Vor wenigen Tagen war auf dieser Seite bereits zu lesen, dass die SPD mit Kanzlerkandidat Peer Steinbrück noch “Luft nach unten hat“. Vielleicht gewährleistet in turbulenten Zeiten wie diesen, in denen die Welt bisweilen Kopf steht, Satire ja wirklich den realistischeren Zugang zur Politik. Nun hat eine Umfrage ergeben, dass Steinbrück jetzt schon unbeliebter ist als Westerwelle. Überraschend ist indes eher das Umfrageergebnis für Hannelore Kraft und die diese begleitende Diskussion.
Vorweg: Wir sollten grundsätzlich nicht allzu viel auf diese Umfragen geben, ziehen sie aber in diesem Fall als Grundlage einleitend heran, um zu einer Frage vorzustoßen, die nicht zu letzt aufgrund solcher Umfragewerte mehr und mehr die Diskussion um den richtigen Kanzlerkandidaten bzw. die richtige Kanzlerkandidatin, Hannelore Kraft nämlich, bestimmen.
Während Steinbrück im aktuellen DeutschlandTrend 12 Punkte verliert, gewinnt Kraft zwei Punkte hinzu und landet bei der Zufriedenheit der Bevölkerung mit Politikern auf Platz vier, nur drei Plätze hinter Merkel, die allerdings fünf Punkte hinzu gewonnen hat; Steinbrück landet dagegen abgeschlagen auf Platz 11. Laut derselben Umfrage ist jeder vierte SPD-Anhänger der Meinung, dass sich die SPD nach einem neuen Kanzlerkandidaten umsehen sollte.
Schon Ende Dezember vergangenen Jahres hieß es aufgrund jener Beliebtheits- bzw. Unbeliebtheitswerte: “Kraft hängt Steinbrück locker ab“, “Hannelore Kraft beliebter als Peer Steinbrück“, “Hannelore Kraft überholt Kanzlerkandidat Steinbrück“. Gut, dass die so genannten Leitmedien die Pressefreiheit so intensiv ausschöpfen und sich ihr eigenes Bild machen!
Aus der für die meisten, nur nicht die SPD-Funktionäre vorhersehbaren Katastrophe, die Steinbrück als Kanzlerkandidat für die SPD mit sich bringen würde, und die sich häufenden, von der breiten Öffentlichkeit als Fehltritte wahrgenommenen und den Medien ausgeschlachteten Aussagen Steinbrücks nährt sich nun die Diskussion um einen alternativen Kanzlerkandidaten bzw. eine alternative Kanzlerkandidatin.
““, überschrieb der Mit-Herausgeber der NachDenkSeiten, Albrecht Müller, gleich zu Beginn des Jahres seine Forderung:
“Die Umfrageergebnisse zeigen, dass es kein Wechselklima gibt und dass Angela Merkel ihre Position ausbauen konnte. Die Lage ist so ernst, dass man von der SPD-Führung verlangen muss, zwischen zwei schlechten Alternativen nach der weniger schlechten zu greifen. So ist das manchmal im Leben.”
Müller bringt zunächst den Parteivorsitzenden Gabriel als Alternative ins Spiel. Das aber ist wenig überzeugend. Im Gegenteil: Mit Gabriel würde die SPD doch nur vom Regen in die Traufe kommen. Gabriel hat Steinbrück als Kanzlerkandidaten nach vorn geschoben; er ist als Parteivorsitzender hauptverantwortlich für dieses Debakel. Außerdem: Gabriel hat sich bereits im Novemer in der FAZ fast identisch wie Steinbrück im Dezember zum Kanzlergehalt geäußert, was auch nach Ansicht Müllers bei Steinbrück nicht unwesentlich zum aktuellen Absturz beigetragen haben dürfte. Auch Gabriel verteidigt bis heute die Agenda 2010; die Medien verreißen ihn – ob zu recht oder unrecht – regelmäßig wegen seiner “Sprunghaftigkeit”; Gabriel hat trotz bestmöglicher alternativer Beratung zum herkömmlichen wirtschaftspolitischen Mainstream (u.a. von Heiner Flassbeck, Gustav Horn), die er vor geraumer Zeit in Anspruch genommen hat, bis heute keine eigene konsistente und alternative Position zur Eurokrise oder zur Wirtschafts- und Sozialpolitik (siehe sein dürftiges Rentenkonzept) gefunden.
Das ist auch insofern interessant, als dass der oben aufgegriffene aktuelle DeutschlandTrend ebenfalls ergibt, dass die Eurokrise weiter als bedrohlich empfunden wird. 70 Prozent glauben, “der schlimmste Teil der Krise stünde uns noch bevor.” Was die soziale Frage anbelangt, hält die Umfrage ebenfalls eine klare Botschaft bereit: “Jeder zweite Bundesbürger (51 Prozent) glaubt, dass es in Deutschland alles in allem eher ungerecht zugeht.” Und: “Die große Mehrheit (87 Prozent) beklagt, nicht an der positiven ökonomischen Entwicklung teilzuhaben.” Die angeführte Mängelliste zu Gabriel ließe sich gerade vor diesem Hintergrund noch deutlich ausweiten.
Als nächstes rät Müller der SPD, noch einmal bei Hannelore Kraft anzuklopfen. In die gleich Kerbe schlägt der Politikberater Joseph Dehler. Auf die Frage, auf welche Weise die SPD noch annähernd eine Chance hätte, die Bundestagswahl zu gewinnen, antwortet Dehler:
“Hierzu wäre es erforderlich Steinbrück unverzüglich auszuwechseln und Hannelore Kraft zur Kandidatin für das Amt der Bundeskanzlerin zu machen. Jedenfalls würde sie in ein paar Tagen mehr Zustimmung auf sich vereinen, als Steinbrück bis zur Wahl im September jemals erreichen kann.”
Ist Kraft aber wirklich die Kraft, die den Wählern den Glauben an die SPD zurückgeben kann? Wohl kaum.
Man schaue nur auf ihr Wahlergebnis, das sie im vergangenen Jahr in NRW erzielte. Sie hat – außer Wirtschaft und Gesellschaft hat das komischerweise niemand thematisiert – weniger Menschen mobilisiert, die SPD zu wählen (Zweitstimmen), als Steinbrück bei seiner historischen Wahlniederlage in NRW sieben Jahre zuvor. Und das, obwohl die Zahl der Wahlberechtigten 2012 höher lag als 2005.
Wie ist es nun inhaltlich um dieses vermeintliche Talent in der SPD bestellt? Im Wahlkampf 2010 hat dieselbe Hannelore Kraft noch damit geworben, dass Hartz IV Empfänger die Straße fegen sollen. Vielleicht hatten das die Wähler, die früher SPD gewählt haben, 2012 ja noch nicht vergessen. Auch vor dem Hintergrund der oben zitierten Umfrage ist dieser Punkt relevant. Denn in der Frage der sozialen Gerechtigkeit dürften sich solch Ansichten, wie sie sich Hannelore Kraft zu eigen gemacht hat, besonders negativ bei potenziellen SPD-Wählern niederschlagen. So hält die Umfrage fest:
“Die Sicht auf die Frage nach der Gerechtigkeit hierzulande wird in starkem Maße vom sozialen Status bestimmt. Je besser die Schulbildung und je höher das Einkommen der Menschen, desto seltener wird über bestehende Ungerechtigkeiten geklagt. Unter den Bürgern mit Abitur und jenen mit einem Haushaltseinkommen von über 3.000 Euro können sogar Mehrheiten von 59 bzw. 58 Prozent keine soziale Schieflage erkennen.”
Hannelore Kraft würde und könnte die SPD nicht glaubwürdig nach “links” rücken und die Gerechtigkeitsfrage vertreten. Dagegen spricht auch, dass sie sich Garrelt Duin als Wirtschaftsminister nach NRW geholt hat. Der freilich liegt in Sachen Hartz IV und einseitig “wirtschaftsfreundlicher” Politik mit seiner Ministerpräsidentin auf einer Linie. Auch hier lohnt es sich kurz zurückzuschauen. Garrelt Duin einen Tag nach der historischen Bundestagswahlniederlage 2009 im Interview mit dem Deutschlandfunk:
“Breker: Herr Duin, dass Die Linke so stark geworden ist, hat viel mit Hartz IV zu tun, und Hartz IV, das ist eine Erbschaft der SPD von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Muss da nicht ein Bruch stattfinden?
Duin: Nein. Ich glaube nicht, dass wir einen Bruch mit der Vergangenheit brauchen, weil in der Zeit auch vieles erfolgreich gemacht wurde. Wir hatten bis zu Beginn der Wirtschaftskrise einen enormen Rückgang an Arbeitslosigkeit. Also da jetzt alles über den Haufen zu werfen, wäre meines Erachtens voreilig.”
Und heute?
Nach bald hundert Tagen im Amt des NRW-Wirtschaftsministers äußerte sich Duin gegenüber dem WDR wie folgt:
“Ich glaube auch, dass ich in den ersten knapp drei Monaten im Amt den Eindruck hinterlassen konnte, dass es jetzt einen Minister gibt, der sich um Wirtschaft und wirtschaftliche Interessen intensiv kümmert.”
Da ist es nur konsequent soziale Stromtarife für Hartz IV Beziehende abzulehnen. Duin:
“Das grundsätzliche Problem lässt sich durch Sozialtarife nicht lösen.“
Sicherlich meint Duin das grundsätzliche Problem hoher Strompreise, was ja stimmt, nicht aber das grundsätzliche Problem Hartz IV.
Schließlich muss man sich aber auch einmal ungeachtet dieser Punkte vorstellen, wie die Medien reagieren würden, sollte Kraft tatsächlich noch in diesem Jahr neue Kanzlerkandidatin der SPD werden. Wahlbetrug würde wohl noch das zurückhaltendste Wort sein, das Kraft und der SPD dann entgegenschlüge, so konsequent, wie sich zu ihrem Entschluss in NRW zu bleiben geäußert hat. Und natürlich dürfte die Verwirklichung dieser Idee allein deswegen völlig unrealistisch sein, weil Kraft natürlich ihre Karriere nicht so leichtfertig aufs Spiel setzen wird. Hier unterscheidet sie sich schließlich nicht von den anderen Funktionsträgern in der SPD (wie natürlich in den anderen Parteien auch). Auch dürfte ihre Selbsteinschätzung – für so klug halte ich sie zumindest – eventuell gesünder sein, als die Einschätzung der Medien und der SPD in Gänze über sie und ihre Erfolgschancen.
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