Eurokrise/Steinbrück: Hätte Steinbrück Rezept gegen Eurokrise, hätte er in Griechenland über Deutschland gesprochen

“SPD-Kanzlerkandidat in Athen: Steinbrück, der Barmherzige”, titelt Spiegel online heute früh. “Mehr Zeit, mehr Rücksicht, mehr Anerkennung”, soll Steinbrück bei seinem Besuch in Athen für Griechenland gefordert haben. Dass ein führender deutscher Politiker – ob in der Regierung oder in der Opposition – die menschliche Dimension der brutalen Ausgabenkürzungen thematisiert und Rücksicht verlangt, ist alles, nur nicht selbstverständlich und daher anerkennenswert. Man denke demgegenüber nur an die Auslassungen von Andrea Nahles. Ein Rezept für die Eurokrise hat Steinbrück damit aber noch lange nicht.

“Das Land braucht mehr Zeit, um seine Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen”, zitiert Spiegel online den SPD-Kanzlerkandidaten von seinem Aufenthalt in Athen. Den wirtschaftspolitischen Kurs, der nicht nur Griechenland und andere Euroländer in tiefe Depression gestürzt hat, sondern auch die Eurozone insgesamt in die Rezession, stellt aber auch Steinbrück nicht in Frage. “Stets stimmt er die gleiche Melodie an”, berichtet Spiegel online aus Athen, “Reformen und Sparanstrengungen ja.” Die einzige Einschränkung Steinbrücks: “Aber man soll es bitte nicht übertreiben.”

Das soziale Elend, das Steinbrück immerhin nicht länger ausblendet, basiert aber eben auf jenen “Reformen”, die ja nichts anderes beinhalten, als “Sparanstrengungen”, also Ausgabenkürzungen, vor allem im sozialen Bereich, und Lohnverzicht. Dem sozialen Elend geht in den meisten Fällen die Arbeitslosigkeit voraus. Aus der Arbeitslosigkeit aber führt nur höheres Wirtschaftswachstum. Da Steinbrück immer noch “stolz” auf die Agenda 2010 ist, muss man davon ausgehen, dass er den engen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit nicht anerkennt. Denn mit der Agenda 2010 und Hartz IV meinten und meinen deren Befürworter ja gerade, Arbeitsplätze losgelöst von der Konjunktur schaffen zu können; mann müsse nur genügend Druck auf die Arbeitslosen ausüben. Der Verlauf von offenen Stellen und Wirtschaftswachstum spricht indes eine eindeutige Sprache.

Deutschland: Offene Stellen und Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts, 2000 bis 2013 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Nur Mehrausgaben – das genaue Gegenteil von Ausgabenkürzungen – können aus der Krise führen, Arbeitsplätze schaffen und so auch die soziale Not mindern helfen. Ausgaben kürzen heißt ja nichts anderes, als den Versuch zu unternehmen, weniger auszugeben als einzunehmen. Wachstum aber setzt voraus, das per saldo mehr ausgegeben als eingenommen wird – entweder muss sich dafür der Unternehmenssektor verschulden (mehr ausgeben als einnehmen), die privaten Haushalte oder der Staat – oder aber das Ausland, das dann mehr für in diesem Fall griechische Waren und Dienstleistungen ausgeben würde als durch den Verkauf eigener Waren an Griechenland einzunehmen. Wenn, wie in Griechenland, alle drei Sektoren der Volkswirtschaft – Unternehmen, private Haushalte, Staat – geradezu paralysiert sind, scheint nur noch die Tür zum Ausland offen zu stehen, um Wachstum zu erzielen. Und genau deswegen hätte Steinbrück, wäre er sich über diese Zusammenhänge im Klaren und wollte er den Griechen wie der Eurozone insgesamt eine Alternative zur Merkels und Schäubles Sparideologie anbieten, in Athen über Deutschland sprechen müssen.

Anteil der Exporte von Waren und Dienstleistungen am Bruttoinlandsprodukt (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Anders nämlich, als Merkel, Schäuble und Rösler glauben machen wollen, wird Griechenland nicht über Ausgabenkürzungen soviel Wettbewerbsfähigkeit gewinnen können, dass es über eine dadurch verbesserte Exportentwicklung die Verluste bei der Inlandsnachfrage wettmachen könnte. Nicht nur ist der Außenhandelsanteil Griechenlands dafür viel zu gering. Weil Wettbewerbsfähigkeit eine relative Größe ist, steht Griechenland aufgrund der vorausgegangen Entwicklung seit 1999 von vornherein auf verlorenem Posten. Zu weit hat sich die Schere in der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Euroraums geöffnet, als dass Griechenland allein sie über Lohnsenkungen und andere Ausgabenkürzungen schließen könnte. Das gilt umso mehr, solange das Land, dass über seine Lohnentwicklung am stärksten real gegenüber den Ländern der Eurozone abgewertet bzw. an preislicher Wettbewerbsfähigkeit gewonnen hat, darin nicht nachlässt. Und dieses Land ist Deutschland.

Nichts kann dies deutlicher machen, als der Sachverhalt, dass Deutschland auch aktuell, trotz der tiefen Depression in Griechenland und eines Deutschlands, dessen Wachstum laut der Bundeskanzlerin “vor allem von der Binnennachfrage getrieben” ist, immer noch mehr Waren nach Griechenland verkauft als von dort einkauft.

Außenhandel Deutschland-Griechenland, Januar 2000 - November 2012

Um das alles anzuerkennen, müsste Steinbrück freilich seinen “Stolz” auf die Agenda 2010 ablegen. Denn die damit verbundenen Gesetzgebungen haben maßgeblich die Lohnentwicklung in Deutschland negativ beeinflusst und so die für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit bestimmende Lohnstückkostenentwicklung unter das vorgegebene Inflationsziel der Europäischen Zentralbank gedrückt.

Steinbrück müsste wohl auch die Schuldenbremse und den Fiskalpakt in Frage stellen, damit Deutschland wie die Eurozone insgesamt zu einer Wachstum stimulierenden Fiskalpolitik finden können. Denn ohne zunächst mehr auszugeben als einzunehmen und damit Wachstum und Beschäftigung zu erhöhen, werden sich wohl auch die Staatshaushalte nicht nachhaltig “konsolidieren”, also ausgleichen lassen. Dass Deutschland und die EU dieses Pferd nun schon seit Jahren versuchen von hinten aufzäumen, indem sie meinen, zuerst die Ausgaben unter die Einnahmen senken zu können, damit aber – wie offizielle Statistiken und ökonomische Logik belegen – fortlaufend das gerade Gegenteil erreichen und die Wirtschaftskraft nachhaltig schwächen und soziale Verwerfungen provozieren, ist die moderne und nicht nur griechische Tragödie.

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