Ausgangspunkt dieses Beitrags war ursprünglich lediglich ein Interview, das die SPD-Generalsekretärin, Andrea Nahles, gestern vor der Entscheidung über das SPD-Rentenkonzept auf dem Parteikonvent dem Deutschlandfunk gab. Der mit der Bewertung des Interviews verbundene Blick zurück förderte aber weit mehr mit genereller politischer Bedeutung zutage, als zunächst vom Autor beabsichtigt.
Absicht war es, einmal die Entwicklung von Andrea Nahles vor dem Hintergrund der Entwicklung der Teilprivatisierung der Rente zurückzuverfolgen. Hatte sie nicht einst selbst gegen die Riesterrente opponiert, sie, die aktuell, wie im Interview mit dem Deutschlandfunk, jene “Reformen” vehement verteidigt? Und ist dies der Preis für eine Karriere in Bundestag und Partei – die einstige Überzeugung, in diesem Fall die Gegnerschaft gegen das Altersvermögensgesetz, wie das betreffende Gesetz zur Rentenreform 2001 verharmlosend überschrieben wurde, aufzugeben und sich zur bedingungslosen Unterstützerin des zuvor bekämpften zu entpuppen, auch dann noch, wenn – wie sich bis heute herausgestellt hat – eben jene Renten-“Reform” schon jetzt zu steigender Altersarmut führt, sich ihre vorherige Gegnerschaft gegen die Teilprivatisierung der Rente also als richtig erwiesen hat?
Nahles gestern im Deutschlandfunk:
“Ich möchte noch mal betonen, wir halten an den Zielen der Reformen fest, und wir sind auch, wir wollen auch nicht die Rentenformel ändern, um das Mal klipp und klar zu sagen.”
Am 13.12.2000 stand Nahles den Rentenreformen noch ablehnend gegenüber. Das Handelsblatt schrieb unter der Überschrift “Druck auf Riesters Rentenkonzept wächst“:
“Nahles, äußerte sich verärgert, dass die Fraktionsführung erst zu spät auf die Kritik der Gewerkschaften reagiert habe. Man hätte stattdessen nach dem Ausstieg der Union aus den Rentenkonsensgesprächen im Sommer die strategische Wende einleiten müssen. Forderungen nach einer neuen Rentenformel, die das Niveau der Altersruhegelder auf 67 % halten sollen, seien schon vor Wochen erhoben worden. Jede kleinste Veränderung habe mit ´massivem Druck der Gewerkschaften erkauft werden´ müssen, kritisierte Nahles.”
Und das, nachdem der SPD-Vorstand Riesters Konzept bereits im Juli 2000 abgenickt hatte. Darüber berichtete das Handelsblatt:
“Trotz erheblicher Widerstände des linken Parteiflügels hat Bundesarbeitsminister Walter Riester sein Rentenkonzept in der SPD-Spitze durchgesetzt. Mit 19 gegen neun Stimmen billigte der Parteivorstand am Montag die Eckpunkte von Riesters Reformpaket, das über das Jahr 2030 hinaus ein Rentenniveau von 64 % sicherstellen soll.”
Auch hier wird Nahles noch einmal als kritische Stimme erwähnt:
“Statt des umstrittenen Ausgleichsfaktors soll es ab 2011 einen Abzug bei den Rentenerhöhungen von jährlich 0,3 % geben. Dieser “lineare Ausgleichsfaktor” soll dann im Jahr 2030 sechs Prozent betragen. Gleichzeitig will die Regierung die private Altersvorsorge bei der Berechnung des statistischen Nettolohns abziehen, so dass der Nettolohn zwischen 2001 und 2008 um je 0,5 % niedriger ausfällt. 2008 sollen dann möglichst vier Prozent des Bruttoentgelts in eine private Altersvorsorge fließen.
Vor allem an diesem Punkt entzündete sich die Kritik des linken Parteiflügels. Vorstandsmitglied Andrea Nahles verlangte eine Begrenzung auf 2,5 %. Als mögliches Signal für die Kompromissbereitschaft Riesters wertete es Nahles, dass in dem Beschluss jetzt nur noch von ´möglichst vier Prozent´ die Rede ist. Sie hoffe auf Nachbesserungen in der Bundestagsfraktion.”
In demselben Beitrag kommt jedoch auch der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder zu Wort:
“Der SPD-Vorsitzende und Bundeskanzler Gerhard Schröder wertete den Beschluss als großen Erfolg für den Arbeitsminister, der sein Konzept zuletzt noch nachgebessert hatte, um den Gewerkschaften entgegen zu kommen. Die Eckpunkte seien ohne ´Änderungen in der Substanz´ gebilligt worden, betonte Schröder. Er äußerte sich ´ganz zuversichtlich´, dass das Konzept am Dienstag auch von der SPD-Bundestagsfraktion abgesegnet werde.”
Schröder sollte Recht behalten. Der Spiegel berichtete am darauffolgenden Tag unter der Überschrift “70:30 für Riesters Rentenreform“:
“Mit Kanzler-Unterstützung und nach vielen Irrungen und Wirrungen hat Arbeitsminister Walter Riester für sein Rentenreformkonzept nun die breite Rückendeckung im eigenen Lager. Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat nun Riesters Rentenpläne gebilligt.”
Die entscheidende Abstimmung aber war die im Deutschen Bundestag am 26.01.2001. An diesem Tag gingen sowohl das Altersvermögensgesetz wie auch das Altersvermögensänderungsgesetz in die namentliche Schlussabstimmung. In beiden Fällen gab es in der regierenden SPD tatsächlich keine Gegenstimme mehr, alle, Andrea Nahles, Ottmar Schreiner und viele andere sich dem linken Flügel in der SPD zuordnende Bundestagsabgeordnete stimmten damit für die Teilprivatisierung des Rentensystems und die Absenkung des Rentenniveaus (vgl. im pdf. des Bundestags-Protokolls, die Seiten 44f. und 51f.).
Interessant auch, dass sich das heutige DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, damals noch Bundestagsabgeordnete der ebenfalls in Regierungsverantwortung stehenden Bündnis 90/Die Grünen, bei beiden Gesetzen enthielt. Wie aber kann man sich in solch einer Frage enthalten?
Der skizzierte Vorgang ist deswegen interessant, weil er deutlich macht, dass damals wie heute die SPD-Linke ihre Positionierung zum entscheidenden Zeitpunkt nicht in Abstimmungsverhalten umsetzt, sondern ihre Überzeugung ganz offensichtlich der Parteidisziplin unterordnet.
Die bei solch Gewissensentscheidungen übliche “Erklärung nach § 31 GO” unterstreicht diese politische Janusköpfigkeit. § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages besagt:
“§ 31 Erklärung zur Abstimmung
(1) Nach Schluß der Aussprache kann jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine mündliche Erklärung, die nicht länger als fünf Minuten dauern darf, oder eine kurze schriftliche Erklärung abgeben, die in das Plenarprotokoll aufzunehmen ist. Der Präsident erteilt das Wort zu einer Erklärung in der Regel vor der Abstimmung.
(2) Jedes Mitglied des Bundestages kann vor der Abstimmung erklären, daß es nicht an der Abstimmung teilnehme.”
Nahles und Schreiner wie auch andere in der Rentenfrage nicht in so exponierter Stellung nach Außen in Erscheinung getretene SPD-Bundestagsabgeordnete erklären entsprechend doch tatsächlich:
“Wir stimmen dem Altersvermögensgesetz trotz grundsätzlicher sozialpolitischer Bedenken zu, die wir nachfolgend noch einmal deutlich benennen möchten…” (vgl. im pdf. des Bundestags-Protokolls, die Seiten 58f.).
Diese Erklärung bietet gleichzeitig einen komprimierten Überblick über die im oben skizzierten konfliktträchtigen Entstehungsprozess der Gesetze erzielten Änderungen. Allerdings, das erklären die Abgeordneten ebenda selbst, haben diese Änderungen an “zentralen Punkten” ihrer ursprünglichen Kritik – Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung der Gesetzlichen Rentenversicherung, der Lastenverschiebung von den Arbeitgebern zu den Arbeitnehmern, Verzicht auf die “überfällige Weiterentwicklung der Rentenversicherung zu einer Versicherung für alle Erwerbstätigen” – an den Rentengesetzen nichts geändert. Zugestimmt haben sie dennoch! Interessant auch diese in derselben Erklärung ausgeführte Gewissensberuhigung der Beteiligten:
“Bei der privaten Vorsorge konnte die ursprüngliche Benachteiligung bei der staatlichen Förderung für betriebliche und tarifliche Renten durch lange Übergangsfristen einvernehmlich mit den Gewerkschaften beseitigt werden. Der Tarifvorrang bei der Entgeltumwandlung wurde gesetzlich geregelt. Die private Vorsorge wird vor allem für die unteren und mittleren Einkommen durch Zulagen – Grund- und Kinderzulagen – sowie generell durch die Anhebung des Sonderausgabenabzugs staatlich gefördert.”
Dass sich viele untere und mittlere Einkommen trotz Zulagen keine private Altersvorsorge würden leisten können, war aber von vornherein abzusehen. Vielsagend auch, dass plötzlich diese Privatisierung der Altersvorsorge auch von den SPD-Linken nicht länger grundsätzlich in Frage gestellt wurde.
Diese Unterordnung unter die Parteilinie, das Einknicken bei entscheidenden Gesetzgebungsverfahren und die gleichzeitige Relativierung bzw. Gewissensberuhigung steht in krassem Widerspruch zu der von einigen Linken nicht selten mit markigen Worten und Pathos nach außen getragenen Darstellung, die Interessen der “kleinen Leute” zu vertreten. In Wirklichkeit waren sie ein fester Bestandteil der Gesetzgebung und sind genauso mitverantwortlich für steigende Altersarmut wie der Altkanzler und seine engsten Gefolgsleute.
Auch vor diesem Hintergrund ist dem gestern im Parteikonvent beschlossenen “Rentenkompromiss” zutiefst zu misstrauen.
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