SPD: Ursula Engelen-Kefer antwortet einem ihrer Kritiker aus der SPD

Ursula Engelen-Kefer

Anmerkung der Redaktion: Der folgende Text ist eine Antwort Ursula Engelen-Kefers an einen ihrer SPD-Genossen, der sich entsetzt bzw. schockiert zeigte über den auf Wirtschaft und Gesellschaft veröffentlichten Artikel von ihr: “SPD verspielt Chance für überzeugendes Rentenkonzept“. Wir veröffentlichen die Antwort Ursula Engelen-Kefers, weil sie grundsätzliche Punkte berührt und aus ihr auch die Einwände ihres SPD-Genossen herauslesbar sind.

Lieber Genosse…,

bitte um Nachsicht, dass ich erst heute dazu komme, Deine E-Mails zu beantworten: Eigentlich hatte ich angenommen, dass Du als Genosse schockiert über die nur noch als verheerend zu bezeichnenden Konsequenzen der Riester-Reform von 2001 und des gesetzlich aufgeblähten Niedriglohnsektors durch einen Teil der Hartz -Gesetze bist.

Ich kann Dir empfehlen, einmal die Untersuchungen des Instituts für Arbeit und Qualifizierung an der Universität Essen von Prof. Dr. Gerhard Bosch oder Frau Dr. Weinkopf zu diesen Themen anzusehen, da werden Dir sicherlich die Augen aufgehen.

Wenn es von der SPD mit den Riester-Reformen sowie diesem Teil der
Hartz-Reformen-Schleusenöffnung für prekäre Beschäftigung und
Niedriglöhne gut gemeint war, wie ich Deinen Worten entnehme, so gilt auch hier der Satz von Peer Steinbrück in seiner “Krönungs”-Rede am Sonntag in Hannover: Die SPD muss lernen: Gut gemeint ist noch längst nicht gut gemacht.

Und nur das Letztere zählt für nachhaltigen politischen Erfolg. Die
Altersarmut steigt seit einigen Jahren bereits an und wird selbst nach
amtlichen Berichten der Bundesregierung und der Gesetzlichen
Rentenversicherung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Millionen von
Rentern/innen erfassen. Wenn Du meine Beiträge dazu liest – Freitag, TAZ, Wirtschaft und Gesellschaft sowie NachDenkSeiten – wirst Du die einschlägigen Zahlen dazu finden.

Ich habe sehr sorgfältig alle verfügbaren Untersuchungen und amtlichen
Berichte ausgewertet. Außerdem leite ich im Sozialverband Deutschland den Arbeitskreis Soziale Sicherung mit dem ehemaligen Geschäftsführer der vormaligen BfA, Klaus Michaelis, bin also immer auf dem neusten Stand.

Ebenfalls empfehle ich Dir, das SGB II und dabei die Paragraphen über die
Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf ALG II sowie die dazugehörige Rechtsprechung gründlich durchzulesen. Dann wirst Du erkennen, dass zwar Einkommen und Vermögen von Kindern nicht mehr herangezogen werden, dafür aber die finanzielle Haftung von Partnern und sonstigen Familienangehörigen bleibt, die in der gemeinsamen Bedarfsgemeinschaft leben. Wenn Du Dir die einschlägigen Untersuchungen zur Altersarmut durchliest, wobei sich in der
letzten Zeit auch die Hans-Böckler-Stiftung mit interessanten
Untersuchungen in die öffentliche Debatte einschaltet, dann wirst Du
erkennen können, dass nach wie vor verschämte Altersarmut aus den von mir genannten Gründen vorhanden ist.

Im Übrigen habe ich bewusst nicht von der Haftung der Kinder, sondern der Familienangehörigen gesprochen, da ich mir vorher natürlich diese Gesetzestexte und die dazu gehörige Rechtsprechung genau angesehen habe. Es gibt sogar Untersuchungen, die die verschämte Altersarmut als noch einmal so hoch wie die registrierte Altersarmut schätzen. Dies  erschien mir aber zu vage und deshalb habe ich so weitgehende Aussagen auch nicht übernommen.

Bedanke mich für Deine Hinweise und hoffe, ich konnte Deine  “Schockstarre” ein wenig lockern bzw. in die Richtung lenken, in die sie gehört, wenn wir den verlorenen Boden durch die rot-grüne sog. “Reformpolitik” wieder gut machen wollen.

Im Übrigen denke ich, Du bist darüber informiert, dass wir es geschafft
haben durch die Riestersche Absenkung des Rentenniveaus und einen Teil der Hartz Reformen die durchschnittliche gesetzliche Altersrente bereits jetzt auf unter 890 Euro (für Männer) zu drücken.

Bitte zu bedenken, dass ich immer von einem Teil der Hartz Reformen als
Grundlegung für die Ausweitung der Niedriglohnsektoren und Altersarmut
spreche (vor allem die Ausweitung von Minijobs, Leiharbeit und natürlich die Pressionen für ALG II Empfänger jede zumutbare Arbeit anzunehmen, wobei die Zumutbarkeit auch gegeben ist, wenn das Einkommen bis zu 30 Prozent unter den tariflichen oder ortsüblichen Löhnen liegt.)

Darüberhinaus gibt es Teile der Hartz Reformen, insbesondere die Neuorganisation der Dienste der Bundesagentur für Arbeit, die ich sehr positiv bewerte, und die zu der guten Entwicklung der Beschäftigung auch in Krisenzeiten beigetragen haben.

Solltest Du bereit sein, Dich mit diesen Bewertungen auseinanderzusetzen, empfehle ich Dir meine Web-Seite www.engelen-kefer.de und mein Mitte 2011 veröffentlichtes Vorwärts-Buch “Stoppt die Spaltung der Gesellschaft: Schwarz-Gelb auf dem Prüfstand”, sowie meine Ende 2009 erschienene Autobiographie “Kämpfen mit Herz und Verstand”, Fackelträger Verlag, Köln 2009.

In meiner Autobiographie habe ich die Auseinandersetzungen zwischen Rot-Grün – vor allem Schröder, Riester und Clement – und den Sozialpolitikern in den DGB Gewerkschaften sowohl bei den Riester-Renten-Reformen wie bei den Hartz-Gesetzen detailliert beschrieben. Solltest Du Interesse daran haben, schicke ich Dir auch gerne ein Exemplar zu.

Mit besten Wünschen für “schockfreie” Feiertage und ein Gutes Neues Jahr im Sinne der von unserem Kanzlerkandidaten Steinbrück beschworenen Sozialen Gerechtigkeit.

Ursula Engelen-Kefer

Dr. Ursula Engelen-Kefer war von 1990 bis 2006 stellvertretende DGB-Vorsitzende und von 1984 bis 1990 Vizepräsidentin der damaligen Bundesanstalt für Arbeit. Von 1980 bis 1984 leitete sie die Abteilung Arbeitsmarktpolitik einschließlich der Internationalen Sozialpolitik beim DGB. Heute arbeitet sie als Publizistin in Berlin (www.engelen-kefer.de).

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