Staatsfinanzen: Not everything is as it “Siems”

Einen wirklich niko-lausigen Artikel hat die Journalistin Dorothea Siems gestern abend noch auf Welt online abgeliefert. Nicht nur die Politik scheint ein enges bzw. gläubiges Verhältnis zur privaten Versicherungslobby zu unterhalten, auch der Journalismus. Dafür spricht nicht zuletzt, dass Siems vor genau einem Jahr einen gleichartigen Bericht zum selben Thema kritzelte.

“USA sind stärker verschuldet als Griechenland” heißt es in großen roten Lettern. Und: “Katastrophale Perspektive für die USA: Laut einer Studie liegt die Schuldenlast auf einem höheren Niveau als die Griechenlands – wenn man die Verpflichtungen der Sozialkassen mitrechnet.”

Was Siems als Studie bezeichnet, ist aber das Produkt eines der bekanntesten Lobbyisten der privaten Versicherungswirtschaft und – im ökonomischen Sinne – Staatsfeindes Nr.1, Bernd Raffelhüschen, der sich dennoch gern für Staatsknete als Professor verdingt. Siems unterschlägt wie Raffelhüschen selbst dessen Lobbyistentätigkeit und stellt ihn brav als “Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen im Auftrag der Stiftung Marktwirtschaft” vor. Das ist das eine.

Das andere ist der “Inhalt” der “Studie”. Als “katastrophal”, “dramatisch” bewertet Siems die Ergebnisse Raffelhüschens und bedient damit auf überaus durchgeknallte Weise die Schuldenangst der Deutschen – gut, dass die USA dieses Jahr bei ihr im Fokus stehen, deren Bürgerinnen und Bürger werden es nicht lesen und das Niveau der Volkswirtschaftslehre in den USA ist im Vergleich zur deutschen so hoch, dass ein Raffelhüschen an den relevaten Stellen eh als ökonomische Witzfigur behandelt würde.

Natürlich – wie sollte es bei einem Lobbyisten der privaten Versicherungswirtschaft anders sein – läuft alles auf die Sozialversicherungssysteme hinaus. Siems:

“Auch die in den Sozialkassen versteckte Schuldenlast ist exorbitant groß und übertrifft die nationale Wirtschaftsleistung um das Zehnfache. Eine Ursache für die versteckte Schuldenlast sind laut Raffelhüschen die dynamisch steigenden Krankheitsausgaben. Diese werden durch die Gesundheitsreform von US-Präsident Barack Obama noch erheblich in die Höhe getrieben.”

Ins gleiche Horn stößt Siems bei Griechenland:

“Noch dramatischer ist die versteckte Schuldenlast: Da die Ausgaben der Griechen im Sozialsystem trotz der bisher durchgesetzten Einsparungen noch viel zu hoch sind, ist die Nachhaltigkeitslücke insgesamt fast neunmal so groß wie die wirtschaftliche Jahresleistung des Landes.”

Und Deutschland ist mit der Rente mit 67 und dem Absinken des Rentenniveaus natürlich “Vorreiter in der EU”, wenn es nach Siems geht. Da sind Länder mit vorbildlichen Sozialsystemen wie Finnland Siems natürlich ein Graus:

“Auch Staaten wie Finnland und Luxemburg, die gemeinhin als solide Euro-Mitglieder gelten, sind für den demografischen Wandel schlecht gerüstet. Ihre großzügigen Sozialsysteme sind auf lange Sicht deutlich unterfinanziert.”

Und, was raffelt und hüschelt aus diesen Botschaften? Natürlich: Da muss mal die private Versicherungswirtschaft ran, und die staatlichen Sicherungssysteme müssen einmal ordentlich ausgemistet werden.

Aber was ist der Beitrag von Siems gegen das Original!

Allein der Titel: “Ehrbarer Staat?” Ehrbar kann doch für Raffelhüschen von vornherein nur die private (Versicherungs-)Wirtschaft sein, oder etwa nicht? Und dann das Cover: Ein Eisblock soll den Leser schon recht ordentlich gruseln. Eisige Weltuntergangsstimmung bei der “Stiftung Marktwirtschaft”. Ziehen wir uns unsere Winterhandschuhe an und schlagen die Propagandschrift dennoch einmal auf.

Einleitend gleich die ultimative Erklärung für die Eurokrise:

“Schließlich ist die Schuldenkrise nicht urplötzlich aus dem Nichts über Europa hereingebrochen, sondern resultiert vor allem aus einer jahrzehntelang andauernden, schleichenden Verschuldungspolitik.”

Vielleicht soll das Eis auf dem Titelblatt ja auch nur für die Unverforenheit der Autoren stehen: Denn dreist ist es schon, auszublenden, dass die Staatsschulden erst durch die Rettung der privaten Finanz- und Versicherungswirtschaft und deren Institute explodierten.

Bei soviel Realitätsferne liegt es natürlich nahe, gleich einmal Griechenland ordentlich zu verhauen:

“Der Blick auf das negative Extrembeispiel Griechenland bestätigt
dabei zwei alte deutsche Sprichwörter: Erstens, mit Blick
auf die in der Vergangenheit ´geschönten´ griechischen Haushaltszahlen und Wirtschaftsstatistiken:´Lügen haben kurze
Beine´. Und zweitens, mit Blick auf verpasste  Konsolidierungspotentiale der öffentlichen Haushalte im Zuge des Eurobeitritts: ´Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.´ Die Beachtung dieser beiden Maßgaben, die Griechenland maximal ignoriert hat, gehört zu den Mindestanforderungen an einen fiskalisch ´ehrbaren Staat´, der das langfristige Wohl seiner Bürger einschließlich zukünftiger Generationen im Blick hat.”

Wie kurz aber müssen die Beine von Raffelhüschen sein? Die Krise für das griehische Staatswesen begann erst mit der Finanzkrise. Und ein “ehrbarer Staat” ist einer, der auch das derzeitige Wohl seiner Bürger im Blick hat. Raffelhüschen verwechselt mit seinen hanebüchenen Langfrist-”Studien” ganz offensichtlich das “Wohl des Bürgers” mit dem “Wohl der Finanzwirtschaft”. “Ehrbarer Wissenschaftler?” Bei Raffelhüschen jedenfalls Fehlanzeige!

Aber auch – und damit schließen wir auch den Blick in dieses ideologische Machwerk – für Deutschland halten die Autoren kuriose Erklärungen bereit; nach der folgenden kann man getrost aufhören, in dieser “Studie” zu lesen:

“Neben dem Auslaufen der Konjunkturprogramme und
dem mit dem Zukunftspaket eingeschlagenen Konsolidierungskurs
hat insbesondere das deutliche Plus bei den Steuereinnahmen
dazu beigetragen, dass Deutschland mit einem Rückgang
des gesamtstaatlichen Defizits auf 1 Prozent des BIP die
Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in 2011 mehr
als erfüllen konnte.”

Stärker kann man die Tatsachen und ökonomische Logik nun wirklich nicht verdrehen – aber was tut man nicht alles im Dienst der, na Sie wissen schon. Es verhält sich natürlich so, dass die Konjunkturprogramme für mehr Wachstum und damit für “das deutliche Plus bei den Steuereinnahmen” gesorgt haben – und einen größeren und nachhaltigeren Einbruch zuvor verhindert haben. Das frühzeitige “Auslaufen der Konjunkturprogramme” mit Antritt der schwarz-gelben Koalition dürften die hierfür Verantwortlichen, maßgeblich Brüderle, damals noch Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, angesichts der sich jetzt wieder abschwächenden Konjunktur und deren möglichen Folgen für das Wahlergebnis im nächsten Jahr evtl. bald bereuen; auch dürfte es dann vorbei sein mit dem “eingeschlagenen Konsolidierungskurs”.

Dass die USA sich übrigens derzeit besser entwickeln als Europa unter dem Dogma, das auch Raffelhüschen bedient, zeigen die Zahlen des europäischen Amts für Statistik.

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