Endlich, sie ist da, die Zeitungskrise! – Oder müssen wir etwa doch noch länger warten, bis sich etwas ändert? (Teil I)

Man kann es drehen und wenden wie man möchte. Wir werden genau das im Folgenden tun. Am Ende aber wollen wir ausrufen: Endlich, sie ist da, die Zeitungskrise! – Nur schade, dass vorerst noch so viele Zeitungen überleben werden. Denn die Zeitungskrise ist in erster Linie keine wirtschaftliche, sondern eine inhaltliche, mentale und eine der Arbeitsweise. Und so stellt sich nach soviel einleitender Euphorie auch sogleich Ernüchterung ein: Ist das jetzt wirklich die große Zeitungskrise?

Sie verdienen immer noch mehr als sie verdienen

Da gehen einmal zwei bekanntere Zeitungen pleite bzw. werden insolvent oder aus dem Verkehr gezogen, und schon sprechen und schreiben die Journalisten von einer Zeitungskrise. Zwei von insgesamt 386 Tageszeitungen. Nun gut, jeder steht sich selbst am nächsten. Nach dieser Philosophie oder besser Ideologie haben ja nicht zuletzt die meisten Journalisten der etablierten Presse seit Jahren gelebt und geschrieben und damit der schönen neuen marktkonformen Bundesrepublik den Weg geebnet – der neuerdings mit Armutsberichten gepflastert wird.

Das Feiern des eigenen Untergangs durch die Redaktion der Financial Times Deutschland (FTD) wie auch das von diesem zelebrierten Untergang mit angestoßene Gerede von einer Zeitungskrise – “Zeitungskrise: Größte Entlassungswelle in der Presse seit Kriegsende” (FTD am 1. Dezember 2012) – stehen jedoch in keinem Verhältnis zur Auflage dieser Zeitung. Sie verschleiern nur die eigentliche Zeitungskrise, auf die wir noch zu sprechen kommen.

Eine, die die FTD einst mit gegründet hat, die Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld, schreibt in einem “Zwischenruf zur Zeitungskrise” bezogen auf ihren einstigen Arbeitgeber dann auch durchaus zutreffend – allerdings im Berliner Tagesspiegel: “Wenn eine Zeitung zumachen muss, erscheint das als immer ein bisschen schlimmer, als wenn ein Industriebetrieb schließt. Eine Zeitung wird von Journalisten gemacht, und Journalisten sind Meister des öffentlichen Raums. Sind sie betroffen, traurig oder verstört, vermuten sie gerne eine tiefgreifende Verwerfung, einen dramatischen Wandel der Gewohnheiten mit verheerenden Folgen für die Gesellschaft.”

102.101 Exemplare am Tag wurden von der FTD zuletzt verkauft. Diese Zahl täuscht aber darüber hinweg, dass wohl massenhaft Bordexemplare zum kostenlosen Verteilen in Flugzeugen geliefert wurden; abonniert wurden zuletzt nur noch 41.629. Was ist das im Vergleich zu den insgesamt bei der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (ivw) gemeldeten Tageszeitungsverkäufen von über 21.125.606 Exemplaren (14.045.914 abonnierte Stücke)? Oder auch nur im Vergleich zur Konkurrenz des Handelsblatts, das eine verkaufte Auflage von 137.725 Exemplaren hat, davon 80.222 im Abo.

Gut, es gab auch eine Fangemeinde, die Ausdruck davon war, dass es die FTD in einigen Teilen schaffte, den ökonomischen Mainstream zu hinterfragen. Aber das kam in der Summe doch immer noch relativ brav und angepasst daher. Bloß nicht zu weit aus dem Fenster beugen. Wäre die FTD wirklich im umgekehrten Sinne so konsequent bzw. radikal gewesen wie Gabor Steingart im Handelsblatt, ja dann…wäre sie vielleicht noch früher eingestellt oder gar nicht erst gegründet worden. So aber war die FTD unter dem Strich weder Fisch noch Fleisch. Das muss ich leider so nüchtern attestieren, obwohl ich doch selber einer war, der diese Zeitung zuweilen pries wie so viele dieser dann doch wieder nicht so vielen Anhänger; gerade in der monotonen Wirtschaftspresse greift man ja nach jedem Strohhalm – und macht sich doch zumeist nur selbst etwas vor.

Bei der Frankfurter Rundschau (FR), deren Journalisten sich nicht ganz so wichtig zu nehmen scheinen wie die der FTD, was auch wahrlich keine so schwere Übung ist, waren es mit 117.996 verkauften Exemplaren immerhin schon etwas mehr als bei der FTD. Man bedenke aber, dass die FTD mit ihrem Profil einer Finanzzeitung von vornherein einen begrenzteren Interessentenkreis angesprochen hat als eine allgemeine überregionale Tageszeitung wie die FR. Umso erstaunlicher allerdings, dass das Handelsblatt mehr verkauft als die FR.

Die ivw meldet in ihrem letzten Quartalsbericht jedoch auch, dass “die Mehrzahl der Pressegattungen” für das 3. Quartal 2012 im direkten Vergleich mit dem Vorjahr wieder rückläufige Auflagen verzeichnete.

Die Tageszeitungen haben innerhalb eines Jahres dabei laut ivw rund 3 Prozent ihrer verkauften Auflage verloren. Ihre Verkäufe im Vorjahreszeitraum waren jedoch mit rund 3,4 Prozent sogar noch stärker gesunken. Ein Blick zurück auf die Entwicklung seit der Jahrtausendwende zeigt zudem, dass es sich bei der Zeitungskrise, hier zunächst nur beurteilt nach rein wirtschaftlichen Kriterien bzw. gemessen an der Auflagenentwicklung, bisher wenn überhaupt um einen langsamen aber stetigen Niedergang handelt.

Auflagenentwicklung der Tageszeitungen, 2002 bis 2012 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Offensichtlich lässt sich aber mit Zeitungen immer noch ordentlich Geld verdienen, auch, wenn die Werbeeinnahmen seit Jahren rückläufig sind. Betrugen die Werbeeinnahmen laut dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger 2002 noch 4,94 Mrd. Euro, so waren es 2011 noch 3,56 Mrd. Euro. Nach dem Fernsehen (21,8%), entfiel aber der größte Marktanteil an den Werbeaufwendungen immer noch auf die Tageszeitungen (19,5). Auf den Hörfunk entfielen 2011 nur 3,8 Prozent, auf Online-Angebote 5,4 Prozent. Noch mehr als durch Anzeigen (40,1% der Erlöse) verdienten Abonnementszeitungen durch den Vertrieb (52,8%).

Einer, der zumindest das wissen muss, schreibt zur Gewinnsituation der Zeitungsverleger, diese brächten “Renditen, von denen Dax-Unternehmen nur träumen können und die wohlweislich nicht öffentlich gemacht wurden.” Allerdings hält Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, für das laufende Jahr ebenfalls fest: “In diesem Jahr sind Erlöse und Auflagen schlechter. Das liegt an der weiteren Verbreitung Sozialer Netzwerke wie Facebook und an digitalen Wunderdingen wie dem Smartphone. Es liegt aber auch an einem dramatischen Anzeigenrückgang im zweiten Halbjahr, von dem jedes Printmedium in Deutschland betroffen ist.”

Wenn diese Entwicklung jedoch nur “Traumrenditen” schmälert, scheint dies auch noch nicht der Grund zu sein, warum die Zeitungen in der Krise stecken sollen.

Vielleicht sind es dann auch eher überzogene Gewinnerwartungen und Renditeziele, die die Zeitungsverleger ihre Redaktionen zusammensparen und von Krise sprechen lassen. So soll zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung (SZ) auch dieses Jahr mit einem “halbwegs ordentlichen Gewinn abschließen“. Sparen muss die SZ aber dennoch, schreibt der Medienautor Kai-Hinrich Renner im Hamburger Abendbatt, “weil der in diesem Jahr erwirtschaftete Gewinn unterhalb der Erwartungen der SWMH liegt.” Die SWMH, die Südwestdeutsche-Medien-Holding, ist der Hauptgesellschafter der Süddeutschen Zeitung. Derselbe Autor berichtet unter Berufung auf Verlagskreise, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in diesem Jahr “mit einem Defizit im zweistelligen Millionenbereich abschließen” soll. Allerdings schreibt er auch: “Der ´FAZ´-Geschäftsführer bestätigt zudem, dass auch ein höherer Verlust sein Haus nicht in Bedrängnis bringen könne, da in den vergangenen Jahren erhebliche Rücklagen gebildet worden seien.” Und in der Tat konnte sich die FAZ zumindest 2010 und 2011 noch ordentlicher Gewinne erfreuen.

Es verhält sich leider wohl wirklich so, dass wir auf den Untergang der etablierten Zeitungen noch lange werden warten müssen.

Doch nicht nur konservative Flagschiffe wie FAZ und SZ ziehen die Segel ein und schießen Leuchtraketen in die Luft, sobald der Wind einmal etwas droht an der Kapitänskajüte zu rütteln, auch der als linksliberal geltende freitag zaudert nicht, das Unwort Sachzwang ins Spiel zu bringen, wenn der Gewinn nicht stimmt. Anders als FAZ und SZ schreibt der freitag, wie sich das für eine echte linke Zeitung gehört, aber wohl tatsächlich keine Gewinne. Aber ob sich diese Gewinn- bzw. Verlustsituation bessern wird, wenn Jakob Augstein jetzt Stellen streicht? Vielleicht wäre er besser beraten, einmal über die Inhalte nachzudenken wie auch über Art und Niveau, diese aufzugreifen und zu thematisieren. Wer aber so voll des Lobes für die eigene Zeitung ist, kommt schwerlich auf solch naheliegende Überlegungen. im selben Atemzug zur Ankündigung, Mitarbeiter aufgrund von “Sachzwängen” und “Strukturwandel” entlassen zu müssen:

“Der Freitag wächst also. Gegen den Trend der Branche wohlgemerkt. Oder besser: Er wächst, weil sich die Redaktion gegen den trübsinnigen Zynismus und Fatalismus stellt, den uns ein wirtschaftshöriger Zeitgeist als Normalität vorgaukeln will. Weil wir die Wirklichkeit anders denken und anders beschreiben. Woche für Woche neu. Der Freitag ist auch ein Beweis dafür, dass Leser noch bereit sind, gute Zeitungen zu abonnieren. Beinahe unsere gesamte Auflage liegt im Abonnement.”

Laut ivw hat der freitag zuletzt 13.790 Exemplare verkauft, davon 10.291 an Abonnenten. Im Vergleich zu den 386 bei ivw gemeldeten Tageszeitungen gibt es bundesweit übrigens nur 20 Wochenzeitungen; gesamte verkaufte Auflage: rund 1,7 Millionen. Als inhaltlich und vom Umfang her sehr schmal aufgestelltes und gleichzeitig wirklich nicht in ein beliebiges Zeitungsraster einzuordnendes Blatt, steht der freitag weder in Konkurrenz zur wesentlich umfangreicheren Wochenzeitung Die Zeit noch zu anderen Wochenzeitungen; trotz dieser Konkurrenzwüste hat der freitag bisher kein breiteres Publikum ansprechen können. Ist das tatsächlich eine Grundlage dafür, sich selbst so zu beweihräuchern, wie Augstein es unternimmt? Ich meine nicht.

Auflagenentwicklung der Wochenzeitungen, 2002 bis 2012 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Die Zeit hat im Vergleich zum freitag 501.415 Exemplare verkauft, davon 332.255 im Abo. Ist Die Zeit deswegen die bessere Wochenzeitung? Wohl kaum. Aber an Eigenlob spart auch der Chefredakteur der Zeit nicht. Womit wir nahtlos zur eigentlichen Zeitungskrise übergehen können.

Lesen Sie morgen Teil II: Giovanni di Lorenzo – Der Nachtwächter-Journalist und die eigentliche Zeitungskrise

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