Asmussen und Schäuble können beide nicht über ihren Schatten springen

“Der Finanzminister verteidigt Frankreich gegen Kritik der Europäischen Zentralbank. Direktoriumsmitglied Asmussen hatte Frankreich ermahnt, die Defizitobergrenze im laufenden Jahr einzuhalten”, berichtete Die Welt am Wochenende unter der Überschrift “Schuldenkrise: Schäuble weist EZB-Mann Asmussen zurecht”. Die Voraussetzung zur Einhaltung der Defizitgrenze blenden jedoch beide aus. Würden sie es nicht tun, müssten beide ihre Politik, die der EZB und die der Bundesregierung, verwerfen.

Die Maastricht-Kriterien verlangen von den Euro-Mitgliedsstaaten, dass sie die Staatsschulden nicht über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – Schuldenstandsquote – und das Haushaltsdefizit nicht über 3 Prozent des BIP – Defizitquote – ansteigen lassen. Unausgesprochen setzt die Einhaltung der Maastricht-Kriterien voraus, dass das nominale BIP jährlich um 5 Prozent wächst. Liegt das Wachstum des nominalen BIP darunter, muss entweder die Schulden- und/oder die Defizitgrenze verletzt werden, weil die Defizitgrenze von 3 Prozent geteilt durch die Schuldenstandsquote 60 Prozent 5 Prozent ergibt.

Wächst die Volkswirtschaft dagegen nominal nur um 1,6 Prozent, wie es die EU-Kommission gerade vergangene Woche für Frankreich für das laufende Jahr prognostiziert hat, müsste bei Beibehaltung der Defizitgrenze von 3 Prozent die Schuldenstandsquote auf über 187 Prozent ansteigen. Frankreichs Schuldenstandsquote ist aber bereits weit entfernt von 60 Prozent; sie soll laut Prognose der EU-Kommission in diesem Jahr von 90,3 Prozent (2012) auf 93,4 Prozent steigen. Um bei einer Schuldenstandsquote von 93,4 Prozent die Defizitquote von 3 Prozent einhalten zu können, wie es Asmussen fordert, müsste die französische Volkswirtschaft um nominal 3,2 Prozent wachsen und nicht um 1,6 Prozent, wie von der EU-Kommission prognostiziert.

Frankreich: Maastricht-Kriterien und reale Entwicklung (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Nachdem die Maastricht-Kriterien einmal gebrochen sind – dem Regelfall nach Ausbruch der Eurokrise – setzt eine Rückkehr zu den Maastricht-Kriterien voraus, dass das Wachstum des nominalen BIP über der Zunahme der Schulden liegt. Davon aber ist Frankreich weit entfernt.

Frankreich: Schuldenstand und nominales BIP, Veränderung gegenüber Vorjahr in % (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Nun werden deutsche Ökonomen, Journalisten und Politiker darauf antworten: Da haben wir es, das Wachstum der Schulden ist zu hoch und muss runter, unter das Wirtschaftswachstum. Das Problem dabei ist nur, dass, wenn man die Schulden durch Ausgabensenkungen und auch durch Einnahmesteigerungen, die, wie zum Beispiel eine höhere Mehrwertsteuer, den Konsum belasten, versucht zu senken, dies unmittelbar auch das Wirtschaftswachstum nach unten drückt – was in der Regel auch höhere Sozialausgaben und niedrigere Steuereinnahmen nach sich zieht. Ausgangspunkt muss daher das Wirtschaftswachstum sein. Das einzusehen aber hieße für Schäuble und Amussen wie auch für die EU-Troika ihr bisheriges und nun schon – auch aufgrund der hier aufgezeigten Zusammenhänge – über Jahre gescheitertes Krisenmodell, das vornehmlich auf Ausgabenkürzungen setzt, fallen zu lassen und noch einmal von vorn zu beginnen. Allem Anfang, auch diesem, würde, frei nach Hermann Hesse, ein Zauber innewohnen.

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