Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, wirft dem Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, Realitätsferne vor, berichtet das Handelsblatt. Das kann man ja sicherlich tun, allerdings nicht mit den “Argumenten” Keitels. Zwei Aussagen von Keitel sind dabei von besonderem Interesse.
Das Handelsblatt zitiert Keitel mit den Worten: “Vieles, was er als Kanzlerkandidat verkündet, ist mit der Wirtschaft nicht zu machen, speziell in der Steuerpolitik.” Was soll das bitteschön heißen, stellt Keitel “die Wirtschaft” damit über das Gesetz?
Wenn sich eine wie auch immer zusammengesetzte Bundesregierung zu einer höheren Besteuerung von Vermögen und zu einer Bankenregulierung durchringt – die Keitel laut Handelsblatt in diesem Zusammenhang moniert -, und sie entsprechende Gesetze verabschiedet und diese schließlich auch in Kraft treten, dann, ja dann, muss “die Wirtschaft” diesen Gesetzen nach allgemeinem Rechtsverständnis und geltendem Recht auch entsprechen. Wo kämen wir denn auch dahin, wenn jeder dahergelaufene Präsident irgend eines Verbandes zu irgendeinem Gesetz sagen dürfte, dass das “mit der Wirtschaft nicht zu machen” sei. Nun gut, es ließe sich dem entgegenhalten, dass dieser Zustand längst erreicht ist.
Weit weniger verlässlich ist daher auch, ob eine wie auch immer zusammengesetzte Regierung auch tatsächlich entsprechende Gesetze verabschieden würde und sich nicht viel eher ein weiteres Mal von Verbandsvertretern wie Keitel und irgendwelchen Lobbyisten die Gesetze vorschreiben und sogar schreiben lässt.
Wenn der BDI-Präsident aber schon von Realitätsferne spricht, sollte man ihn auch hier beim Wort nehmen. In diesem Zusammenhang ist dessen ebenfalls im Handelsblatt wiedergegebene Aussage vielsagend: “Die Vermögenssteuer sei reiner Populismus”, und, so Keitel: “Die Unternehmen wollen mit dem Geld lieber weiter investieren und Leute einstellen.” Klar, dass einer wie Keitel das nicht begründen muss.
Dann gucken wir doch einmal, wie die deutschen Unternehmen ohne Vermögenssteuer investieren.
Um die Investitionsleistung deutscher Unternehmen realitätsnah einzuschätzen, ist es zum einen interessant, sich die Entwicklung der deutschen Bruttoanlageinvestitionen vor und nach Aussetzung der Vermögenssteuer (1997) anzusehen; aufschlussreich ist auch ein Vergleich mit dem Nachbarland Frankreich, das laut OECD Vermögen besteuert; die darüber erzielten Einnahmen entsprechen seit langem stetig einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von über 3 Prozent (2010: 3,6 %).
Wie die Graphik oben zeigt, sind die deutschen Bruttoanlageinvestitionen gemessen am Bruttoinlandsprodukt seit Aussetzung der Vermögenssteuer (1997) nach einem kurzen Anstieg kräftig und nachhaltig gesunken, so dass das Niveau der Investitionen heute unter dem Niveau liegt, bei dem die Vermögenssteuer noch erhoben wurde.
Darüber hinaus zeigt der Vergleich mit Frankreich, dass sich dort die Bruttoanlageinvestitionen trotz oder wegen höherer Besteuerung von Vermögen gerade nach der Aussetzung der Vermögenssteuer in Deutschland deutlich positiver entwickelt haben und das Niveau dort auch nach der Finanzkrise immer noch höher liegt als in Deutschland. Hätte das französische Kapital nicht wie ein scheues Reh nach Deutschland flüchten müssen, anstatt im eigenen Land zu investieren? Offensichtlich nicht.
Demnach wäre zuallererst Keitel Realitätsferne zu bescheinigen.
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