Ursula Engelen-Kefer ist bereits häufig als Autorin für Wirtschaft und Gesellschaft in Erscheinung getreten. Seit Februar ist sie, gemeinsam mit Heiner Flassbeck, Manfred Maurenbrecher und Florian Mahler, Herausgeberin dieses Mediums.
Sowohl CDU wie auch SPD haben angekündigt, die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes zu stellen. Dabei ist die Alterssicherung ein besonderes Schwergewicht. Immerhin sind mit etwa 20 Millionen Rentnerinnen und Rentern und noch einmal Millionen Arbeitnehmern der sogenannten rentennahen Jahrgänge ein großer Teil der besonders wählertreuen Menschen in Deutschland betroffen.
Rentenkonzept der SPD: Eklatante Ungerechtigkeiten bleiben bestehen
Die SPD hat sich zwar nach langem Ringen auf die Solidarrente zur Aufstockung der Renten für langjährig versicherte Geringverdiener mit 850 Euro verständigen können. Die soziale Gerechtigkeit ist aber noch längst nicht wiederhergestellt. Nach wie vor fehlt ein überzeugendes Konzept zur Aufhaltung des dramatischen Abfalls der Altersrenten. Die eklatanten Ungerechtigkeiten bleiben bestehen: Den jahrzehntelangen Beitragszahlungen in die Rentenkassen durch gesetzliche Verschlechterungen stehen immer weniger Rentenleistungen gegenüber. Dies trifft – wie selbst das Bundesarbeitsministerium feststellt – in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer mehr Menschen aus der so genannten Mitte unserer Gesellschaft.
Rentenpoker der Bundesregierung
Unerträglich ist der politische Rentenpoker, den die Bundesregierung bereits seit über einem Jahr der Öffentlichkeit vorführt. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen wollte mit ihrer Kampagne zur Bekämpfung der Altersarmut seit Ende 2011 als soziales Gewissen ihrer Partei punkten: Der Berg kreiste und gebar das Mäuslein der Zuschussrente von 850 Euro, die inzwischen zur Lebensleistungsrente mutiert ist, aber die meisten der Millionen Geringverdiener – vor allem der Frauen – überhaupt nicht erreicht. Außerdem kann die Bundesarbeitsministerin sich damit weder gegenüber der Schwesterpartei CSU noch dem Koalitionspartner FDP durchsetzen, unabhängig von den wirtschaftsnahen Widersachern in den eigenen CDU Reihen, die sich nur formal nach außen zurückhalten.
Acht Monate vor den nächsten Bundestagswahlen hat der Koalitionsausschuss vor wenigen Tagen trotz gegenteiliger vorheriger Beschlüsse immer noch keine Entscheidung treffen können. Erneut wurde dieses für Millionen Menschen existenzielle Rentenpaket in eine höchstrangige Arbeitsgruppe der Koalition abgeschoben. Der Versicherungsbranche würden mit dem Fall der Lebensleistungsrente die Felle davon schwimmen, auch die Geringverdiener in ihre Fänge zu bekommen.
Ursula von der Leyen hat die Aufstockung der Minirenten mit der Bedingung verknüpft, dass die Geringverdiener eine kapitalgedeckte Altersrente abschließen. Dieses Zugeständnis an den wirtschafts- und vor allem versicherungsnahen Flügel ihrer Koalition wird in der Öffentlichkeit eher schamhaft unter der Decke gehalten. Die Versicherungsbranche lässt umso ungenierter verlautbaren, jetzt bleibe den Arbeitnehmern gar nichts anderes übrig, als eine private Zusatzversorgung abzuschließen. Dies richtet sich selbstverständlich auch an die so genannte Mitte der Gesellschaft.
Bereits die derzeitigen Altersrentner mussten in den vergangenen zehn Jahren infolge der ständigen Verschlechterungen durch die so genannten Rentenreformen à la Riester und Rürup viele Jahre Mini-Rentensteigerungen und Nullrunden hinnehmen. Allein dadurch entstand ihnen im Portemonnaie bereits ein Loch von etwa zehn Prozent. Gleichzeitig stiegen nicht nur die Preise kräftig an, sondern auch die wiederum “reformbedingten” zusätzlichen Belastungen für die Gesundheit und Pflege. Kräftige Steigerungen bei den Wohnungsmieten sowie Strom- Wasser- und Heizungskosten bringen immer mehr Rentner an den Rand der Armutsgrenze.
Nach den amtlichen Alterssicherungsberichten wird sich dies in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dramatisch steigern. Betroffen sind bei weitem nicht nur die Geringverdiener, sondern die gravierenden sozialen Ungerechtigkeiten breiten sich auch in der Mitte unserer Gesellschaft aus.
Die Chuzpe – oder anders ausgedrückt, die ungenierte Verantwortungslosigkeit der Versicherungsbranche und ihrer Lobbyisten in Politik und Gesellschaft – sind nicht mehr zu überbieten vor dem Hintergrund eskalierender Finanzkrisen in Deutschland, Europa und weltweit, hoher Verluste bei den privaten Zusatzrenten und undurchsichtiger Angebote mit falschen Versprechen über die Renditen privater Zusatzrenten. Die in regelmäßigen Abständen wiederholten Warnungen der Verbraucherverbände vor “Abzocke” durch die private Alterssicherung der Finanzwirtschaft verhallen ohne nachhaltige Resonanz. Versprechungen der Bundesregierungen, den Finanzdienstleistern bei der kapitalgedeckten Zusatzversorgung einen ausreichenden gesetzlichen Rahmen zum Schutz der Anleger zu stecken, bleiben in Ansätzen stecken. Das Geschäft auf Kosten der Menschen, die wegen der Verschlechterung ihrer gesetzlichen Altersrente bangen, geht weiter.
Es ist daher ein großes Verdienst von Holger Balodis und Dagmar Hühne in ihrem Buch “Die Vorsorge Lüge”, die Verflechtungen und Machenschaften in Teilen der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien dargestellt zu haben (Econ, Ullstein, Berlin 2012). Mit schonungsloser Offenheit und sorgsamer Recherche haben sie den “Dschungel” aufgedeckt, “wie Politik und private Rentenversicherungen uns in die Altersarmut treiben.”
Folgendes Zitat von Ballodis in seinem Beitrag “Auf dem Holzweg” vom 1. Oktober 2012 für die taz zeigt die ganze Absurdität der Rentenreformpolitik in der Bundesrepublik:
“Ein Normalverdiener mit monatlich 2.500 Euro brutto kann 2030 nach 35 Arbeitsjahren auf 688 Euro Rente hoffen. Man kann die Zahl auch anders interpretieren. Das halbe Volk müsste im Alter Grundsicherung beantragen – was wohl das Ende der gesetzlichen Rente bedeuten würde. Die Lösung der Arbeitsministerin: für langjährig Beschäftigte eine Aufstockung auf maximal 850 Euro, die Zuschussrente. Aber nur wenn die Versicherten private Vorsorge, etwa mit der Riester-Rente, betrieben haben. Das klingt so absurd wie der Versuch einer Feuerwehrfrau, einen Brand mit einem Föhn auszublasen. War es doch die Einführung der Riester-Rente, die die Kürzungen der gesetzlichen Rente mit sich brachte.”
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Ursula Engelen-Kefer im Wortlaut in dem Buch Die Vorsorge Lüge von Holger Balodis und Dagmar Hühne
Die beigefügten Zitate über meine Erfahrungen als Stellvertretende Vorsitzende im DGB sind eine eindrucksvolle Darstellung der harten Bandagen, mit denen dieser sozial ungerechte Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik durchgesetzt wurde.
Autorisation Ursula Engelen-Kefer
Kapitel 2:
“Das war eine ganz perfide Kampagne. Die Lohnnebenkosten wurden zu einem Dämon hochstilisiert und Kohl und Genscher haben es geschafft, dass die Schuld für die hohen Beitragssätze nicht etwa bei der katastrophal fehlgeschlagenen Privatisierung der Ostwirtschaft gesehen wurde, sondern bei den Arbeitslosen und den Sozialkassen selber. Ein demagogisches Meisterstück.”
…
Doch diese Gefahren waren in den 90er Jahren noch kein Thema: Deregulierung, die Schaffung freier Märkte und die Rückführung des Sozialstaates hieß die Parole der Marktradikalen. “Der ungeliebte teure Sozialklimbim einer sozialen Marktwirtschaft mit Nachkriegssozialromantik müsse endlich über Bord geworfen werden.” (1) So erinnert sich Ursula Engelen-Kefer, die damals als DGB-Vize standhaft gegen die Privatisierungstendenzen kämpfte.
…
Ursula Engelen-Kefer, damals DGB-Vize und Vorsitzende der Selbstverwaltung der Deutschen Rentenversicherung, kennt Rürup aus zahllosen Begegnungen: “Die Kompetenz konnte man ihm nie absprechen, aber er war halt vor allem unglaublich eitel. Das Wichtigste war ihm immer, dass er in Ämter berufen wurde, dass er gefragt wurde. Und so hat er sich opportunistisch an alle rangeworfen: an Blüm, an Schröder, an Riester und an Ulla Schmidt.” (2) Die Presse nannte ihn deshalb “gnadenlos pragmatisch” (3) oder auch etwas despektierlicher: “Der Biegsame”. (4)
Kapitel 3:
Die damalige DGB-Vize-Chefin Ursula Engelen-Kefer berichtet: “Die Bertelsmann Stiftung spielt eine große Rolle als Strippenzieher. Da wurden alle Vorsitzenden eingeladen, um an die Kapitaldeckung herangeführt zu werden.” (5)
Kapitel 4:
“Für uns war das ein Schock” erinnert sich Ursula Engelen-Kefer, “auf Lafontaine konnten wir uns bis dahin immer verlassen. Er war das unerlässliche Gegengewicht zu Schröder.” (6) Von einem Tag zum anderen war damit den sozialdemokratischen Sozialpolitikern der Schutzpatron abhanden gekommen. Und es war verblüffend, wie schnell sich der Wind drehte. Die sozialdemokratische DGB-Vize-Chefin Engelen-Kefer hatte darunter besonders zu leiden. Sie saß als eine von wenigen Frauen im SPD-Parteivorstand und war in den monatlichen Sitzungen das bevorzugte Ziel von gezielten Sticheleien Gerhard Schröders. Schröder hatte den Parteivorsitz und damit auch die Meinungsführerschaft übernommen. Sobald sich Engelen-Kefer mit Kritik zur Rentenreform meldete, wurde sie vom Chef abgebügelt: “Ach Ursula, hör doch endlich mit diesen ollen Kamellen auf. Du siehst doch, dass Du hier keine Mehrheit hast.” (7) Um seine scharfzüngige Kritikerin zu diskreditieren, verballhornte er zudem ihren Namen zu “Quengelen-Keifer”. Eine Name, der sich bis heute in Journalistenkreisen hartnäckig hält. Das sollte allen anderen zeigen: wer sich gegen mich stellt, wird an den Pranger gestellt.
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Und dennoch. Unmittelbar nach der Wahl, so Ursula Engelen-Kefer “war für mich nicht erkennbar, mit welcher Kompromisslosigkeit Schröder seinen Weg in die ´Neue Mitte´ verfolgen wurde.“
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Mit Lafontaines Rückzug war das Schicksal der Verteidiger einer klassischen SPD-Rentenpolitik besiegelt. “Schröder trennte fortan deutlich zwischen Modernisierern und Traditionalisten” berichtet Ursula Engelen-Kefer, “dabei ging es nach dem simplen Schema, ´wenn Du nicht mein Freund bist, dann bist Du mein Feind’. Ich gewann immer mehr den Eindruck, dass es Schröder nur noch um bedingungslose Gefolgschaft ging.” (9) Und darin war Schröder erfolgreich.
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Ursula Engelen- Kefer: “Am Ende war ich im Parteivorstand ganz alleine. Ich war die letzte, die sich gegen die Riesterrente gewehrt hat. Wer stellt sich gegen den Vorsitzenden und Kanzler? Niemand. Die wollten doch alle wieder aufgestellt werden.”
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Und damit war er (Riester) der ideale Mann für Gerhard Schröder, sagt Ursula Engelen-Kefer: “Schröder wollte eine kapitalgedeckte Altersvorsorge und er wollte auf jeden Fall Dreßler verhindern, deshalb passte Riester perfekt ins Konzept.” (9) Sie räumt aber ein, dass sie bei Riesters Amtsantritt verkannt habe, in welchem Ausmaß Sozialdemokraten zu Handlangern der Finanzindustrie werden könnten.
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Auch für Ursula Engelen-Kefer, die als DGB-Vize nicht dem unmittelbaren Einfluss von Kanzler und Bundestagsfraktion unterlag, war schon eine neue Verwendung gefunden. “Riester hatte für mich schon einen Job in Brüssel in der Generaldirektion 5 ausfindig gemacht, auf den ich abgeschoben werden sollte” erinnert sich die streitbare Sozialpolitikerin. “Das sei doch für mich auch finanziell sehr interessant, legte mir Walter Riester nahe. Eine Frechheit war das.”
(Zu Riesters Nebenverdiensten)
“Walter Riester hat offenbar keine Skrupel. Seine Maßnahmen drücken viele Rentner unter die Armutsgrenze, aber er bessert damit seinen Lebensstandard kräftig auf.”
Und gegen die Besetzung des Arbeits- und Sozialressorts mit Walter Riester wehrten sie (Anmerkung: die Gewerkschaften) sich nur halbherzig. Ein schwerer Fehler, räumt Ursula Engelen-Kefer heute ein: “Wir wussten, dass Riester Vorstellungen von kapitalgedeckter Altersvorsorge hatte. Aber es gab keinen klaren Willen in den Gewerkschaften, Riester zu verhindern und Dreßler durchzusetzen.”
Eher im Verborgenen gab es aber bei den Gewerkschaften sogar offene Sympathien für Riesters Bestrebungen, den boomenden Kapitalmarkt anzuzapfen. “Die IG BCE (10) und auch Teile der IG Metall waren klar dafür, auch in der Alterversorgung von den Kapitalmärkten zu profitieren” erinnert sich Ursula Engelen-Kefer, “das wurde aber nicht öffentlich gesagt, dass man die Rente teilweise abschaffen wollte”. Sie verweist darauf, dass auch Spitzengewerkschafter in den Gremien und Beiräten von großen Finanzunternehmen saßen und sitzen: “Da wurden offensichtlich Absprachen getroffen.”
(1) Ursula Engelen-Kefer: Kämpferin mit Herz und Verstand, Seite 209
(2) Interview mit Ursula Engelen-Kefer, 16.12.2011
(3) Die Zeit, 27.1.2000. S.28
(4) Franfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.2.2011, S. 38
(5) Interview mit Ursula Engelen-Kefer, 16.12.2011
(6) Interview mit U. Engelen-Kefer
(7) Interview mit U. Engelen-Kefer
(8) Langfassung von U. Engelen-Kefer: Kämpferin mit Herz und Verstand
(9) Interview Engelen-Kefer
(10) Die IG BCE entstand 1997 als Zusammenschluss der früheren IG Bergbau und Energie, der IG Chemie-Papier-Keramik und der Gewerkschaft Leder. Mit Sitz in Hannover.
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