Der bis jetzt nicht fertig gestellte Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) ist vielen ein gefundenes Fressen, den Staat bzw. die Politik als Investor bzw. Unternehmer komplett und grundsätzlich in Frage zu stellen. Spiegel online hat diese Haltung gestern auf den Punkt gebracht:
“Berlin leidet unter dem Endlos-Skandal um den neuen Flughafen. Kritiker sehen schon den Ruf der Hauptstadt in Gefahr. Der Wahnsinn hat im ganzen Land Methode: Wenn die Politik Großprojekte angeht, ist mit Pfusch am Bau, Verzögerungen und Kostenexplosionen zu rechnen – acht Beispiele belegen das.”
Privates Klein- und Großvieh macht auch Mist!
Acht Beispiele sollen also das Scheitern der Politik im ganzen Land belegen. Das Statistische Bundesamt hat gerade heute gemeldet, dass allein im Oktober 2012 2.405 private Unternehmen insolvent gegangen sind, 1,8 Prozent mehr als im selben Monat des Vorjahres. 271 private Unternehmen sind allein im Baugewerbe insolvent geworden, 90 Bauunternehmen wurden darüber hinaus mangels Masse abgewiesen.
Weiter heißt es in der Meldung: “Die voraussichtlichen offenen Forderungen der Gläubiger bezifferten die Gerichte für den Oktober 2012 auf 4,7 Milliarden Euro. Im Oktober 2011 lagen sie bei 2,7 Milliarden Euro.” Wohl niemand würde deswegen auf die abstruse Idee verfallen, dass dies das Scheitern des privaten Baugewerbes im ganzen Land belegt.
Wirtschaftswoche: Bauindustrie “korrupteste Branche”
Die sicherlich jedweder Einmischung des Staates in das Wirtschaftsgeschehen nicht eben freundlich gesinnte Wirtschaftswoche schrieb bereits 2010 unter der Überschrift “Deutschlands spektakulärste Bauskandale”: “Die Bauindustrie zählt zu den korruptesten Branchen Deutschlands.”
Das ist die eine Seite der Medaille von potenziellen und realisierten Bauskandalen, die immerhin schon deutlich macht, dass bei der Vergabe von Bauaufträgen, privaten wie öffentlichen, mit besonderer Umsicht vorzugehen ist. Über die andere Seite, die einer durchaus Verantwortung zeigenden Bauindustrie, berichtete unter der Überschrift “Die ´Bausskandale´ kommen nicht von ungefähr” Die Zeit bereits 1958:
“Die Bauindustrie zielt besonders auf eine Verbesserung der Bestimmungen zur Vergabe von Bauleistungen. Man versucht also, die öffentliche Hand davon zu überzeugen, daß die bisher oft geübte Praxis nicht richtig sei. Die öffentliche Hand ist nach wie vor, insgesamt gesehen, der größte Auftraggeber der Bauwirtschaft. Die Vorschläge der Bauindustrie sind in einem Memorandum enthalten, das der Hauptverband der deutschen Bauindustrie schon vor geraumer Zeit vorlegte. Bemängelt wird vor allem, daß die öffentliche Hand häufig dem billigsten Angebot den Zuschlag gebe. Damit werde der Leistungswettbewerb in einen Preiswettbewerb verfälscht. Der Leistungswettbewerb erstrecke sich ja nicht nur auf den Preis, sondern auch auf die Qualität der Bauausführung.”
Dass die hier angedeuteten Probleme auch 55 Jahre später noch akut sind, wie im Fall des BER und anderer Großprojekte, die zurecht im Fokus der öffentlichen Kritik stehen, drückt der Architekt Albert Speer junior in einem sehr überlegten Gespräch mit Süddeutsche online über den Berliner Flughafenbau aus, wenn er zum Beispiel feststellt:
“Am Anfang von großen Projekten ist nicht genug Zeit und Geld da, um die wirtschaftlichen, ökologischen oder gestalterischen Aspekte der Arbeit zu durchdenken und Alternativen zu prüfen. Meistens startet die Politik in ein Großprojekt, ohne es intensiv und intelligent studiert zu haben. Das Projekt beginnt lange vor der eigentlichen Bauphase. Die Planung kostet viel Zeit und Geld. Aber genau deshalb will sie auch niemand finanzieren. Deshalb sind viele große Projekte von vorne herein bereits zum Scheitern vorurteilt, schon bevor es auf der Baustelle losgeht.”
Politische Verantwortung muss von Anfang an wahrgenommen werden
Es ist offensichtlich und müsste ohnehin als selbstverständlich gelten, dass die Wahrnehmung politischer Verantwortung schon von Beginn an ausschlaggebend ist – nicht nur bei Bauvorhaben. Hierzu hält Speer wiederum fest:
“Die Behörden wollen sich nicht reinreden lassen. Da spielen vor allem Herrschaftsstrukturen und Hierarchien eine Rolle.”
Noch mehr gilt dies wohl für politische Parteien, die die Geschicke der Behörden wesentlich mit bestimmen. Wie eine erfolgreiche Wahrnehmung politischer Verantwortung aussehen kann, skizziert Speer am Beispiel des Baus der Allianz-Arena in München:
“Ein Beispiel, bei dem ich dabei war, war der Bau der Allianz-Arena in München. Dort haben die beiden Vereine FC Bayern München und 1860 München darauf bestanden, dass ein unabhängiges Kompetenzteam, bestehend aus einem der besten Rechtsanwaltsbüros in München, aus Architekten und Fachleuten, das Projekt von Anfang bis zur Bauübergabe begleitet. Die Allianz-Arena ist mit allen Genehmigungsverfahren und allen Beteiligungsverfahren innerhalb von viereinhalb Jahren geplant und gebaut worden. Und das auch noch innerhalb des finanziellen Rahmens, den die beiden Vereine vorgegeben hatten.”
Warum soll ein solches Vorgehen nicht generell auch bei der öffentlichen Auftragsvergabe möglich sein? Auch dazu weiß Speer Interessantes zu sagen:
“Eigentlich müsste Deutschland mit seinen demokratischen und klaren Strukturen prädestiniert sein, Großprojekte zu organisieren. Bei uns dauern die Verfahren länger, sollten dafür aber auch gründlicher durchdacht sein. Es ist eine Frage der Vorplanung. In Katar saßen wir als Projektplaner hervorragend organisierten Auftraggebern gegenüber. Sie holten sich Experten aus den USA und anderen westlichen Staaten, die dann von uns forderten, dass die Kandidatur von Katar die am besten organisierte Bewerbung ist, die die Welt jemals gesehen hat. Außerdem haben die Organisatoren in Katar nicht einfach das übernommen, was wir ihnen vorgeschlagen haben, sondern hinterfragt und sich mit externen Beratern besprochen. So mussten wir die beste Qualität liefern. Das war für uns ein schwieriges Projekt, das innerhalb eines festen Zeitraumes fertig werden musste. Denn eines der großen Probleme in Deutschland ist auch, dass es keine festen Fertigstellungstermine gibt. Da kann es wie in Berlin geschehen, dass das Projekt fünf Mal verschoben wird, bevor es fertig ist.”
Politische Verantwortung konkret
Man vergleiche diese jedem gesunden und verantwortlichen Menschenverstand unmittelbar einleuchtenden Erläuterungen nun einmal mit dem Zustand der Politik in Berlin und Brandenburg.
Auch ohne die Ausführungen Speers, auf den ich erst beim Recherchieren für diesen Beitrag gestoßen bin, kam mir, und sicher nicht nur mir, beim Verfolgen der Nachrichten über den Berlin-Brandenburgischen Bauskandal die Frage in den Sinn: Handelt nicht jeder normale Bürger in seinem vergleichsweise kleinen Verantwortungsbereich in jedem Fall umsichtiger als der regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, und der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, im Fall des BER? Wäre ich bei solch einem Riesenprojekt nicht hinter allen Fragen persönlich hinterher gewesen? Hätte ich mir als Bürgermeister und Ministerpräsident nicht mindestens jede Woche Zeit genommen, einen ausgiebigen Rundgang über die Baustelle zu unternehmen und mir über den Verlauf des Baus berichten wie auch die Zahlen prüfen lassen – und auf jede Unstimmigkeit und Verzögerung sofort reagiert? Hätte ich mir nicht von Beginn an, wie es auch Speer in wenigen Sätzen auf den Punkt bringt, die bestmöglichste und kritischste Expertise eingeholt? Natürlich hätte ich das. Und zwar aus schierer Angst, dass etwas schief laufen könnte. Aus Verantwortung für die Riesenbeträge, für die hart arbeitende Menschen aufkommen müssen, und die im Fall eines Scheiterns oder im Fall von Verzögerungen für andere dringend notwendige Ausgaben fehlen, aus Verantwortung für die Unternehmen und Beschäftigten, deren Schicksal mit der pünktlichen Fertigstellung des Flughafens verbunden ist. Jeder mit einem Funken Verstand und Verantwortung und von gesundem(Selbst)Zweifel getriebene Mensch hätte das!
Wowereit und Platzeck haben dies offensichtlich nicht getan. Tatsächlich ein unfassbarer Vorgang. Der aber ist Ausdruck menschlichen Versagens und darf nicht Grundlage dafür sein, die Politik aus ihrer Verantwortung zu entlassen oder dafür, den Staat als Auftraggeber und in diesem Rahmen auch als Unternehmer bzw. als kontrollierendes Aufsichtsratsmitglied grundsätzlich in Frage zu stellen.
So einfach, wie es sich der Landesvorsitzende der SPD, Jan Stöß, heute früh im Interview mit dem Deutschlandfunk gemacht hat, geht es aber gerade nicht:
“Kaess: Sie sprechen von anderen. Der Bund hat ja schon lange die Ablösung des Chefs der Flughafengesellschaft, Rainer Schwarz, gefordert. Warum ist Wowereit denn darauf nicht früher eingegangen?
Stöß: Es gab jetzt ja die gemeinsame Entscheidung, die auch von Berlin mitgetragen wurde, den Geschäftsführer Rainer Schwarz abzulösen.
Kaess: Aber warum ist das nicht früher passiert, wenn der Bund sich das schon früher gewünscht hat?
Stöß: Man kann auch jetzt nicht aufs erste Zurufen sagen, der Geschäftsführer muss ausgewechselt werden. Jetzt war die Situation, wo man wirklich sagen musste, es ist insbesondere ein kommunikatives Problem gewesen offensichtlich zwischen der Geschäftsführung und dem Aufsichtsrat, und ich glaube, jetzt war diese Entscheidung richtig und sie wird ja auch weit getragen.
Kaess: Aber jetzt entsteht der Eindruck, dass Rainer Schwarz das Bauernopfer ist.
Stöß: Der Geschäftsführer ist natürlich in der ersten Verpflichtung auch in der operativen Umsetzung, und da haben wir schon immer wieder darauf hingewiesen. Es ist eben so, dass es auch eine klare Aufgabenverteilung zwischen der Geschäftsführung und dem Aufsichtsrat gibt.”
Wenn Stöß hier eines beherrscht – es lohnt sich hierzu das ganze Interview zu lesen (vielsagend auch der Beitrag in der Berliner Zeitung) -, dann ist es die Politik aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Genau hier muss eine sinnvolle und wirksame Kritik an der Politik geübt und müssen Forderungen an sie gerichtet werden.
Wenn die Partei Politikern näher steht als die politische Verantwortung
Wenn die Partei den Politikern näher steht und wichtiger ist als die Politik selbst und die mit ihr verbundene gesellschaftliche Verantwortung, muss dies im Zentrum der Kritik stehen. Stöß ist hier eindeutig, wenn er sagt, was für ihn wichtig ist, nämlich seinen Genossen im Amt zu halten:
“Für mich ist wichtig, die SPD hat sich im geschäftsführenden Landesvorstand und in der Fraktion ganz klar dazu bekannt, Klaus Wowereit da den Rücken zu stärken, und übrigens auch unser Koalitionspartner.”
Es ist für den Normalbürger wohl kaum nachvollziehbar – gerade auch vor dem Hintergrund der oben angestellten, konkreten Überlegungen, wie man selbst an ein solches Projekt herangehen würde und den verständlichen Äußerungen des erfahrenen Architekten und Projektentwicklers Speer -, dass ein Geschäftsführer mehr Verantwortung trägt, “in der ersten Verpflichtung” ist, wie Stöß es ausdrückt, und nicht der regierende Bürgermeister bzw. Ministerpräsident, die diesen kontrollieren – und vorher ernennen, so, wie der Aufsichtsrat diesen auch abberufen kann.
Es sind solche parteipolitisch motivierten, opportunistischen Aussagen, wie die oben zitierten, wie auch das an anderer Stelle ausführlich aufgezeigte Abstimmungsverhalten von Politikern, die für die bereits weit verbreitete und immer weiter um sich greifende Parteienverdrossenheit verantwortlich zeichnen und damit auch das Fundament unserer Demokratie gefährden.
Gesetzgebung, Auflagen und Transparenz gehören in den Fokus
Für solch ein parteipolitisches Unwesen die ganze Politik in Haftung zu nehmen und in Misskredit zu bringen heißt jedoch, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Genauso unsinnig wäre es, die private Wirtschaft in Bausch und Bogen zu verdammen und für unfähig zu erklären, weil es auch dort korrupte und unverantwortliche Schafe gibt.
So, wie Fehlentwicklungen in der privaten Wirtschaft durch Gesetzgebungen, Auflagen und mehr Transparenz korrigiert werden müssen, so müssen auch Fehlentwicklungen in der Politik immer wieder entsprechend korrigiert werden. Das gilt umso mehr, als dass Fehlentwicklungen, wie beispielsweise im Finanzsektor, nicht selten erst durch laxe Gesetzgebung möglich gemacht und befördert wurden. Sowenig man jedoch in der Gesetzgebung für die private Wirtschaft den Bock zum Gärtner machen darf, so wenig darf man dies auch in der Politik.
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