Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung/Makroökonomische Ungleichgewichte: Was tut die EU-Kommission da?

Heute hat die Bundesregierung ihren Jahreswirtschaftsbericht vorgestellt. Zum zu erwartenden Jubel und dessen Grundlage ist bereits gestern bezogen auf die Meldung des Statistischen Bundesamtes zum Bruttoinlandsprodukt 2012 alles notwendige gesagt bzw. geschrieben worden. Interessant aber ist eine Einsicht, die man so nun wirklich nicht erwartet hätte und die zunächst auch völlig unerklärlich ist.

Sie betrifft die Überprüfung “makroökonomischer Ungleichgewichte”, wie sie die Europäische Komission vorsieht. Der Jahreswirtschaftsbericht erklärt dazu zutreffend (Hervorhebung Wirtschaft und Gesellschaft):

“Das Verfahren zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer
Ungleichgewichte verbessert die Überwachung der Wettbewerbsfähigkeit in den Mitgliedstaaten; zudem schreibt es die Korrektur struktureller Fehlentwicklungen deutlich verbindlicher als bisher vor (vgl. JWB 2012, Tz 63 f.). So soll Fehlentwicklungen schneller entgegengewirkt werden.”

Der am einfachsten überschaubare und zugleich relevante, weil die Gesamtverschuldung und Gesamtüberschussbildung von Staaten bestimmende Maßstab für Fehlentwicklungen bei der Wettbewerbsfähigkeit sind die Leistungsbilanzsalden, respektive Leistungsbilanzungleichgewichte (Defizite/Überschüsse).

Und deswegen ist das Erstaunen groß, dass wir im Jahreswirtschaftsbericht erfahren, dass zwar gleich einige Länder einer Überprüfung unterzogen worden sind und weiter unterzogen werden, nicht aber Deutschland:

“Die EU-Kommission hat im Februar 2012 in ihrem Frühwarnbericht zwölf Länder mit potenziellen Ungleichgewichten identifiziert: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Italien, Zypern, Ungarn, Slowenien, Finnland, Schweden, Vereinigtes Königreich. Der Frühwarnbericht beruht auf der Auswertung ausgewählter Indikatoren (Scoreboard). Die Kommission stellte bei Deutschland keine etwaigen Ungleichgewichte fest.”

Ist die EU-Kommission etwa blind? Hier die Leistungsbilanzsalden der von der EU-Kommission überprüften Länder und des nicht überprüften Deutschlands:

Leistungsbilanzsalden der von der EU-Komission auf potenzielle makroökonomische Ungleichgewichte überprüften Länder sowie des nicht überprüften Deutschlands, 2012 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Nun könnte man meinen, gut, die EU-Kommission traut ihren eigenen Prognosen nicht und hat daher die Daten aus 2011 zugrundegelegt. Aber auch da schon weist Deutschland den vierthöchsten Leistungsbilanzüberschuss gegenüber den von der EU-Kommission überprüften Ländern aus und steht unter den Ländern der Eurozone, die hier berücksichtigt sind, am schlechtesten da:

Leistungsbilanzsalden der von der EU-Komission auf potenzielle makroökonomische Ungleichgewichte überprüften Länder sowie des nicht überprüften Deutschlands, 2011 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Richtig ist auch: Die – so sicherlich von den Deutschen bestimmte – Regelung sieht vor, dass ab einem Leistungsbilanzüberschuss von über 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und einem Leistungsbilanzdefizit von über 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geprüft wird (kritisch dazu hier: Deutschland fein raus?). Warum aber werden dann Bulgarien, Frankreich, England und Finnland geprüft wie auch Zypern, Italien, Belgien, Spanien, Slowenien, Dänemark, obwohl sie unter den festgelegten Defizit- bzw. Überschussgrenzen liegen, nicht aber Deutschland?

Weiter heißt es im Jahreswirtschaftsbericht:

“Die Kommission wird neben den bereits im letzten Jahr vertieft
untersuchten 12 Mitgliedstaaten zwei weitere Länder – Malta und die Niederlande – näher untersuchen. Deutschland gehört weiterhin nicht zu den Ländern, in denen sie eine eingehende Überprüfung für erforderlich hält.”

Nun liegen die Leistungsbilanzsalden der neu hinzugekommenen Länder zwar noch über dem Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands. Zum einen aber sind dies deutlich kleinere Volkswirtschaften; kleinere Volkswirtschaften orientieren sich naturgemäß stärker nach außen, weil der Binnenmarkt kleiner ist; auch das aber kein Zwang; zum anderen hat Deutschland nach wie vor auch unter Berücksichtigung der beiden neu hinzugekommenen Länder einen der höchsten Leistungsbilanzüberschüsse, und dass als größte Volkswirtschaft in der Eurozone wie in Europa insgesamt.

Leistungsbilanzsalden der von der EU-Komission auf potenzielle makroökonomische Ungleichgewichte überprüften Länder sowie des nicht überprüften Deutschlands, 2013 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Wie und warum das alles möglich ist und was dies für Folgen zeitigt, haben wir bereits am 23. Dezember 2011 auf Grundlage des damals erschienenen Monatsberichts des Bundesministeriums der Finanzen analysiert.

Da ist es schon ein starkes Stück, wenn das so eingerichtete Verfahren der EU-Kommissionn es der gegenüber diesem Problem besonders ignoranten Bundesregierung erlaubt zu schreiben:

“Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass der korrektive Arm des Verfahrens künftig bei Ländern mit übermäßigen Ungleichgewichten konsequent angewendet werden muss.”

Wenn eines Konjunktur hat, dann scheint es der Wahnsinn der Ökonomen und Politiker zu sein, die sich in unseren Instituitionen breit gemacht haben.

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