Jetzt kommen langsam auch die marktradikalen Ökonomen der OECD auf den Trichter: Für den Ausgleich der in der Eurozone auseinandergelaufenen Wettbewerbsfähigkeit und die daraus resultierenden Leistungsbilanzdefizite sind nicht nur die Defizitländer, sondern auch die Überschussländer verantwortlich.
Entsprechend heißt es in der neuen, vorläufigen Ausgabe des Wirtschaftsausblicks der OECD:
“Der Ausgleichsprozess setzt Veränderungen bei der Binnennachfrage und den realen Wechselkursen voraus, sowohl in Ländern mit Leistungsbilanzdefiziten, als auch in Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen.”
Und auf Deutschland bezogen schreibt die OECD:
“Beispielsweise wäre in Deutschland ein 23%iger Anstieg der relativen Lohnstückkosten im Vergleich zu den übrigen Ländern des Euroraums erforderlich, um das Niveau der relativen Wettbewerbsfähigkeit von 1998 wieder herzustellen.”
Den Rest der OECD-Analyse kann man sich allerdings in diesem Zusammenhang schenken. Die Organisation setzt u.a. auf weitere “Flexibilisierung der Arbeitsmärkte”, also auf den Abbau von Arbeitnehmerrechten und Zugeständnisse bei den Löhnen. Selbst den Überschussländern empfehlen sie “Reformen”, worunter die OECD versteht, “Hindernisse für Investitionen zu beseitigen” und “die Effizienz in Dienstleistungssektoren” zu steigern, “was z.B. mit einer Lockerung der Marktzugangsbestimmungen und der Vorschriften für den Geschäftsablauf möglich wäre.”
Auch sieht die OECD in Deutschland nicht etwa die Löhne als Ausgangspunkt für den nun auch von ihr erkannten Sachverhalt, dass Deutschland real aufwerten muss; die OECD sieht, im Gegenteil, die Lohnentwicklung als Ergebnis weiterer “Strukturreformen”. Es ist zum Verzweifeln, dass wir diese Ideotie, die uns arm macht, auch noch mit unseren Steuergeldern finanzieren. Die OECD schreibt:
“In den Ländern, die seit langem Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen, müssen über eine Aufwertung des realen Wechselkurses und eine durch Strukturreformen bedingte höhere relative Verzinsung des eingesetzten Kapitals in den Dienstleistungssektoren die inländischen Ausgaben steigen und die Ressourcen vom Exportsektor in nicht exportorientierte Sektoren umgelenkt werden. Die Anpassungen werden wahrscheinlich mit einem Anstieg der Löhne, des privaten Verbrauchs und der Wohnungsbauinvestitionen im Inland verbunden sein. Sie werden angesichts der Notwendigkeit einer besseren Wettbewerbsfähigkeit in Ländern mit Leistungsbilanzdefiziten und einer in der Nähe des Zielwerts liegenden EU-weiten Inflation, auch einen höheren Preisauftrieb als im Vorfeld der Krise implizieren.”
Aber immerhin, auch die OECD scheint sich nicht länger davor verschließen zu können, die realen Ausgangsbedingungen und Entwicklungen zumindest anzusprechen.
—
Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.
Wenn nur 100 Wirtschaft und Gesellschaft abonnieren…
Dieser Text ist mir etwas wert
|
|