Zitat des Tages: Günther Verheugen zum EU-Haushalt, dem Deutschland-Besuch des französischen Premiers und zum nächsten EU-Gipfel

Das Zitat des Tages vorneweg:

Und ich finde, politisch muss man schon ein Verständnis dafür haben, dass in einer Zeit, in der überall in Europa die Regierungen gezwungen sind, den Gürtel enger zu schnallen, man auch vom Gemeinschaftshaushalt erwartet, dass er ein Signal in diese Richtung setzt. Europa wird nicht untergehen, wenn wir etwas weniger Geld ausgeben, als die Kommission vorgeschlagen hat.

So Günter Verheugen, ehemaliger EU-Erweiterungskommissar und heute Honorarprofessor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, heute früh im Interview mit dem Deutschlandfunk.

Wir haben den aktuellen Streit um den EU-Haushalt bereits hier kritisch thematisiert: Aktuelle Nachrichten und Hintergrund: EU-Haushalt – Anspruch und Wirklichkeit.

Ein Blick in den aktuellen EU-Haushalt hatte gezeigt:

Laut n entsprechen schon die nicht “gedeckelten” Ausgaben von etwa 138 Mrd. Euro lediglich rund 1 Prozent des Sozialprodukts der EU-27.

Unsere Schlussfolgerung:

Der Anspruch, mehr Verantwortung und Kompetenzen auf EU-Ebene zu übertragen, scheint, gemessen an der materiellen Ausstattung, doch weit entfernt von der Wirklichkeit. Und doch ist es gerade vor diesem Hintergrund und der hochgeschnellten Massenarbeitslosigkeit in Europa reizvoll zu überlegen, warum denn nicht, wie eine ganze Reihe von Jahren bei der Landwirtschaft – -, auch Kompetenzen und mehr finanzielle Mittel an die EU übertragen für das Ziel, die Massenarbeitslosigkeit in der EU zu überwinden.

Darüber hat der ehemalige EU-Erweiterungskommissar – immerhin war der SPD-Politiker unter Barroso schon einmal Vizepräsident der Europäischen Kommission – aber offensichtlich weder nachgedacht, noch scheint ihn das Problem einer sich aufgrund der drakonischen Ausgabenkürzungen vertiefenden Rezession in der Eurozone und die damit verbundene Massenarbeitslosigkeit zu kümmern.

Verheugen redet gewissermaßen im politisch luftleeren Raum und begnügt sich mit diplomatisch nichtssagenden Floskeln. Das zeigen auch andere Passagen des Interviews.

So fragt ihn der Moderator, Tobias Armbrüster, den Vorschlag Schäubles aufgreifend, den deutschen Sachverständigenrat ein Gutachten über Frankreich erstellen zu lassen: “Aber sind nicht möglicherweise ein paar gute Ratschläge angebracht, wenn man sieht, was alles schief läuft in der französischen Wirtschaft?”

Was hätte da näher gelegen, als zurückzufragen, was denn bitte “alles schief läuft in der französischen Wirtschaft?” Vielleicht das französische Leistungsbilanzdefizit gegenüber Deutschland? Das wäre doch schön und lehrreich gewesen, jedenfalls dann, wenn Verheugen ergänzt hätte, dass, weil Frankreich sich seit Bestehen der Währungsunion so sklavisch an das vertraglich vereinbarte Inflationsziel der Europäischen Zentralbank gehalten hat, Deutschland dies aber regelmäßig unterlaufen hat, gerade hier, in dieser wesentlichen Frage, doch nun einmal alles dafür spricht, dass in der deutschen Wirtschaft “etwas schief läuft”, mit der Folge, dass Frankreich immer stärker unter Wettbewerbsdruck mit seinem europäischen Haupthandelspartner Deutschland gerät.

Verheugens Antwort aber beschränkt sich auf politische und diplomatische Allgemeinplätze. Sein fehlendes Problembewusstsein unterstreichen auch seine folgenden Ausführungen:

“Allerdings muss man sagen, dass wir ein neues Element in den deutsch-französischen Beziehungen haben. Und das liegt eben darin, dass die beiden Regierungen von sehr unterschiedlichen politischen Voraussetzungen jetzt ausgehen. Nach der Wahl in Frankreich haben wir doch eine dezidiert linke Politik in Frankreich, wenn auch natürlich Präsident Hollande zunehmend mit der rauen Wirklichkeit konfrontiert wird, aber ich glaube nicht, dass wir sehr schnell damit rechnen können, dass die französische Politik sich ändert – nach meiner Meinung kaum vor der deutschen Bundestagswahl.”

Die “raue Wirklichkeit”, mit der Hollande zunehmend konfrontiert wird, geht ja aber gerade von dem von Deutschland ausgeübten Wettbewerbsdruck und der Politik der EU-Troika, aber eben auch der EU-Haushaltspolitiker aus, die sich zur Bewältigung der Eurokrise auf Ausgabenkürzungen konzentrieren. Warum also sollte man auch “damit rechnen”, wie Verheugen meint, “dass die französische Politik sich ändert”. Der Vergleich Deutschland – Frankreich zeigt ja gerade, dass zuallererst Deutschland seine Politik ändern müsste.

Stattdessen beruhigt Verheugen mit weiteren Allgemeinplätzen, wie etwa diesem:

“Ich glaube, man sollte sich darauf konzentrieren, die Dinge in Ordnung zu bringen, die in Europa in Ordnung gebracht werden müssen.”

Dazu passt dann auch diese Einstellung Verheugens zum EU-Haushalt:

“Wir reden jetzt über die finanzielle Vorausschau für die Jahre 2014 bis 2020. Und man kann ja wirklich nur dankbar sein, dass wir diesen Ärger nur alle sieben Jahre haben; sonst hätten wir ihn jedes Jahr, wenn wir uns in jedem Jahr einigen müssten über den Finanzrahmen.”

Lästige Haushaltspolitik aber auch!

Abschließend ist eine weitere Aussage Verheugens interessant: Er sagt im Interview:

“Damit wir uns richtig verstehen: Die deutsche Position ist nicht eine Kürzung des Haushaltes, sondern eine Kürzung des Vorschlags, den die Kommission gemacht hat. Und die Kommission hat einen Vorschlag gemacht, der ziemlich deutlich über den bisherigen Finanzrahmen hinausgeht – mit dem durchaus verständlichen Argument, wir kriegen immer mehr Aufgaben, wir müssen immer mehr tun, aber ihr sagt uns nicht, wie wir das finanzieren sollen.” (Hervorhebung Wirtschaft und Gesellschaft)

Das mag ja für den Finanzrahmen 2014 bis 2020 gelten, der noch nicht auf der einsehbar ist. Interessant aber ist, dass für 2013 höhere Mittel vorsieht (152,5 Mrd. Euro), als sie der für 2013 ausweist (150 Mrd. Euro).

Bei so wenig Problembewusstsein, das in der EU-Kommission, sicherlich aber auch im EU-Parlament, bei höchsten Funktionsträgern, wie es Verheugen einmal war, zu finden ist, wundert es nicht, dass es zum jetzigen Ausmaß der Krise kommen konnte (siehe hierzu auch: Thomas Mirow – ein Paradebeispiel für die bedrohliche Denkfaulheit unserer “Elite” (04.09.2011); Eurokrise: Habermas, Bofinger und Nida-Rümelin machen ratlos).

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