„Es handelt sich hier offenbar
um eine wiederkehrende
Neigung deutschen außenpolitischen Denkens,
den Augenblick beginnender oder
auch nur bevorstehender Stärke
zu überschätzen und zu glauben,
es werde immer geradeaus weitergehen.
Nie bedenken sie,
es könne auch einen Umschlag geben,
wenn das zunächst nur Drohende Wirklichkeit würde.
Vorbeugende Konzilianz könne dann
in Feindschaft umschlagen.“
(Sebastian Haffner, Von Bismarck zu Hitler,
Ein Rückblick, Neuausgabe, München 2009)
Kennen jetzt alle Otto Wels? Wohl kaum. Nicht einmal alle Sozialdemokraten. Allenfalls kennen jetzt viele diesen Satz von Otto Wels:
“Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.”
Er ist der Erklärung von Otto Wels in der Reichstagssitzung vom 23. März 1933 entnommen, bei der die Sozialdemokraten als einzige Fraktion und umstellt von bewaffneter SS gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben – und wurde anlässlich des 80. Jahrestages jenes Datums und des 150. Geburtstages der Sozialdemokratie von der SPD und den sie begleitenden Medien auf allen Kanälen und immer wieder gefunkt.
Die Erklärung Otto Wels beginnt übrigens so (nach dem Stenographischen Berichte des Deutschen Reichstages, Bd. 457, S. 32ff., entnommen: Bernt Engelmann, Vorwärts und nicht vergessen, Vom verfolgten Geheimbund zur Kanzlerpartei, Wege und Irrwege der deutschen Sozialdemokratie, Mit einem Vorwort von Willy Brandt, München, 1984, der die vollständige Erklärung im Anhang dokumentiert hat):
“Wels (SPD-Abgeordneter): Meine Damen und Herren! Der außenpolitischen Forderung deutscher Gleichberechtigung, die der Herr Reichskanzler erhoben hat, stimmen wir Sozialdemokraten um so nachdrücklicher zu, als wir sie bereits von jeher grundsätzlich verfochten haben.
(Sehr wahr! Bei den Sozialdemokraten.)
Ich darf mir wohl in diesem Zusammenhang die persönliche Bemerkung gestatten, dass ich als erster Deutscher vor einem internationalen Forum, auf der Bremer Konferenz am 3. Februar des Jahres 1919 , der Unwahrheit von der Schuld Deutschlands am Ausbruch des Weltkrieges entgegengetreten bin.
(Sehr wahr! Bei den Sozialdemokraten.) …”
Hierzu sei an dieser Stelle nur angemerkt, dass Sebastian Haffner darauf hinweist, dass es bereits “in Deutschland 1913 eine große Heereserweiterung gab, der bemerkenswerterweise auch die Sozialdemokraten zustimmten”. Und: “Der linke Flügel der Sozialdemokraten hatte schon 1914 die patriotische Kriegspolitik der Partei nur widerwillig mitgemacht…” Otto Wels aber zählte zum äußersten rechten Flügel der Partei. Doch dazu weiter unten.
Der SPD-Parteivorsitzende, Sigmar Gabriel, hat den Satz Otto Wels von Freiheit und Ehre, ebenso wie der SPD-Fraktionsvorsitzende, Frank Walter Steinmeier, gemeinsam mit einem Foto von Otto Wels als Konterfei seiner facebook-Seite gewählt. Auch Peer Steinbrück lobt “Mut und Courage” von Otto Wels. Die SPD-Fraktion hat Otto Wels zudem eine Gedenkfeier gewidmet, die sie in ihrem nach Otto Wels benannten Fraktionssaal beging. Steinmeier wurde zu dessen Satz von Freiheit und Ehre eigens vom Berliner Tagesspiegel interviewt. Über diesen Satz hinaus jedoch erfährt man wenig bis nichts über Otto Wels. Auch nicht darüber, was denn die heutige SPD und ihre Politiker mit diesem Otto Wels und der damaligen SPD noch gemeinsam haben. Dass eine Gemeinsamkeit besteht, wäre ja die Voraussetzung dafür, dass die folgende “Verpflichtung” Steinmeiers glaubwürdig ist bzw. eine Grundlage hat:
“Der Mut von Otto Wels und der anderen Sozialdemokraten, die politischer Verfolgung, Haft und Folter widerstanden, muss uns weiter Verpflichtung sein.”
Verpflichtung zu was? Frank-Walter Steinmeier äußert sich gegenüber dem Tagesspiegel so: “Die Demokratie ist nie garantiert. Die Demokratie braucht Menschen, die sich für sie einsetzen, und muss sich gegen ihre Feinde wehren. Deshalb sind wir beim NPD-Verbot so entschieden.” Steinmeier schlägt in diesem Zusammenhang auch den Bogen zu Europa: “Und was Europa angeht: Wir müssen vieles reformieren, aber wir dürfen dabei nicht die Demokratie selbst aufs Spiel setzen oder opfern. Das wäre ein Pyrrhussieg. Auch das können wir heute noch von Otto Wels lernen.”
Angesichts des auch unter der Führung Steinmeiers berüchtigten Fraktionszwangs in der SPD, ist dem Wort Demokratie aus Steinmeiers Mund bzw. dessen Demokratieverständnis schon von vornherein mit Vorsicht und Skepsis zu begegnen. Eine Gewissensentscheidung, wie beispielsweise zur Verlängerung des Afghanistan-Mandats, die sich gegen die Mehrheitsmeinung der SPD-Fraktion stellt, nimmt Steinmeier, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, auch schon einmal “persönlich”. Was aber setzt “die Demokratie selbst aufs Spiel”? Oder, anders gewendet: Was schafft Verhältnisse, die den zitierten Satz aus der Rede Wels so heldenhaft – und gleichzeitig so verzweifelt wie hilflos machen? Die Demokratie in Europa steht längst auf dem Spiel – was die SPD damit zu schaffen hat (vollständiger Beitrag nur im Abonnement)
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