Jetzt hat sich auch der Herausgeber der Wochenzeitung der Freitag, Jakob Augstein, in seiner Spiegel online Kolumne des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER) angenommen. Und es tut mir fast leid, schon wieder feststellen zu müssen, dass er danebenliegt. Nicht in seiner Beschreibung und Verurteilung der politischen Verhältnisse in Berlin, aber in seiner Begründung und seinen Schlussfolgerungen. Damit verbindet sich die Frage: Was ist die Kompetenz eines Aufsichtsrates und was die eines Journalisten?
Augstein tappt mit seiner Kolumne heute genau in die Falle, vor der wir am 10. Januar gewarnt haben: Er schließt aus den Ereignissen rund um den Berliner Flughafenskandal: “Die Politik sollte sich aus der operativen Steuerung wirtschaftlicher Prozesse heraushalten.”
Und er verkennt, dass Wowereit und Konsorten genau das getan haben! Sie haben sich herausgehalten, obwohl sie als Aufsichtsratsmitglieder in der Verantwortung standen. Deswegen ist Augstein ja auch Recht zu geben, wenn er den Rücktritt Wowereits fordert. Augstein aber schießt – als versuchte er auf einer der noch nicht in Betrieb genommenen Landebahnen des BER aufzusetzen – über das Ziel hinaus. Gut, dass er nicht Pilot geworden ist. Aber zeugt sein Beitrag wenigstens von journalistischer Kompetenz? Eher nicht. Und zwar gerade wegen Augsteins Definition von Kompetenz.
Augstein:
“Klaus Wowereit kommt aus Berlin-Lichtenrade, er hat an der Freien Universität Jura studiert, er war Regierungsrat und Bezirksstadtrat, er war Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender. Das sind alles Berufe und Posten und Stationen, die man so absolviert, wenn man in einer überschaubaren Stadt eine politische Laufbahn einschlägt.
Was soll Klaus Wowereit von einer der größten Brandschutzanlagen der Welt verstehen? Welchen Beitrag kann er zu der Frage leisten, ob die Sicherheitstüren mit Schlüsseln oder Chipkarten geöffnet werden sollen? Woher soll er wissen, was mit der Verkabelung ist, mit den Rolltreppen, mit den Förderbändern, mit den Abfertigungsschaltern und mit der zentralen Computeranlage, bei der die Kühlung zu schwach ist und überhaupt: was hat ein Politiker mit dem Bau eines solchen Großprojekts zu schaffen? Nichts.”
Das ist nun wirklich platt und ausgemachter Blödsinn. Das Beunruhigende daran: Augstein scheint es nicht zu merken. Sonst müsste er nämlich gleich ganz das Gremium des Aufsichtsrates abschaffen und nicht nur die Politiker heraushalten, wie er es vorsieht. Oder will Augstein uns wirklich weißmachen, dass private Aufsichtsratsmitglieder in Unternehmen etwas von Brandschutzanlagen verstehen, von Sicherheitstüren, Verkabelung, zentralen Computeranlagen usw.? Das tun sie in der Regel natürlich nicht. Aber sie müssen sich – wie es für jede, auch die journalistische Tätigkeit gilt – in das betreffende Unternehmen und deren Geschäft einarbeiten, sich die Dinge erklären lassen, Erklärungen einfordern, Experten hinzuziehen, die Dinge hinterfragen.
Augstein hätte – soweit zur journalistischen Kompetenz – mal etwas recherchieren sollen; vielleicht wäre er dann, wie ich in diesem Fall, auf die ganz grundsätzlichen Aussagen des mit Großprojekten erfahrenen Architekten Albert Speer junior gestoßen. Was Speer für Deutschland und Katar sagt, gilt beispielsweise auch für Malaysia. Deren langjähriger Premier, Tun Mahathir bin Mohamad, war Kinderarzt! Er hat riesige Großprojekte ins Leben gerufen, erfolgreich, auch in der Zusammenarbeit mit privaten, inländischen und ausländischen Unternehmen. Ich habe an der Universität in Kuala Lumpur mit Begeisterung die Fünf-Jahres-Pläne aus jener Zeit studiert, die sich wie ein Lehrbuch der Industrialisierung und Entwicklung lesen. Sicherlich ein “konservativer” und “streitbarer” Mensch und Politiker übrigens. In Taiwan waren bis zum Abschluss der Industrialisierungsphase fast ausschließlich Physiker und Militärs mit der Planung und Umsetzung von Großprojekten wie der Entwicklung des Landes insgesamt befasst (vgl. Robert Wade, Governing the Market). Der Macher von Singapur, Lee Kuan Yew, der aus einem “stinkenden Kolonialhafen” (Lee Kuan Yew) ein Industrieland gemacht hat war Anwalt, wie Wowereit! Auch die europäische Wirtschaftsgeschichte ist voll gepackt damit. Es werden sich sicher auch für die Bundesrepublik zahllose Großprojekte finden lassen, die erfolgreich verlaufen sind, vielleicht, sehr wahrscheinlich sogar, weil dort Politiker verantwortlich mit ihren Aufsichtsratsmandaten umgegangen sind. Ich erinnere aus meiner Recherche noch, wie ein Universitätsprofessor zu Großprojekten wie dem BER nüchtern festhielt, dass man von den vielen gelungenen Großprojekten ja nie etwas höre.
Augstein meint aber durch die folgende Auflistung aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schließen zu können, dass die Politik nicht nur überfordert, sondern am falschen Platz war. Weil´s so schön populär ist und die Menschen zu Recht wütend sind auf das Versagen der Politik, darf er sich da eines gewissen Beifalls sicher sein. Nicht immer aber hat derjenige Recht, der den lautesten Applaus erhält, wie wir alle wissen:
“Was genau ist schiefgelaufen? Die ´Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung´ hat eine Liste gemacht. Da kommt einiges zusammen: von den 500 ungeplanten Änderungen, die den Bauablauf verzögert haben, über Probleme mit der Steuerung von 75.000 Sprinklerköpfen, 16.000 Brandmeldern und 3400 Klappen für Zu- und Abluft, bis zum Detail, dass der Flughafen zum geplanten Eröffnungszeitpunkt im vergangenen Sommer nicht einmal einen funktionierenden W-Lan-Anschluss hatte. Das ist der erschreckende Beweis dafür, dass die Politik hier nicht nur überfordert war – sie war einfach am falschen Platz.”
Die Konsequenz des persönlichen Scheiterns von Wowereit und Platzeck und anderen kann aber nur sein, sie zur Verantwortung zu ziehen. Hieran mitzuwirken wäre die Aufgabe eines aufgeklärten und aufklärenden Journalismus. Apropos Kompetenz im Journalismus. Hätte Augstein auch nur unser eigenes Metier etwas in den Blick genommen und Wowereit daran gemessen, dann wäre er gar nicht darauf gekommen, dass ein Anwalt seine Verantwortung als Aufsichtsrat nicht hätte wahrnehmen können. Zeigt doch gerade die jüngere Entwicklung des Journalismus, dass all die feinen, in speziell dafür geschaffenen Journalistenschulen ausgebildeten Schreiberlinge in ihrer breiten Mehrheit nicht eben durch Kompetenz und Verantwortung für die Gesellschaft glänzen. Und man setze dagegen die gesunde Mischkultur, die im Journalismus der jungen Bundesrepublik heranwuchs, jetzt aber durch eine ungesunde Monokultur zerstört ist. Die Meinungswüste Journalismus schreit doch geradezu nach Quereinsteigern. Im Grunde genommen hätte Augstein nur mal in die (Familien-)Geschichte des Spiegel schauen müssen – und in den Spiegel!
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