Deutschland und “EU-Troika” trimmen Italien für Rechtspopulismus

In einem Video der Nachrichtenagentur Reuters, das stern.de vorgestern ausstrahlte, sieht Westerwelle nicht nur so aus wie Bundesbankpräsident Jens Weidmann, er redet auch so. Unter der Überschrift “Berlusconi geißelt ´deutsche Sparpolitik” heißt es: “Kritische Wahlkampftöne aus Italien haben die deutsche Bundesregierung verärgert. Silvio Berlusconi sieht die ´deutsche Sparpolitik´ als Problem an.” Doch so sehr die deutsche Bundesregierung sich auch echauffieren mag: Sollte der Rechtspopulist Berlusconi tatsächlich wieder die politische Bühne dominieren, so sind es eben die von ihm kritisierte “deutsche Sparpolitik” wie auch die generelle Agenda der “EU-Troika” aus Europäischer Zentralbank (EZB), Europäischer Komission und Internationalem Währungsfonds (IWF), die ihm hierzu mit den Weg bereiten.

“Weder Deutschland noch Europa sind Ursachen für die Schwierigkeiten in Italien”, meint Außenminister Westerwelle und lobt die Reformen der Regierung Monti: “Das, was die Regierung Monti auf den Weg gebracht hat, das ist von ganz großer Bedeutung für die Stabilität Italiens, aber auch für die Stabilität Europas. Diesen Reformprozess abzubrechen, aufzugeben, rückabzuwickeln, hieße nicht nur Italien in ernsthafte Schwierigkeiten zurückzubringen, sondern auch natürlich Europa insgesamt wieder in Turbulenzen zu bringen.”

Die Bundeskanzlerin stößt in dasselbe Horn und spricht sich für eine Fortsetzung der “Reformpolitik” aus: “Es hat sich ja auch gezeigt, dass die Finanzinvestoren ja auch wieder ein Stückweit Vertrauen in Italien gefasst haben, und deshalb wird sicherlich die italienische Bevölkerung ihre Wahl so treffen, dass Italien auch weiterhin auf einen guten Weg kommt.”

Na, wenn sich die Kanzlerin da so sicher ist, warum dann überhaupt die ganze Aufregung. Gestern legte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), noch einmal nach und empfiehlt Berlusconi doch tatsächlich einen Verzicht auf eine erneute Kandidatur zum Ministerpräsidenten.

Ich bin der letzte, der sich einen Berlusconi zurückwünscht; steht es aber einem deutschen Politiker an, einem Politiker im Ausland den Verzicht auf eine Kandidatur für welches Amt auch immer nahezulegen? Ich meine nicht.

Dieses Gebahren, diese neue deutsche Überheblichkeit, ist allein dazu geeignet, rechten Populismus Tür und Tor zu öffnen. Wir konnten das bereits in Griechenland beobachten. Man muss sich dazu nur mal den Auftritt Westerwelles anschauen. Wenn die unter den maßgeblich von der deutschen Bundesregierung vorangetriebenen “Reformen” – also Kürzungen von staatlichen Ausgaben und Löhnen – darbenden Menschen in Italien, Griechenland und anderswo diesen feinen Pinkel zu sehen und zu hören bekommen, ist es schlimm aber naheliegend, dass sie sich in ihrer Verzweiflung Rechtspopulisten wie Berlusconi zuwenden.

“Reformpolitik” konkret – sinkende Sozialleistungen und Löhne

Wie sieht die von Deutschland, der EU-Kommission, der EZB und dem IWF geforderte “Reformpolitik” konkret aus und wie lassen sich die Auswirkungen der “Reformpolitik” auf die in Italien lebenden Menschen und die italienische Wirtschaft messen. Hier einige Entwicklungen.

Italien: Reale Staatsausgaben und -einnahmen 2000 bis 2013 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Die Graphik zeigt, dass die Staatsausgaben seit 2010 sinken. Besonders stark werden seit 2011 die nicht-geldlichen (nicht monetären) Sozialleistungen (sozialen Sachtransfers) gekürzt; die Ausgaben für Arbeitnehmerentgelte im öffentlichen Dienst sind ebenfalls drastisch gesunken.

Um zu sehen, was die Kürzung der “sozialen Sachtransfers” für die davon Betroffenen konkret bedeutet, lohnt ein Blick in das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) und die Klassifikation der Verwendungszwecke des Individualverbrauchs der Statistischen Abteilung der Vereinten Nationen(COICOP).

Welche sozialen Angebote sind betroffen?

Die “sozialen Sachtransfers” entsprechen den “Ausgaben des Staates für den Individualkonsum“. Demnach treffen die Kürzungen die Bereiche Wohnungswesen, Gesundheitspflege, Freizeit- und Kulturdienstleistungen, Bildungswesen und Dienstleistungen sozialer Einrichtungen. Noch konkreter umfassen diese die folgenden Versorgungsangebote: Medizinische Erzeugnisse, Geräte und Ausrüstungen, ambulante Behandlung, stationäre Behandlung, öffentlicher Gesundheitsdienst, Freizeitgestaltung und Sport, Kultur, Elementar- und Primärbereich, Sekundarbereich, Post-sekundarer, nicht-tertiärer Bereich, Tertiärbereich, nicht-zuordenbares Bildungswesen, Hilfsdienstleistungen für das Bildungswesen, Krankheit und Erwerbsunfähigkeit, Alter, Hinterbliebene, Familien und Kinder, Arbeitslosigkeit, Wohnraum, anderweitig nicht genannte soziale Hilfe.

Die Ausgaben des Einen sind die Einnahmen des Anderen

Diese “Posten” in der Statistik geben jedoch nicht allein einen Hinweis darauf, welche staatlichen Leistungen konkret betroffen sein können; es gilt natürlich gleichzeitig, dass jeder Euro, der in diesen Bereichen unmittelbar nachfrage- bzw. ausgabewirksam gestrichen wird, entsprechend hohe Auftragseinbußen bzw. Einnahmeverluste der Unternehmen und staatlichen Träger bedeuten, die in der Regel schließlich auch Stellenstreichungen und damit einen Anstieg der Arbeitslosigkeit befördern.

Bedrohung des sozialen Ausgleichs fördert Perspektivlosigkeit und bereitet Rechtspopulismus den Boden

Viele der aufgezeigten Posten machen deutlich, dass jene Ausgaben neben der sozialen Versorgung auch auf sozialen Ausgleich zielen. Kürzungen in diesen Bereichen werfen also die Schwächsten in der Gesellschaft zurück und rauben ihnen damit die Perspektive für eine gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Eine Grundlage, wie geschaffen für Rechtspopulisten!

Das gilt auch für die Einnahmeseite. Der Anstieg der Staatseinnahmen 2011/2012 resultiert zum größeren Teil aus einem massiven Anstieg der indirekten Steuern, von denen die Mehrwertsteuer das Gros bilden dürfte; diese aber belastet wiederum vor allem die Menschen mit niedrigen Einkommen, weil sie in der Regel ihr gesamtes oder den größten Anteil ihres Einkommens für den Konsum ausgeben, der der Mehrwertsteuer unterliegt.

Italien: Entwicklung der direkten und indirekten Steuereinnahmen, 2000 bis 2013 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Die Inlandsnachfrage ist in Folge der Finanzkrise 2007/2008 eingebrochen. Sie konnte sich 2010 zwar erholen, ist aufgrund der Kürzungsorgie seitdem aber erneut rückläufig. Die inländische Nachfrage ist der zentrale Einflussfaktor für das Wirtschaftswachstum und damit für die Beschäftigung. Angemessenes Wirtschaftswachstum, das zum Abbau der Arbeitslosigkeit beiträgt, hatte Italien zuletzt 2007, vor Ausbruch der Finanzkrise – und zwar durchgehend seit 1999/2000.

Italien: Entwickung der Inlandsnachfrage, des BIP und der Arbeitslosigkeit, 2000 bis 2013 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Die EU-Troika aber sucht die Gründe für die schwierige bzw. katastrophale Lage in “strukturellen” Faktoren, in zu hohen Sozialleistungen, in einem zu regulierten Arbeitsmarkt und Tarifgefüge (vgl. hierzu IWF, ) und pocht auf die Einhaltung der “Reformen”. Der Deutschlandfunk meldete am 9. Dezember in seinen 12 Uhr Nachrichten:

“EU-Kommissionspräsident Barroso hat Italien ermahnt, die Wirtschaftsreformen fortzusetzen. Barroso sagte der Zeitung “Il Sole 24 Ore”, die Parlamentswahl im März dürfe nicht als Vorwand dienen, um den Sparkurs in Zweifel zu ziehen. Ministerpräsident Monti hatte gestern Abend Staatspräsident Napolitano über seinen Rücktritt informiert. Zuvor will er aber noch den geplanten Sparhaushalt durch das Parlament bringen. Monti fühlt sich durch die Partei des früheren Regierungschefs Berlusconi nicht mehr ausreichend unterstützt. Berlusconi hatte gestern angekündigt, sich im kommenden Jahr wieder um das Amt des Ministerpräsidenten bewerben zu wollen.”

Die Ausgabenkürzungen aber haben die Wirtschaftsleistung Italiens – wie in den anderen Krisenländern auch – nur weiter geschwächt; die Arbeitslosigkeit ist in der Folge zwangsläufig in die Höhe geschnellt; und die oben aufgezeigten Bereiche, in die staatliche Leistungskürzungen fallen, erscheinen kaum geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit Italiens nachhaltig zu steigern; im Gegenteil, sie unterminieren diese.

Die mit dieser Entwicklung einhergehende Perspektivlosigkeit in weiten Teilen der italienischen Bevölkerung ist der Nährboden für rechtspopulistische Bewegungen und auch für eine mögliche Rückkehr Berlusconis in das Amt des Ministerpräsidenten.

Deutschlands ist mit verantwortlich

Weil Deutschland diese Austeritätspolitik massiv einfordert und durchsetzt, sind die einleitend aufgegriffenen Aussagen des deutschen Außenministers und der deutschen Bundeskanzlerin völlig abwegig; sie werden sich ihrer Mitverantwortung für die Lage in Italien nicht dauerhaft entziehen bzw. verschließen können.

Das unterstreicht abschließend auch der grundlegenste Konflikt, den die verordneten Ausgabenkürzungen in Italien wie anderswo in der Eurozone nicht lösen können: Die deutsche Wettbewerbsfähigkeit ist ungeachtet der massiven Ausgabenkürzungen in den Krisenländern weiterhin unangreifbar hoch, weil Deutschland seinerseits keine Anstalten unternimmt, die Entwicklung die zu dieser Schere in der Wettbewerbsfähigkeit von deutscher Seite geführt hat, indem Deutschland das Inflationsziel der EZB seit Bestehen der Währungsunion fortlaufend unterschritt, also gebrochen hat, durch eine gegenläufige Entwicklung zu schließen. Die für die Wettbewerbsfähigkeit ausschlaggebenden nominalen Lohnstückkosten liegen daher auch zwischen Italien und Deutschland weiterhin unerreichbar weit auseinander. Die Exporte sind als Nachfragegröße im Vergleich zur Inlandsnachfrage zudem viel zu gering, um den Einbruch der Binnennachfrage ausgleichen zu können.

Wettbewerbsfähigkeit Italien - Deutschland: Entwicklung der nominalen Lohnstückkosten und Inflationsziel der EZB, 1999 bis 2013 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

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