Internationaler Währungsfonds zeigt einmal mehr auf, warum von ihm vertretene Krisenstrategie scheitert

Wir haben heute früh bereits auf den aktuellen “Haushaltsmonitor” (Fiscal Monitor) des Internationalen Währungsfonds (IWF) verwiesen, der wertvolle Daten für eine Bestandsaufnahme der bisherigen Austeritätspolitik – die wir dort ebenfalls kurz und allgemeinverständlich definiert haben – in den Krisenländern und darüber hinaus bereithält – und teilweise auch erstaunliche Schlussfolgerungen; erstaunlich deswegen, weil sie im Widerspruch zur praktizierten Politik des IWF stehen. Eine in dem Bericht des IWF veröffentlichte Graphik hat es darüber hinaus besonders in sich, erklärt sie doch, warum die Strategie, über harte Austeritätsprogramme den Schuldenstand zu senken, scheitern muss. Wir haben sie aus diesem Grund und zur besseren Allgemeinverständlichkeit extra für deutschsprachige Leser übersetzt.

Zinsen minus Wachstum - ein Indikator, der das Scheitern der Krisenstrategie von EU-Troika, IWF und Deutschland mit erklären hilft (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Liegt der Realzins für öffentliche Schulden (blaue Balken) über der realen Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (gelbe Balken), muss die Schuldenlast (öffentliche Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt) weiter zulegen – trotz härtester Ausgabenkürzungen (man könnte auch sagen: wegen härtester Ausgabenkürzungen, denn sie beeinflussen das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts negativ; das allein treibt den Schuldenstand in die Höhe; hinzu kommt, dass ein niedriges oder gar negatives Wirtschaftswachstum das Vertrauen in diese Länder nachhaltig erschüttert; das treibt wiederum den Preis für das diesen Ländern geliehene Geld [Kredit- bzw. Anleihezinsen] in die Höhe).

Eine große Differenz zwischen Zinsrate und Wachstumsrate, so der IWF durchaus verharmlosend, “macht Schuldenabbau zu einer größeren Herausforderung ["...makes debt reduction more challenging"]. Solch eine große Differenz sorge dafür, dass die Schulden in Griechenland trotz Umschuldung bzw. Schuldenerlass weiter ansteigen, ebenso, trotz eines Überschusses im Primärhaushalt, in Italien und Portugal. ["Such a high differential continues to push up debt in Greece [despite its debt restructuring], Italy, and Portugal [despite the emergence of primary surpluses]).”

Umgekehrt profitierten eine Reihe von Ländern von einer negativen Differenz, weil das Wirtschaftswachstum höher ausfalle als der Zins. Darunter befinden sich Länder mit sehr hohem Primärhaushaltsdefizit, wie Japan. Die negative Differenz wiederum verhindere, so der IWF, eine größeren Anstieg der Staatsschulden bzw. helfe auch in Defizitländern, den Schuldenstand stabil zu halten. (“By contrast, a number of countries enjoy a negative differential [in which the rate of real GDP growth is higher than the real effective interest rate]. Among those are countries benefiting from safe-haven flows [including Japan and the United States] and most emerging market economies and low-income countries [with the exception of many emerging European market economies with weak output growth]. This negative differential is helping prevent bigger debt increases in countries with high primary deficits [Japan and the United States]; it also is allowing other countries with primary deficits to keep debt ratios stable [including India, Malaysia, and Ukraine] or on a downward path ([including Argentina, Indonesia, and Kenya]“).

Der österreichische Wirtschaftswissenschaftler Stephan Schulmeister vom Wiener Wifo-Institut begründet seine kritische Analyse der bisherigen Krisenpolitik wie der Wirtschaftspolitik generell seit langem exakt auf dieser Grundlage, die nun auch der IWF thematisiert. Im Gespräch mit Wirtschaft und Gesellschaft sagte er im August dieses Jahres in diesem Zusammenhang: “Die Finanzierung der Staaten darf nicht mehr über den Markt erfolgen, weil der so genannte Markt erwiesenermaßen Zinssätze gebildet hat, die mit den Grundannahmen der Wirtschaftstheorie logisch nicht kompatibel sind. Es ist klar, dass ein Land wie Spanien oder Italien nicht sechs oder sieben Prozent Zinsen zahlen kann.”

Ein Mittel, dies zu erreichen, sind die viel kritisierten Eurobonds, deren positiver Effekt wesentlich sicherer wäre als der halbherzige Vorschlag eines so genannten Schuldentilgungsfonds, wie ihn der Sachverständigenrat seit längerem fordert, und der nur einen Teil der Schulden erfassen würde. Stephan Schulmeister fordert zur Überwindung des hier thematisierten Problems einen Europäischen Währungsfonds und begründete dies gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft wie folgt:

“Der Zinssatz muss mittelfristig unter der Wachstumsrate liegen, um Realinvestitionen rentabel zu machen. In Europa ist die Krise dadurch so verschärft worden, dass die Zinsen für Staatsanleihen immer mehr auseinandergelaufen sind. Das ist auch politisch Dynamit für die europäische Einigung. Daher fordere ich die Gründung eines europäischen Währungsfonds, der wie die Bundesfinanzagentur, aber auf Euroebene, die Finanzierung der Eurostaaten in die Hand nimmt, indem er – und hier gehe ich viel weiter als alle bisherigen Vorschläge – Eurobonds zu festen Zinssätzen unter der Wachstumsrate begibt. Das ist eine ganz klare, wenn auch radikale Maßnahme.”

Auch diese Lösungsvorschläge können freilich ihre volle Wirkung nur entfalten, wenn das grundsätzliche Problem der auseinandergelaufenen Wettbewerbsfähigkeit in Angriff genommen wird, die aufgrund der jüngsten massiven “Anpassungen” – Ausgaben- und Lohnkürzungen – in den Krisenländern, umso stärker und einseitiger nach wie vor von Deutschland ausgeht, das keine entsprechenden Schritte in umgekehrter Richtung wie die Krisenländer unternommen hat (vgl. hierzu Heiner Flassbeck).

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