Ach, wäre das schön, 1.500 Euro monatlich, einfach so, garantiert vom Staat. Endlich ohne finanzielle Sorgen meinen vielseitigen Interessen nachgehen, die ja, man nehme nur dieses Medium, auch der Gesellschaft dienen wollen.
Und welche Dienstleistung ist hierzulande knapper im Angebot, als die hier angebotene, das Hinterfragen. “Das Wort habe ich ja seit Jahren nicht mehr gehört”, antwortete mir vor geraumer Zeit ein Uni-Dozent aus München. Er schien mir dabei gleichermaßen ent- wie begeistert. Aber nicht jedes Angebot wird entsprechend seiner Knappheit am Markt entlohnt. Und da war doch noch etwas überlebenswichtig, um am Markt bestehen bzw. von seiner Hände Arbeit leben zu können. Richtig, die kaufkräftige Nachfrage. Aber mit diesen Kategorien soll ja Schluss sein, wenn es nach den Befürwortern des bedingungslosen Grundeinkommens, kurz BGE genannt, geht.
Wem käme solch ein BGE bitteschön mehr zupass, als mir, einem Schreiberling, der die geistige und materielle Unabhängigkeit als notwendige Grundlage ansieht, um auf Basis eigener Analysen sich selbst ein Bild von der Welt zu machen, zu einer eigenen Meinung zu finden, die häufig allzu einseitige veröffentlichte Meinung zu hinterfragen und Alternativen aufzuzeigen – und der noch dazu bescheiden genug ist, von 1500 Euro im Monat zu leben; wenn ich denn einmal soviel mit Wirtschaft und Gesellschaft verdienen würde; aber das müsste ich dann ja Dank BGE nicht länger. Und dann auch noch als Musiker unterwegs, als Liedermacher, ein Genre, bei dem das Geld auch nicht auf der Straße liegt bzw. einem nicht hinterher geworfen wird. Wenn sich jemand ein BGE herbeiwünschen müsste, dann doch wohl ich. Bei vielen kleinen Selbständigen, Tüfftlern, Kreativen, Künstlern dürfte das BGE entsprechend hoch im Kurs stehen, ebenso wie bei vielen Hartz IV Beziehenden oder von Hartz IV bedrohten und Rentnern, die schon heute in Armut leben müssen.
Und bin ich nicht gleichzeitig der lebende Beweis dafür, dass ich allein aus dem eigenen Interesse heraus arbeite, Grundeinkommen hin oder her. Ich schreibe also bin ich. Man addiere das einmal auf die ganze Gesellschaft hoch.
Also, warum ist es bloß noch nicht da, warum hat sich noch keine Partei im Deutschen Bundestag dazu durchgerungen, es in ihre politische Agenda zu nehmen, vielleicht sogar in den Mittelpunkt des Bundestagswahlkampfes 2013 zu stellen und damit Millionen Menschen zu beglücken?
Teile der Grünen diskutieren es seit langem, auch in der Linken ist es immer wieder Thema; die neue Vorsitzende, Katja Kipping, ist eine Befürworterin des bedingungslosen Grundeinkommens; allerdings thematisiert sie dies nicht länger in der Öffentlichkeit, nachdem es sich in der eigenen Partei als nicht mehrheitsfähig erwiesen hat; ein Grundeinkommen mag bedingungslos sein, eine Parteikarriere ist es nicht. So auch bei den Grünen. In keiner im Bundestag vertretenen Partei spielt das Grundeinkommen heute eine nennenswerte Rolle, auch wenn es innerhalb der Parteien Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke Grüppchen gibt, die sich diesem mit Haut und Haaren verschrieben haben; sie bestimmen weder den politischen Kurs, noch den politischen Diskurs, nicht den ihrer Parteien und schon gar nicht den der Bundesrepublik. Sollten die Piraten in den Bundestag einziehen, wäre die erste Partei im Bundestag vertreten, die das BGE zu einem festen Bestandteil ihrer Politik machen will. Allerdings wird auch bei den Piraten bereits relativiert und auf die lange Frist verwiesen.
Um so überraschender war es für mich zu lesen, dass sich dennoch gleich vier gestandene Ökonomen dieses Themas annehmen: Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt und Dieter Vesper. “Irrweg Grundeinkommen” haben sie ihr neues Buch genannt. Auf dem Einband ist ein Geschenk zu sehen, wie wir es in wenigen Wochen hoffentlich alle unter dem Weihnachtsbaum finden werden, hübsch mit Schleife versehen – das Geschenkpapier aus 100 Euro Scheinen. Und ein Geschenk soll es ja sein, deswegen heißt es ja bedingungsloses Grundeinkommen. Warum das BGE ein Irrweg sein soll, wie die Autoren schon im Titel vorwegnehmen, lässt ebenfalls bereits der Einband erahnen; im Untertitel heißt es nämlich: “Die große Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden”. Und tatsächlich steht für die weniger phantasiebegabten auf dem Rückumschlag geschrieben: “Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Irrweg. Es beendet nicht die große Umverteilung von Arm zu Reich, die den letzten dreißig Jahren ihren wirtschaftspolitischen Stempel aufgedrückt hat.” Und nicht nur das. Das BGE sei “auch nicht der einfache Ausweg, um die Menschenwürde des einzelnen und die Grundlagen der Gesellschaft zu bewahren”, heißt es dort weiter. “Im Gegenteil, es würde nach Auffassung der vier Autoren die fundamentalen gesellschaftlichen Ungleichheiten weiter verschärfen und die Lösung der wirtschaftspolitischen Aufgaben auf die lange Bank schieben.” Statt des BGE setzen Flassbeck , Spiecker, Meinhardt und Vesper auf “gerechte Entlohnung, ein strikt auf Leistungsfähigkeit basierendes Steuersystem sowie ein auf Solidarität bauendes Sozialsystem”. Ob bei so bestimmter Ablehnung die nicht selten bedingungslos überzeugten Anhänger eines Grundeinkommens überhaupt noch zugreifen und das Buch sich und anderen auf den Gabentisch legen werden? Es wäre zumindest zu wünschen.
So sehr mir das BGE persönlich zupass käme, so wenig hatte ich mich vor Erscheinen dieses Buches mit den verschiedenen Konzepten gründlicher auseinandergesetzt. Zu einfach, zu weltfremd erschienen sie mir vom groben Hören und Sagen, als dass ich in ihnen eine Alternative zum herrschenden System hätte sehen können – trotz der ebenso verbreiteten wie verständlichen Sehnsucht nach einer sicheren Existenz. Nicht nur die finanzielle Seite hielt mich davon ab, dass alle ungeachtet ihrer bisherigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse solch ein BGE erhalten sollen, auch das Gefühl, dass doch zu viele Menschen, die meisten vermutlich, immer noch mehr mit ihrer Arbeit verbinden, als Geld zu verdienen, als dass sie sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen abspeisen lassen würden, das doch wohl für die meisten eh nur eine kärgliche Existenz bedeutet, und die zudem sicherlich wenig Lust hätten, andere, denen es nicht so geht, mit zu finanzieren. Auch hat mich die These, dass Vollbeschäftigung nicht länger möglich sein soll, die die Befürworter eines BGE gern ins Feld führen – ohne dies schlüssig zu begründen -, nie überzeugt. Die Voraussetzungen für Vollbeschäftigung, die haben sich nach meinem Verständnis seit David Ricardos herausragendem Kapitel “über Maschinerie” aus den 1820er Jahren nicht grundsätzlich verändert (vgl. dazu auch hier: Viel Lärm um nichts – Zur “Zukunft” der Arbeit); allein, es mangelt an politischem Willen. Und selbst, wenn man die menschenverachtende und existenzgefährdende Sanktionspraxis von Hartz IV ablehnt, wie ich es tue, war dies für mich noch kein Grund, das Heil im BGE zu suchen. Die Sanktionen lassen sich schließlich auch ohne BGE abschaffen. Dennoch fühlte ich mich durch das Erscheinen des Buches von Flassbeck, Spiecker, Meinhardt und Vesper eingeladen, mich nun endlich einmal genauer mit dem BGE auseinanderzusetzen.
Wer mir darin folgt, dem erschließen sich gleich mehrere Welten, nicht allein die des BGE. Das vielleicht wichtigste bzw. verdienstvollste Kapitel für all diejenigen, die am Grundeinkommen interessiert sind, ist das zweite, das mit “Das Grundeinkommen” überschrieben ist. Wie sagte sinngemäß schon Cicero über den Staat: Wenn wir über das Gemeinwesen streiten wollen, müssen wir zunächst definieren, was das Gemeinwesen ist. Wer über das BGE streiten will, muss zunächst definieren, was es ist, werden sich auch die Autoren gedacht haben, und sie schaffen es auch tatsächlich schon auf den ersten beiden Seiten des zweiten Kapitels Licht ins Dickicht der ausgemachten 24 Modelle zum Grundeinkommen zu bringen. Die Autoren beziehen sich dabei auf einen ausgewiesenen Befürworter des BGE, Ronald Blaschke. Die Höhe des BGE muss existenzsichernd sein, es muss ein individueller Rechtsanspruch auf sie bestehen, es darf keine Überprüfung der Bedürftigkeit erfolgen und kein Zwang zur Arbeit bestehen, heißt es zusammenfassend.
Lediglich drei Modelle können nach den Autoren diesem Kriterienkatalog gerecht werden. Entweder sind die herausgefallenen 21 Modelle nicht existenzsichernd, oder aber sie sehen weiterhin eine Überprüfung der Bedürftigkeit für den Leistungsbezug vor. Auf dieser Grundlage diskutieren Flassbeck, Spiecker, Meinhardt und Vesper die BGE-Modelle, die in der Öffentlichkeit am meisten Aufmerksamkeit erregt haben und am weitesten entwickelt wurden. Das sind die Modelle von Götz Werner und Dieter Althaus und das des “emanzipatorischen Grundeinkommens.” Anders als beim oben herausgegriffenen Kriterien-Katalog können hier nur einzelne Bedingungen der Modelle herausgegriffen werden, die aber Befürwortern wie Gegnern des BGE Anreiz genug sein sollten, einen genaueren Blick in das Buch zu werfen.
Allein dass das BGE, wie im Modell von Götz Werner, ausschließlich durch eine Konsumsteuer finanziert werden soll, die wie die gegenwärtige Mehrwertsteuer funktioniert, wirft Fragen auf; wieviel bleibt dann noch real von den 1000 Euro, die nach diesem Modell die Existenz sichern sollen (ich habe einleitend bewusst 1.500 Euro als Ausgangspunkt gewählt, weil darunter eine Existenz, die auch eine wirkliche Teilhabe an der Gesellschaft einschließt, mir kaum möglich erscheint)? Das Werner-Modell meint diese Frage mit dem Argument aus der Welt schaffen zu können, dass durch den Wegfall der Staatsquote und die damit verbundene steuerliche Entlastung das alte Preisniveau erhalten bliebe. Wenn dieses Argument auch kaum geeignet erscheint, die mit einer alleinigen Konsumsteuer verbundene Inflationsgefahr und Belastung insbesondere niedriger Einkommen zu entkräften, verweist es doch zumindest unmissverständlich auf einen noch viel größeren Gefahrenherd: den staatlichen Totalausfall. Den nennen die Autoren zwar nicht so, die von ihnen aufgezeigten Konsequenzen aber weisen genau in diese Richtung: “Wenn die Höhe des Konsumsteuersatzes durch die Höhe der gegenwärtigen Staatsquote bestimmt wird und die entsprechenden Konsumsteuereinnahmen nur zur Finanzierung des Grundeinkommens dienen, können keine weiteren staatlichen Ausgaben finanziert werden…” Die notwendige Konsequenz: Andere staatliche Leistungen müssen privatisiert werden: “Ebenfalls privatisiert wird jegliche soziale Absicherung, da die Sozialversicherungen bei ausreichender Höhe des Grundeinkommens ersetzt beziehungsweise abgeschafft werden.”
Beim Modell von Althaus fällt das BGE noch deutlich geringer aus. Der Nettobetrag – Bruttobetrag von 600 Euro minus 200 Euro Gesundheitsprämie – beträgt 400 Euro. Hätte es daher, gemessen an dem oben zitierten Kriterien-Katalog, nicht auch als nicht existenzsichernd ausscheiden müssen? Ich meine schon. Auch dieses Modell setzt auf eine Konsumsteuer. Alle Sozialversicherungsabgaben sollen entfallen. Das Modell von Althaus beinhaltet darüber hinaus verschiedene Verfahren zur Anrechnung von Arbeitseinkommen, die die Autoren detailliert aufbereiten und hinterfragen.
Anders als diese beiden Modelle sieht das Modell des “emanzipatorischen Grundeinkommens” nicht die Abschaffung des bestehenden Sozialstaats vor. Im Gegenteil, Kapital- und Vermögenseinkommen sollen stärker belastet, die Beitragsbemessungsgrenzen aufgehoben werden. Auch dieses Modell geht über 1000 Euro nicht hinaus, die aber mit dem Wachstum des Sozialprodukts zunehmen sollen, und es sieht verschiedene Anrechnungsverfahren von Arbeitseinkommen vor.
Ausgehend von einer detaillierten Diskussion dieser hier nur angedeuteten Bedingungen der verschiedenen Grundeinkommensmodelle, formulieren die Autoren eine ebenso detailreiche Kritik, von der wir hier nur die grundsätzlichste wiedergeben. Ist sie doch ebenfalls Anlass genug, genauer hinzuschauen – vorausgesetzt, man will sich nach dem bis hierher skizzierten überhaupt noch näher mit dem BGE auseinandersetzen; aber auch für diejenigen, die dies nicht für notwendig erachten, hält das Buch, wie der Titel bereits verrät, Erklärungen und Alternativen bereit; doch zunächst zur Fundamentalkritik der Autoren am Grundeinkommen:
“Das bedingungslose Grundeinkommen krankt daran, dass es – anders als die derzeit gültigen Umverteilungsregeln – die von ihm vorausgesetzte ökonomische Basis systematisch zerstört.”
Woran die Autoren dies festmachen, geht unter anderem aus dieser Bestimmung hervor:
“Regeln müssen in einer demokratischen Gesellschaft so gemacht sein, dass ein den Regeln entsprechendes gleiches Verhalten aller Gesellschaftsmitglieder – und zwar ganz egal, ob dieser Fall von Gleichverhalten als wahrscheinlich angesehen wird oder nicht – die Grundlagen des Zusammenlebens nicht in Frage stellt.”
Diese Grundvoraussetzung sehen die Autoren beim BGE nicht gegeben. Die Begründungszusammenhänge, mit denen Flassbeck , Spiecker, Meinhardt und Vesper das BGE angreifen, sind dabei deutlich anspruchsvoller als die BGE-Modelle selbst. Sie analysieren nicht weniger als die Grundvoraussetzungen, die für die Freiheit des Einzelnen gegeben sein müssen, ohne die Freiheit anderer einzuschränken. Das ist eine alte Frage, die allein in der vergleichsweise jungen Geschichte der Volkswirtschaftslehre bis in die ökonomische Klassik zurückreicht, auf die die Autoren auch Bezug nehmen. Vielleicht hätten die Autoren in diesem Zusammenhang auch noch weiter zurückblicken können, um den historischen Bogen zum BGE in Gänze zu schlagen: Fanden die klassischen Ökonomen doch Bedingungen vor, die der Merkantilismus und seine Vorgänger bereits weitgehend hergestellt hatten: Die Bevölkerung von ihrer individuellen Subsistenzgrundlage zu lösen und sie zu Deckung ihrer Existenz zu Anbietern und Nachfragern von Arbeitskraft, Waren und Dienstleistungen zu machen. Ein qualvoller Prozess, der für die jeweils Betroffenen unvorstellbares Leid mit sich brachte (man denke nur an die englischen “Einhegungen“, wie sie beispielsweise der amerikanische Soziologe Barrington Moore in seinen “Sozialen Ursprüngen von Diktatur und Demokratie” beschrieben hat) – der für die nachfolgenden Generationen aber die ökonomische Grundlage für Wachstum und Wohlstand schuf, ohne die die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens wohl kaum hätte entstehen können und die Diskussion darüber nicht denkbar wäre. Dass die Politik jene ökonomischen Grundlagen, die im angelsächsischen wie im französischen Raum auch heute noch unter dem Namen Kapitalismus subsumiert werden, bis heute nicht dazu nutzt, für eine gleiche bzw. gerechte Verteilung zu sorgen, ist eine ganz andere Frage. Die unbefriedigende Antwort, die die Politik auch in Deutschland auf diese Frage gibt, dürfte aber ursächlich für die Idee und die Sehnsucht nach einem bedingungslosen Grundeinkommen sein, das ja wiederum die Existenz des Einzelnen gewissermaßen erneut auf seine Subsistenz zurückwirft. So aber, wie sich bspw. der klassische Ökonom Ricardo aufgrund des gesellschaftlichen Widerstands gezwungen sah, seine Vorstellung, dass der technische Fortschritt per se allen Klassen der Gesellschaft zum Vorteil gereicht, zu hinterfragen und die Voraussetzungen dafür erneut zu prüfen, so müssten sich die Ökonomen, Politiker und nicht zuletzt auch die Befürworter eines BGE doch zunächst einmal fragen, warum das bestehende System nicht allen Menschen zum Vorteil gereicht, und prüfen, auf Basis welcher Voraussetzungen das bestehende System allen zum Vorteil gereichen könnte.
“De facto”, schreiben die Autoren einleitend, “ringen auch in unserem Land, ökonomisch gesehen, viele Menschen nach Atem. Da Deutschland mit dieser Politik, wie hier zu zeigen sein wird, obendrein die Grundfesten Europas schwer erschüttert, muss man ein Scheitern auf ganzer Linie attestieren. Es ist naheliegend, dass die Menschen in einer solchen Situation nach einfachen und radikalen Lösungen suchen.”
Grad so, wie in vor- und frühkapitalistischer Zeit, wenn die materiellen Ausgangsbedingungen auch nicht vergleichbar sind.
Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit dem BGE legen die Autoren schließlich dar, wie auf der Grundlage des bestehenden Systems für ökonomischen und sozialen Fortschritt gesorgt werden kann. Dazu zeichnen sie die Entwicklung seit Mitte der 1970er Jahre nach, die konservative Wende der 1980er Jahre, das Ende des Sozialismus und die Folgen. Die enge Verquickung ökonomischer, sozialer, politischer und ideengeschichtlicher Entwicklungen liefert wichtige Grundpfeiler, um die heute vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse und die sie bestimmende politische Praxis zu verstehen.
Das zentrale Kriterium für das nicht ausgeschöpfte gesellschaftliche und ökonomische Potenzial liegt nach dieser Bestandsaufnahme für die Autoren auf der Hand: Es ist “die große Umverteilung”: “In fast allen Teilen der Welt, insbesondere in den industrialisierten Ländern, folgte man seit Mitte der 1970er Jahre dem Dogma, nur mehr Macht und Geld auf Seiten der ´Investoren´ könne die Wirtschaft zum Laufen bringen und zukunftsfähig machen. Das war ein Irrtum. Die große Umverteilung hat die Welt in eine Stagnationsfalle gelotst, aus der es kaum ein Entrinnen gibt.”
Ein solches Entrinnen dennoch zu ermöglichen, setzt nach Auffassung der Autoren vor allem eines voraus: Man müsse “zunächst bei der Primärverteilung der Markteinkommen ansetzen und gegen die Arbeitslosigkeit vorgehen. Beides gelingt nur, wenn das System Marktwirtschaft nicht dauernd über sich selbst stolpert, was wiederum bedeutet, dass die Produktivität unabhängig von der Situation am Arbeitsmarkt immer in den realen Lohneinkommen weitergegeben werden muss. Verteilungskorrekturen über die Instrumente der Sekundärverteilung müssen für die Themen ´Startchancengleichheit´und Bildung´, ´Absicherung von Krankheitsrisiken und Alter´, ´Abfederung des Strukturwandels´etc. eingesetzt werden, nicht aber zum Geradebiegen einer pervertierten Primärverteilung.” Auch in diesem Sinne ist nach Auffassung der Autoren ein BGE nicht die Lösung.
So muss ich wie viele andere auf ihrer “Baustelle” also weiterhin darauf hoffen, dass sich mein Angebot hier seine Nachfrage schafft, und dass es gesellschaftlich gelingt, “eine sinnvolle Balance zwischen Macht und Markt hinzubekommen und die dazu erforderliche staatliche Steuerung systematisch einzubauen und konsequent anzuwenden”, wie Flassbeck, Spiecker, Meinhardt und Vesper abschließend schreiben. In diesem Sinne plädieren sie für ein “bedingtes Zurück”, nicht aber für “revolutionäre Lösungen” wie das BGE.
Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt, Dieter Vesper, Irrweg Grundeinkommen. Die große Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden, Westend Verlag, 224 Seiten, ISBN
978-3-86489-006-2, EUR 16.99
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