“Bundeskanzlerin und Opposition sind sich einig: Wir wünschen uns eine Politik für die Armen”, sagte die Bundeskanzlerin heute früh in einer überraschend angesetzten gemeinsamen Pressekonferenz von CDU/CSU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Die Bundeskanzlerin ging noch weiter: Sie wünsche sich “eine arme Politik für die Armen”. Die Privilegien – Fahrdienst, steuerfreie Kostenpauschale und Höhe der Diäten – müssten wieder an die Lebensverhältnisse der Normalbürger angeglichen werden. Keine Krankenschwester, kein normaler Angestellter und kein normaler Arbeiter hätte schließlich Anspruch darauf, umsonst Taxi oder auch Bahn zu fahren. Wie diese sollten zukünftig auch die Bundestagsabgeordneten wieder mit der U- und S-Bahn zur Arbeit fahren und dafür den regulären Preis bezahlen oder das Fahrrad nehmen. “Das beste Mittel gegen den grassierenden Niedriglohnsektor”, so die Bundeskanzlerin weiter, “ist wiederum, die Bundestagsabgeordneten selbst zum Niedriglohn arbeiten zu lassen.” Selbst ihr Koalitionspartner, die FDP, versicherte die Bundeskanzlerin mit beseelter Stimme, habe sich sofort nach dieser Übereinkunft bereit erklärt, einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro einzuführen.
Das alles sei nicht Ausdruck einer Verzichtsideologie, so die Bundeskanzlerin weiter. Jedenfalls nicht für die Armen. Im Gegenteil, Hartz IV Beziehende, arme Rentner und Niedriglöhner sollten mehr bekommen und von den sie arm machenden Gesetzen befreit werden. “Soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit individuell lösen zu wollen, ist doch schon in sich ein Widerspruch, mit verheerenden Folgen, wie sich nicht nur in Deutschland, sondern ganz Europa zeigt.”
Die christlich-demokratische Bundeskanzlerin bezog sich in ihren Ausführungen explizit auf die Botschaft des neuen Papstes: “Ich möchte eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen.” Sie gab freimütig zu, dass sie diese Botschaft auch und gerade als Protestantin “bekehrt” und sie dazu veranlasst habe, noch am gestrigen Sonntag Abend die Partei- und Fraktionsvorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien ins Kanzleramt zu rufen. Die jetzt erzielte Neuausrichtung der Politik sei in großem Einvernehmen beschlossen worden. Abschließend kehrte die Bundeskanzlerin ihren berühmten Satz – “Ich will Deutschland dienen” – um in: “Ich will den Armen dienen.” Damit, so die Bundeskanzlerin, sei Deutschland und Europa am Besten gedient.
Man muss sich eine solche Botschaft einmal vorstellen und sie mit der “Realpolitik” der Agenda 2010 bis heute vergleichen, die ja – wie die Gesetze und die ihr folgende Verschiebung in der Einkommensentwicklung und -verteilung glasklar ausweisen – das genaue Gegenteil anstrebte und auch erreichte: Spitzen- und Unternehmenssteuern wurden gesenkt und “die Armen”, Arbeitslose und die, die sich um ihren Arbeitsplatz sorgen, für ihr Schicksal selbst verantwortlich gemacht.
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