Wenn Deutschland und Europa soviel mehr ausgeben würden wie die japanische Regierung, dann …

Rund 170 Mrd. Euro10,3 Billionen Yen – will die neue Regierung in Japan zusätzlich ausgeben, um die Wirtschaft endlich aus der Rezession zu führen. Zwei Prozent mehr Wirtschaftswachstum und 600.000 neue Arbeitsplätze erwartet die Regierung von diesem Stimulus.

Rezession und Massenarbeitslosigkeit herrschen auch in Europa. Dort aber setzt man auf Ausgabenkürzungen und “Strukturreformen”, wie es auch die japanische Vorgängerregierung getan hat. Erfolglos, wie zuletzt selbst der IWF eingestehen musste – freilich ohne sein wirtschaftspolitisches Konzept zu verwerfen.

Und auch die deutsche Bundesregierung meint es sich noch länger leisten zu können, auf Erfolge zu verweisen, wo schlichtweg keine zu sehen sind. Die Frage liegt also nahe, was anstelle dieser potemkinschen Politik in Deutschland und Europa auf der Tagesordnung stünde, würde sie dem japanischen Beispiel folgen.

Die 170 Mrd. Euro bzw. 10,3 Billionen Yen Mehrausgaben ins Verhältnis zu den jeweiligen Staatsausgaben, dem Bruttoinlandsprodukt und der Endnachfrage (Inlandsnachfrage plus Exporte) der jeweiligen Volkswirtschaften bzw. des Europäischen Währungsraums gesetzt, ergibt folgendes Bild:

Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) entsprechen die 170 Mrd. Euro bzw. 10,3 Billionen Yen 2,2 Prozent des japanischen BIP. 2,2 Prozent des BIP entsprechen in Deutschland 58 Mrd. Euro, in der Eurozone 208 Mrd. Euro.

Würden Deutschland und Europa gemessen am BIP so viel mehr ausgeben wie es das japanische Konjunkturpaket vorsieht (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Gemessen an den Staatsausgaben entsprechen die 170 Mrd. Euro bzw. 10,3 Billionen Yen 5,1 Prozent der japanischen Staatsausgaben. 5,1 Prozent der Staatsausgaben entsprechen in Deutschland 61 Mrd Euro, in der Eurozone 241 Mrd Euro.

Würden Deutschland und Europa gemessen an den Staatsausgaben so viel mehr ausgeben wie es das japanische Konjunkturpaket vorsieht (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Gemessen an der Endnachfrage entsprechen die 170 Mrd. Euro bzw. 10,3 Billionen Yen 1,9 Prozent der japanischen Endnachfrage. 1,9 Prozent der Endnachfrage in entsprechen in Deutschland 72 Mrd Euro, in der Eurozone 254 Mrd Euro.

Würden Deutschland und Europa gemessen an der Endnachfrage (Inlandsnachfrage plus Exporte) so viel mehr ausgeben wie es das japanische Konjunkturpaket vorsieht (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Die Erwartung der japanischen Regierung erscheint nicht unrealistisch, dass das BIP aufgrund der Mehrausgaben um zwei Prozent zusätzlich zunehmen wird. Die Mehrausgaben entsprechen schließlich rund zwei Prozent der Endnachfrage und auch des BIP. Weil die Staatsausgaben zusätzliche Ausgaben auch des privaten Sektors stimulieren werden, erscheint die Erwartung sogar eher vorsichtig.

Die Reaktion deutscher Ökonomen war natürlich von vornherein klar. Es lohnt sich aber wieder einmal zu zitieren, um sich ein weiteres Mal das Bild, das sich deutsche Volkswirte von der Welt um sie herum machen, zu vergegenwärtigen. Stellvertretend für die Zunft geben wir an dieser Stelle Rudolf Besch wider, “Japan Experte” der Deka Bank, der sich heute Mittag im Börsenbericht des Deutschlandfunk äußerte: “Hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung und den Auswirkungen des Konjunkturpakets rechnen wir eher mit einem Strohfeuer.” Und: “Man kann ein Konjunkturprogramm machen, wenn es eine Vertrauenskrise gibt, wenn Unternehmen oder private Haushalte nicht konsumieren oder investieren wollen, und man einfach nur einen Schub braucht, damit der Wirtschaftskreislauf wieder in Gang kommt. Das liegt aber in Japan nicht vor. Wir haben strukturelle Probleme, die schon seit 20 Jahren vorliegen.” Natürlich, seit 20 Jahren strukturelle Probleme! “Was sind denn die größten Strukturprobleme?”, fragt daraufhin Dorothee Holz. Reflexartig schießt es aus Besch heraus: “Man muss den Arbeitsmarkt entkrusten.”

Das macht Europa ja nun kräftig in den Krisenländern; Deutschland hat es bereits hinter sich. Massenarbeitslosigkeit, Niedriglöhne, Altersarmut und soziale Ungleichheit sind die Folge. “Strohfeuer”, “Vertrauenskrise”, “strukturelle Probleme”, das ist das Inventar des Werkzeugkastens, mit denen deutsche Volkswirte meinen, die Wirtschaft erklären und ökonomische Probleme lösen zu können. Dazu gehören natürlich immer zwei, nämlich auch die, die sich solche “Experten” als Interviewpartner suchen. Dass reale Wirtschaftsprobleme in erster Linie etwas mit Einnahmen und Ausgaben zu tun haben, von denen letztlich auch abhängt, ob das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft in die Krise gerät oder nicht, kommt einem deutschen Ökonomen nicht in den Sinn.

Wie gut für Japan, dass es so weit weg liegt. Wie gut für die deutsche Bundesregierung und die schlichten Gemüter deutscher Ökonomen, dass andere Regierungen und Ökonomen ihre Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung wahrnehmen. So können die Deutschen weiter in ihrer Scheinwelt leben, in der Strukturreformen und Ausgabenkürzungen Verbesserungen am Arbeitsmarkt hervorbringen und Wohlstand generieren. Dass das etwas mit Nachfrage und ihr zugrundeliegenden Einkommen zu tun hat kommt ihnen auch dann nicht in den Sinn, wenn sie gleichzeitig die deutschen Exporterfolge, die ohne die Auslandsnachfrage ja wohl schwerlich zu erklären sind, feiern. Sollte die Auslandsnachfrage schließlich doch einmal richtig ins Wanken geraten, ja dann gäbe es in der Tat eine Vertrauenskrise, zuallerst aber würde diese wohl die Ökonomen selbst treffen.

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