Gerade erst hat sich die Bundeskanzlerin anlässlich der 24. Deutsch-Spanischen Regierungskonsultationen beeindruckt davon gezeigt, “was Spanien bereits an Reformen auf den Weg gebracht habe.” Sie meinte damit die drakonischen Ausgabenkürzungen der spanischen Regierung, die darauf zielen, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und die Staatsschulden abzubauen. Gleichzeitig wurde jedoch gemeldet, dass die Arbeitslosigkeit in Spanien im Dezember noch einmal um 2,7 Prozent auf fünf Millionen gestiegen sei, und Merkel befand, “gerade die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien sei bedrückend.” Deutschland sei “bereit, Spanien bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu helfen.”
Darin, die Ausgabenkürzungen zu loben und die Massenarbeitslosigkeit zu bedauern, liegt jedoch ein zentraler ökonomischer Widerspruch: Ausgabenkürzungen kosten Wachstum und sinkendes bzw. negatives Wirtschaftswachstum bedeutet steigende Arbeitslosigkeit. Wer helfen möchte, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, muss um die Voraussetzungen dafür wissen. Diese aber werden durch die jetzigen “Reformen” alias Ausgabenkürzungen fortlaufend verletzt bzw. zerstört.
Drei Größen sind für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entscheidend: Die Zahl der Arbeitslosen, die Zahl der Erwerbstätigen und die Arbeitsproduktivität je Erwerbsperson.
Zusammengenommen bilden die Zahl der Arbeitslosen und die Zahl der Erwerbstätigen das Arbeitspotenzial einer Volkswirtschaft. Multipliziert man diese mit der Arbeitsproduktivität je Erwerbsperson, die durch den Einsatz von Maschinen und anderen Arbeitsmitteln zustande kommt, ergibt sich daraus das Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft.
Um Arbeitslose in Beschäftigung zu bringen, muss das reale Bruttoinlandsprodukt, das ja nur die Erwerbstätigen zu der gegebenen Arbeitsproduktivität beschäftigt bzw. diesem entspricht, höher ausfallen bzw. stärker zunehmen als das Produktionspotenzial. Ist dies nicht der Fall, kann die Arbeitslosigkeit nicht sinken. So betrachtet, war das Wirtschaftswachstum in Spanien seit 2008 nicht länger angemessen: die Zuwachsrate des realen Bruttoinlandsprodukts lag unter der des Produktionspotenzials; die Zahl der Arbeitslosen musste ansteigen.
Folgt man dieser ökonomischen Logik, ist beispielsweise folgendes Wirtschaftswachstum notwendig, um in Spanien die Arbeitslosigkeit Jahr für Jahr um 2,5 Prozent-Punkte zu senken und so eine Arbeitslosenquote von 5 Prozent im Jahr 2020 zu erreichen (zu den einfachen aber realistischen Annahmen siehe * in der Graphik):
Rund drei Prozent Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts jährlich wären also notwendig, um die Arbeitslosigkeit in Spanien um jährlich 2,5 Prozent-Punkte zu senken. Das entspricht einem nominalen Wirtschaftswachstum – legt man das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von nahe unter zwei Prozent zugrunde – von rund fünf Prozent. Fünf Prozent nominales Wachstum sind wiederum die notwendige Voraussetzung, um die Maastricht-Kriterien, einen Schuldenstand von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und eine Defizitgrenze von drei Prozent, einhalten zu können. Auch von daher scheint eine reale Wachstumsrate von drei Prozent nicht utopisch. Sie würde freilich voraussetzen, dass sich die Fiskalpolitik, die Lohnpolitik und die Geldpolitik, diesem Beschäftigungsziel unterordnen und es entsprechend unterstützen.
Wenn Merkel also tatsächlich helfen möchte, die Arbeitslosigkeit in Spanien zu bekämpfen, wie sie vorgibt, dann weiß sie nun, wie sie ihren Worten Taten folgen lassen kann.
Dass Deutschland nicht etwa anderen Gesetzmäßigkeiten folgt, führt abschließend diese Graphik vor Augen:
Würde Deutschland nur darauf zielen, die offizielle Arbeitslosigkeit um einen Prozent-Punkt pro Jahr zu senken, dann ergibt sich folgendes Bild:
Es wird deutlich: Deutschland könnte innerhalb von zwei Jahren Vollbeschäftigung erreichen. Als Vollbeschäftigung gilt nach allgemeinem Verständnis eine Arbeitslosenquote von drei Prozent. Notwendig wäre nur ein reales Wachstum von rund zwei Prozent. Das liegt, wie oben aufgezeigt, nominal unter den Maastricht-Kriterien. Es ist dabei bekannt, dass aus der deutschen Arbeitslosenstatistik viele Arbeitslose herausfallen. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass das reale Wachstum entsprechend höher ausfallen müsste.
Hinzu käme, dass dieses Wachstum Spanien, der Eurozone und der Weltwirtschaft insgesamt einen längst fälligen Anschub geben würde. Voraussetzung wäre freilich wiederum, dass die Bundesregierung wie die EZB ihre Politik diesem Beschäftigungsziel unterordnen. Dabei wäre aus Gründen des notwendigen Ausgleichs der Wettbewerbsfähigkeit ein höheres nominales Wachstum, entsprechend einer höheren Inflationsrate, schmerzfrei in Kauf zu nehmen. Mit einem Weiter so der Vernachlässigung der Inlandsnachfrage und einseitiger Exportorientierung ist dieses Wachstum nicht zu erreichen, ohne die Eurozone weiter zu gefährden und die Weltwirtschaft einseitig mit Exportüberschüssen zu belasten.
Anmerkung: Die Berechnungen und Überlegungen fußen auf den von Claus Köhler in seinen “Orientierungshilfen für die Wirtschaftspolitik” dargelegten Ausführungen:
Claus Köhler, Orientierungshilfen für die Wirtschaftspolitik, Veröffentlichungen des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung, Band 41, Duncker & Humblot, Berlin, 2004
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