Der Associate Editor und Kolumnist der “Financial Times”, Wolfgang Münchau, schreibt in bester angelsächsischer Manier und ist einer der wenigen, die sich nicht durch den monotonen deutschen Blätterwald beirren lassen. Irren kann er dennoch – wie wir alle. In seiner aktuellen Kolumne auf Spiegel online, “Mit Vollgas ins Euro-Desaster”, problematisiert er einleitend den Konsens zur Eurokrise in den deutschen Medien, die er als “eindeutig Euro-skeptisch” einstuft, und deren Einfluss auf die politische Meinungsbildung – und kommt doch tatsächlich zu dem Schluss: “Mittlerweile gilt Angela Merkel hierzulande als die große und vielleicht letzte Verteidigerin des Euro.”
Wer oder was ist “hierzulande”, mag sich da der ein oder andere Leser fragen. Denn eine erfolgreiche Verteidigung benötigt einen klaren, unvoreingenommenen Blick auf die herrschenden Verhältnisse. Den aber hat Merkel, wenn sie ihn denn jemals in der Frage der Eurokrise hatte, seit langem verloren. Das hat nicht zuletzt ihre Bewertung der Situation in Portugal noch einmal unmissverständlich deutlich gemacht. Legendär auch ihre Forderung, die Griechen sollten weniger Urlaub machen aus dem November 2011. Die BILD griff den entsprechenden Satz der Kanzlerin – “Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig” – unter der Überschrift auf: “Merkel erhöht Druck auf Europas Schuldenstaaten – Griechen sollen weniger Urlaub machen”. Sieht so eine “große und vielleicht letzte Verteidigerin des Euro” aus, wie Münchau schreibt? Sicherlich nicht. Doch um die Bundeskanzlerin soll es hier gar nicht weiter gehen.
Die Schulden Griechenlands aber stehen auch bei Münchau im Zentrum seiner Überlegungen über ein mögliches Scheitern des Euro. Damit aber sitzt er in derselben Schuldenfalle fest wie die Bundeskanzlerin und die von ihm einer kritischen Betrachtung unterzogenen deutschen Medien. Münchau befürchtet nichts mehr als:
“In dieser Gemengelage werden wir bald in eine Debatte geraten, die Merkel und Wolfgang Schäuble um jeden Preis verhindern wollten – um die Beteiligung des öffentlichen Sektors an einem griechischen Schuldenschnitt. Ich kenne keinen Experten, der das jetzt noch für vermeidbar hält. Die Debatte, ob das Schuldenziel von 120 Prozent im Jahre 2020 oder 2022 erreicht wird, ist an Naivität kaum zu überbieten. Griechenland wird weder das eine noch das andere Ziel erreichen. Insolvenz ist, wenn es nicht mehr geht, beim besten Willen nicht.”
Und er schlussfolgert:
“Es gibt jetzt nur noch drei theoretische Auswege für Griechenland: Austritt, Schuldenschnitt oder Schuldenvergemeinschaftung. Wer meint, die Griechen sollten doch einfach ihre Schulden zurückzahlen, lügt sich und anderen etwas vor. Es ist aber die offizielle Strategie der europäischen Finanzminister, die sich zu Anfang der Woche darauf einigten, das Leid der Griechen um noch mal zwei Jahre zu verlängern. Im nächsten Jahr wird man dann erneut feststellen, dass die Annahmen, die den Rechnungen zu Grunde lagen, wieder einmal zu optimistisch waren. Ich schätze, dass man die Stunde der Wahrheit nicht einmal bis zur Bundestagswahl hinauszögern können wird.
Für eine Umschuldung oder eine anderweitige Vergemeinschaftung der Schulden, bedarf es eines politischen Konsenses, den es in Deutschland einfach nicht gibt. Die Bücherliste von Amazon zeigt mir, dass wir längst jenseits einer Lösung sind.”
Münchau stellt zwar zurecht fest: “Im nächsten Jahr wird man dann erneut feststellen, dass die Annahmen, die den Rechnungen zu Grunde lagen, wieder einmal zu optimistisch waren.” Warum das so ist kann er aber nicht erklären, weil seine oben zitierten “theoretischen Auswege für Griechenland” am eigentlichen Problem vorbeigehen. Das tun sie, weil Münchau die Verschuldung zum Ausgangspunkt gewählt hat, nicht aber die Ursachen der Verschuldung.
Dabei hätte ihm doch zu denken geben müssen, dass auch der erste Schuldenschnitt für Griechenland rein gar nichts gebracht hat. So wie Münchau jetzt das vermeintliche Problem Griechenlands taxiert und sogar darüber hinaus die Frage eines möglichen Scheitern des Euros, ist dies bereits vor dem ersten Schuldenschnitt Griechenlands geschehen. Das ist ja der eigentliche “Konsens” in den deutschen Medien und bei den politischen Entscheidungsträgern: Der Fokus auf Griechenland und der Fokus auf die Staatsschulden.
Die Frage ist aber gar nicht die, wie Münchau schreibt, ob noch irgendein Experte einen Schuldenschnitt für vermeidbar hält – ich halte ihn in jedem Fall nicht nur für vermeidbar, sondern auch für völlig kontraproduktiv. Kontraproduktiv deswegen, weil er Griechenland nur noch weiter ins Abseits drängt, nicht aber die Chancen des Landes, aus der Krise herauszuwachsen, verbessert.
Letzteres wird – wie der nachhaltige Abbau der Staatsschulden – nur gelingen, wenn Griechenland wieder eine Wachstumsperspektive erhält. Das gilt auch für Portugal, Spanien, Italien und sogar Frankreich.
Eine Wachstumsperspektive aber kann nur entstehen, wenn mehr ausgegeben wird als eingenommen – das heißt gerade, sich zu verschulden (vergleiche hierzu auch: Das große Missverständnis heißt: Erst sparen, dann investieren – Umgekehrt funktioniert es: Investieren geht dem Sparen voraus). Verschulden müssen sich dabei nicht die Griechen, Portugiesen, Spanier oder Franzosen, die allesamt hohe Leistungsbilanzdefizite (Schulden!) gegenüber Deutschland ausweisen. Nicht einmal Deutschland müsste sich verschulden. Der Abbau der Überschüsse, die Deutschland auch in diesem Jahr wieder im Handel mit der Eurozone auftürmt – rund 60 Mrd. Euro -, könnten allein schon ein hohes Wachstum auslösen. Dazu müsste Deutschland freilich mehr ausgeben als es das jetzt tut. Verteilungsneutrale Löhne und sinnvolle, zukunftsweisende Infrastrukturausgaben wie auch die Rücknahme sozialstaatsfeindlicher Kürzungen böten hierzu genügend Ansatzpunkte. Sie würden nicht nur die deutsche Konjunktur beleben und helfen, die auch in Deutschland hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen – sie liegt um mehr als das Doppelte über einer als Vollbeschäftigung geltenden Arbeitslosenquote von 3 Prozent und wird voraussichtlch weiter steigen. Die von solch einer Ausgabenpolitik ausgehende Nachfrage würde auch den Krisenländern helfen, wieder ökonomisch und sozial auf die Beine zu kommen. Sie würde auch helfen, die Wettbewerbsfähgkeit innerhalb der Eurozone auch von Deutschland aus auszugleichen, das in keinem Jahr seit Bestehen des Euros, gemessen an der Produktivität und am Inflationsziel der europäischen Zentralbank eine verteilungsneutrale Lohnentwicklung erzielte (siehe dazu Graphik unten). Bei einer solchen Politik würde schließich auch die von Münchau in Erwägung gezogene Vergemeinschaftung von Schulden, zum Beispiel durch Eurobonds, helfen; würde es dies doch erleichtern, die Zinsen wieder unter die Wachstumsrate zu senken, wie es der Wiener Ökonom Stephan Schulmeister seit langem fordert. Das aber gilt – wie eine aktuelle Graphik des IWF deutlich macht (siehe unten) – auch für die anderen Krisenländer und darüber hinaus. Der einseitige Fokus auf Griechenland ist in der Diskussion um ein mögliches Scheitern des Euros allein schon wegen des geringen volkswirtschaftlichen Gewichts, das dieses Land in der Eurozone hat, ein großer Irrtum (vergleiche hierzu auch: Zwei Mal Berlin = Griechenland).
Das hierüber nicht einmal nachgedacht, geschweige denn ein Konsens erzielt wird, das ist das eigentliche Problem bei der Bewältigung der Eurokrise.
Erläuterungen zur Graphik hier: Aktuelle Nachrichten und Hintergrund: Merkel will mit dem Thema “gerechte Löhne” in den Wahlkampf ziehen – weiß aber – wie die SPD – anscheinend nicht, was das bedeutet
Erläuterung zur Graphik hier: Internationaler Währungsfonds zeigt einmal mehr auf, warum von ihm vertretene Krisenstrategie scheitert
—
Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.
Wenn nur 100 Wirtschaft und Gesellschaft abonnieren…
Dieser Text ist mir etwas wert
|
|