Danke, Japan! – Ätsch, Schäuble und Weidmann!

So, Japan schickt sich an, das Gegenteil zu beweisen: Nicht wachstumsfeindliche Ausgabenkürzungen, sondern wachstumsfreundliche Ausgabensteigerungen, begleitet von einer expansiven Geldpolitik und einem erhöhten Inflationsziel sollen das Land aus der Rezession und Deflation führen. Klar, dass es Bundesfinanzminister Schäuble und Bundesbankpräsident Weidmann schauert, weil dies ihre Ideologie in ihren Grundfesten erschüttert.

Dass Schäuble ein ökonomischer Hanswurst ist, haben wir an dieser Stelle immer wieder festgestellt. Vielleicht liegt es ja daran, dass sein “Chefökonom” im Finanzministerium, Ludger Schuknecht, aufwendige Papierchen “Gegen die Vollkasko-Mentalität” produziert und damit beschäftigt ist, diese vorab an die Süddeutsche Zeitung zu lancieren. Da bleibt möglicherweise nicht genügend Zeit, seinen Chef, den Bundesfinanzminister, zu beraten. Papierchen, die doch nur mühselig und für den wachen Beobachter auch vergeblich versuchen, die Finanzierbarkeit des Sozialstaats in Frage zu stellen und dieser menschenfeindlichen Ideologie ein wissenschaftliches Gewand zu verleihen. Das aber ist so durchsichtig, dass es einen am Ende nur ärgert, dass solch “Wissenschaftler” von dem Staat leben, den sie anfeinden, und sie aus unseren Steuergeldern bezahlt werden, und dass Journalisten, wie die der Süddeutschen offensichtlich so geil auf die Nähe zu Politik und ihren Ministerien sind, dass sie jede Vorab-Nachricht unkritisch feiern bzw. nachbeten.

Bei diesem zerebralen Trauerspiel darf einer natürlich nicht fehlen: Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Der sagte gestern auf dem traditionellen Neujahrsempfang der Deutschen Börse in Richtung Japan:

“Bisher ist das internationale Währungssystem ohne Abwertungswettläufe durch die Krise gekommen und ich hoffe sehr, dass es dabei bleibt.“

Wie immer, ist man schon fast geneigt zu formulieren, irrt Weidmann. Um seinen Irrtum zu bemerken, hätte er nur einen Schritt vor die eigene Haustür machen und diese von dort aus begutachten müssen. Denn eines ist allen Ökonomen – außer vielleicht Weidmann – mittlerweile klar: Deutschland hat allein im internationalen Währungssystem der Eurozone einen Abwertungswettlauf angestoßen. Innerhalb der Währungsunion funktioniert eine reale Abwertung, indem man dafür sorgt, dass die Löhne hinter die Produktivität zurückfallen bzw. nicht so stark steigen, wie es im Fall der Währungsunion das vertraglich vereinbarte Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) vorgibt. Der Indikator, der dies ausdrückt und die Preisentwicklung bestimmt, sind die Lohnstückkosten. Die sind aufgrund des Drucks auf die Lohnentwicklung – denn die Produktivitätsentwicklung in Deutschland war weiß Gott nicht herausragend – über Jahre deutlich unter zwei Prozent geblieben. Um die darüber erzielte reale Abwertung auszugleichen, müsste Deutschland laut OECD um 23 Prozent aufwerten; die Löhne müssten also in Relation zur Produktivität gewaltig zunehmen. Weil sich Deutschland dem aber hartnäckig verweigert, ja, dieses Problem gar nicht sehen will und stattdessen den anderen, insbesondere den Krisenländern in der Eurozone aufzwingt, es Deutschland gleich zu tun, senken diese geradezu verzweifelt ihre Ausgaben und Löhne und sind darüber längst in einen Abwertungswettlauf eingetreten. Einen Wettlauf freilich, der kaum zu gewinnen ist. Zu weit hat sich die Schere in der Wettbewerbsfähigkeit über die Jahre geöffnet. Und Deutschland selbst lässt ja nicht locker.

Dass Deutschland diesen Abwertungswettlauf ausgelöst hat und die anderen Länder nun einseitig zu folgen versuchen, zeigen die folgenden zwei Graphiken, die die Lohnstückkostenentwicklung in den Zeiträumen 1999 bis 2007, vor der Finanzkrise also, und 2007 bis 2012, nach Ausbruch der Finanzkrise also, abbilden.

Lohnstückkostenentwicklung und Inflationsziel der EZB, 1999 bis 2007 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Lohnstückkostenentwicklung und Inflationsziel der EZB, 2007 bis 2012 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Dass die betroffenen Länder immer noch weit davon entfernt sind, die über die Jahre geöffnete Wettbewerbslücke zu schließen, zeigt die Lohnstückkosten Entwicklung über den gesamten Zeitraum 1999 bis 2012. Die Graphik zeigt darüber hinaus, dass jetzt nur weitere Länder das vertraglich vereinbarte Inflationsziel der EZB unterschreiten. Die Länder, die sich wie Frankreich auch weiterhin nahe am Inflationsziel der EZB bewegen, geraten dadurch weiter unter Wettbewerbsdruck. Das Problem wird durch den Abwertungswettlauf nicht nur nicht gelöst, es verschiebt sich auch weiter zum Nachteil derer, die sich an das Inflationsziel halten.

Lohnstückkostenentwicklung und Inflationsziel der EZB, 1999 bis 2012 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Wohin eine Abwärtsspirale bei den Lohnstückkosten führen kann, zeigt eben Japan, das nun schon seit Jahren vergeblich versucht, aus der Deflation herauszukommen.

Entwicklung der Lohnstückkosten in Japan, in den USA und in Deutschland und Inflationsziel der EZB (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Jetzt hat sich die japanische Zentralbank ein Inflationsziel von zwei Prozent – ungefähr gleich also dem der EZB – gesetzt, sich für unbegrenzte Anleihekäufe ausgesprochen, und die neue japanische Regierung wird versuchen, mit massiven Ausgaben, das Wachstum zu stärken, um so das Land aus der Rezession und Deflation zu führen.

Die deutsche Regierung müsste dies begrüßen, statt ablehnen. Würde sie einen Vorstoß in eine ähnliche Richtung unternehmen, wäre nicht nur der Eurozone, sondern der Weltwirtschaft insgesamt geholfen. Offen ist, wie lange sich Deutschland noch dieser Verantwortung entziehen kann. Dies wird auch davon abhängen, wie lange die Länder der G-20 und die benachteiligten Länder in der Eurozone sich diese “Übergriffe”, um ein Wort Weidmanns aufzugreifen, der damit freilich die “Übergriffe” der Politik auf die Notenbanken meint, noch gefallen lassen.

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