefen.
In einem Punkt hat der Sachverständigenrat ja Recht: “Das positive Wachstum in der ersten Jahreshälfte ging ausschließlich von der guten Entwicklung des Außenhandels aus.” Das aber ist genau Ergebnis seiner Politikvorschläge, die er schon in seinem Jahresgutachten 1999/2000 in besonders radikaler Weise einforderte. Sein Festhalten an dieser ideologischen Ausrichtung, nun auch für die Eurozone, muss die Rezession, in der die Eurozone bereits steckt, weiter vertiefen. Der Wachstumsbeitrag der inländischen Verwendung ist in der Eurozone wie auch in Deutschland negativ.
Vor diesem Hintergrund kann man in der Tat zu dem Schluss kommen, dass sich Deutschland und Europa solch einen Sachverständigenrat nun wirklich nicht leisten können – nicht wegen der Steuermittel, aus denen er bezahlt wird, sondern wegen seiner kontraproduktiven wirtschaftspolitischen Analyse und seinen Schlussfolgerungen – die im eigentlichen Sinne gar keine sind, denn mit seinem wirtschaftspolitischen Rezept schlussfolgert der Sachverständigenrat ja nicht eigentlich auf der Grundlage der ökonomischen Ausgangslage, sondern er stellt seine ideologisch motivierten Maßnahmen voran und zwingt, umgekehrt, schließlich die Wirtschaftsentwicklung Deutschlands, der Eurozone und darüber hinaus in dieses enge Korsett.
Dass hierzu und trotz der Radikalität der Forderungen des Sachverständigenrats nicht einmal mehr – wie in vorangegangenen Jahresgutachten – auch nur eine andere Meinung eines Sachverständigen zu lesen ist (das Mitglied Peter Bofinger vertritt nur in der Frage gemeinschaftlicher Haftung der Schulden in der Eurozone eine andere Meinung, spricht auch dort von “unsolider Fiskaldisziplin” und pocht auf “direkte hierarchische Eingriffsmöglichkeiten”), zeigt noch einmal mehr, wie schlimm es um die deutsche Wirtschaftswissenschaft und Politikberatung bestellt ist – und um die Medien, die sich mit der Rolle des Sprachrohrs des Sachverständigenrates begnügen, anstatt dieses Gremium herauszufordern und dessen Thesen zu hinterfragen – sicherlich auch eine Möglichkeit, die Pressefreiheit mit Füßen zu treten.
Das Jahresgutachten des Sachverständigenrates findet sich hier:
Jahresgutachten 2012/13
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