Das Statistische Bundesamt hat heute ein weiteres Indiz dafür geliefert, dass die Eurokrise der deutschen Konjunktur immer stärker zu Leibe rückt. Es berichtet:
“Die Auftragseingänge in der Industrie gingen im September vorläufigen Angaben zufolge preis-, kalender- und saisonbereinigt gegenüber dem Vormonat um 3,3 % zurück. Im Vormonat hatten sie aufwärts revidiert um 0,8 % abgenommen.”
Das Statistische Bundesamt weiter:
“Der Bestellrückgang ergab sich vor allem aus der schwachen Auslandsnachfrage (4,5%), insbesondere aus der Eurozone (9,6%).”
Einzig der Maschinenbau verzeichnete ein Plus (11,1%).
Auch im Inland nahmen die Auftragseingänge ab (-1,8%):
“Die Abschwächung erfolgte quer durch die industriellen Bereiche. Bei Vorleistungsgütern wurden 5,0%, bei Investitionsgütern 2,4% und bei Konsumgütern 1,7% weniger Aufträge verzeichnet.”
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie meldete unmittelbar hierzu:
“Das schwache wirtschaftliche Umfeld des Euroraums, aber auch der
übrigen Weltwirtschaft schlägt sich mittlerweile deutlicher als im
ersten Halbjahr bei der Nachfrage nach deutschen industriellen
Erzeugnissen nieder. Dies wirkt sich indirekt auch auf die industrielle
Nachfrage aus dem Inland aus. Daher dürfte sich die
Industrieproduktion in den kommenden Monaten tendenziell weiter
abschwächen.”
Vor dem Hintergrund einer sich abschwächenden Konjunktur wird die zurzeit im Mittelpunkt stehende Erzielung eines ausgeglichenen Bundeshaushalts möglicherweise sehr schnell in den Hintergrund treten. Das geistlose Herumreiten der Medien wie der Politik auf einem Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung als Ziel an sich, wie gerade erst heute früh wieder im Deutschlandfunk von der Moderatorin Sandra Schulz und dem Vorsitzenden der Jungen Gruppe der Unionsfraktion im Bundestag, Marko Wanderwitz, exerziert, könnte sich dann nämlich unter dem Druck einer sich abschwächenden Wirtschaftsaktivität, sinkenden Steuereinnahmen und steigender Arbeitslosigkeit von selbst erledigen.
Ebenso das Herausrechnen konjunktureller Einflüsse auf die öffentlichen Haushalte nach der Vorgabe eines so genannten strukturellen Defizits. Hierzu hält das Ifo-Institut fest: “Das strukturelle Defizit ist eine nicht direkt beobachtbare Größe, die geschätzt werden muss. Die Verfahren zur Bestimmung des strukturellen Defizits sind jedoch methodisch anspruchsvoll und umstritten.” Dennoch mussten deutsche Politiker, die davon sicherlich deutlich weniger verstehen als das Ifo-Institut, solch einem Verfahren mittels der “Schuldenbremse” Verfassungsrang geben und es ins Grundgesetz schreiben.
Darauf darf sich dann auch der Bundesfinanzminister berufen, wie zuletzt anlässlich der jüngsten Steuerschätzung geschehen: “Wir können in diesem Jahr erreichen, dass wir die Anforderungen der Schuldenbremse des Grundgesetzes, das strukturelle Haushaltsdefizit ab 2016 auf 0,35 Prozent zu begrenzen. Das können wir, wenn wir in den Haushaltsverhandlungen, wenn wir in den abschließenden Beratungen des Parlaments strikt bei dem Kurs der Sparsamkeit bleiben, dieses Ziel, was nach der Schuldenbremse des Grundgesetzes im Jahre, ab dem Jahre 2016 gilt, bereits im Jahre 2013 erreichen.”
Diese nunmehr leider auch im Grundgesetz festgeschriebene Geisteshaltung, die den Staat von seiner Verantwortung für andere, über den Ausgleich des Staatshaushalts hinausgehende wirtschaftspolitische Ziele, wie beispielsweise ein hohes Beschäftigungsniveau, entbindet, wird aber, sobald es wirklich einmal handfest kriselt, nicht durchzuhalten sein. Dann wird der Bundesfinanzminister nämlich nicht “strikt bei dem Kurs der Sparsamkeit bleiben” können. Aufgrund des konjunkturellen Einbruchs wird der Staat dann wieder – wie zuletzt in der zurückliegenden Finanzkrise – niedrigere Einnahmen und deutlich höhere Ausgaben verzeichnen und sich gezwungen sehen, gegenzusteuern – und zwar mit höheren Ausgaben, um die Konjunktur zu stützen und aus der Krise herauszuwachsen.
Schlimm dabei ist nur, dass aufgrund der vorherrschenden Volkswirtschaftslehre in Deutschland und aufgrund der sich an Haushaltszielen festbeißenden Politiker es erst zu einer solchen Krise kommen muss, um den dann explodierenden Problemen mit Konjunkturprogrammen zu begegnen.
Allen, die daran nicht glauben, sei der ehemalige Finanzminister Hans Eichel ins Gedächtnis gerufen. Der sagte 2001: “Für ausgabenwirksame Konjunkturprogramme ist weder heute noch in den kommenden Jahren finanzieller Spielraum vorhanden.” Diese steile These hat sich als falsch erwiesen. Finanzieller Spielraum ist vorhanden, es sind der fehlende Wille, das fehlende Problembewusstsein und das fehlende Gemeinwohlinteresse ebenso wie das enge Verständnis bzw. Unverständnis von gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen, die der Politik – und auch zu großen Teilen der Wirtschaftswissenschaft – den Blick für das Wesentliche verstellen: “Wer zielgerichtete öffentliche Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen verwirft, kann keine wirtschaftspolitischen Ziele aufstellen”, schrieb der Ökonom Claus Köhler vor diesem Hintergrund bereits 2004 in seinen “Orientierungshilfen für die Wirtschaftspolitik”.
In diesem Zusammenhang ist es schließlich interessant zu lesen, dass selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem aktuellen Bericht im Rahmen der Artikel IV-Konsultationen Deutschland dazu drängt, eine Politik zu verfolgen, die die inländische Nachfrage ankurbelt; dies wäre von großem Nutzen für die Eurozone und die Weltwirtschaft insgesamt (“Furthermore, they urged the authorities to implement policies to spur domestic demand growth, which will have important beneficial spillover effects in the euro area and globally.”).
Im gleichen Atemzug schreibt der IWF Deutschland auch dies ins Stammbuch: Im Falle eines ernsthaften Wirtschaftsabschwungs, wäre eine stärkere aktive Fiskalpolitik nötig (“In the event of a serious economic downturn, more active fiscal policies within available fiscal space and consistent with the EU fiscal framework would be needed.”). Was dann als möglicher fiskaler Spielraum gilt, wie der IWF hinzufügt, sei dahingestellt; dass dieser über die “automatischen Stabilisatoren”, wie sie die Schuldenbremse und der Ansatz eines Strukturellen Haushaltsdefizits vorsehen, hinausgehen sollte bzw. müsste, ist anhand der Ausführungen des IWF eindeutig (“Most Directors viewed the current fiscal stance as appropriate, while allowing automatic stabilizers to operate fully. In the event of a serious economic downturn, more active fiscal policies within available fiscal space and consistent with the EU fiscal framework would be needed.”).
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