Falsch, Herr Prantl, genau umgekehrt: Je weniger rechtliche Regeln, umso mehr Geld ist im Spiel – Wichtiger aber: Die wichtigste Regel sparen Sie aus

Es ist ja schon meist nichts Gehaltvolles zu finden, wenn deutsche Ökonomen über Ökonomie reden oder schreiben. Nun hat sich aber auch noch Jurist und Journalist Heribert Prantl zu Wort gemeldet. Klar, wer kennt ihn nicht den Spruch: Juristen können alles. Worum geht es aber? Um Zypern, die Abstimmung dazu im Deutschen Bundestag und die Euro-Rettungspolitik generell. Als ordentlicher Jurist meint Prantl, das Problem mit Vertragsrecht auf den Punkt bringen zu können. Tatsächlich hält er auch interessante Informationen parat. Das Problem der Eurokrise, also auch der Euro-Rettung, ist aber weniger ein vertragsrechtliches, sondern ein ökonomisches. Mit ihr ist es auch unser Rechtssystem und die parlamentarische Demokratie.

Zunächst formuliert Prantl einen Satz, den man, um das eigentliche Problem zu verdeutlichen, wunderbar auf den Kopf stellen kann. Er schreibt: Je mehr Geld im Spiel ist, umso weniger gelten rechtliche Regeln. Es verhält sich aber ursächlich wie zeitlich genau umgekehrt: Je weniger rechtliche Regeln gelten, umso mehr Geld ist im Spiel. Spiel ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen. Man könnte auch sagen: Spiel-Casino. Am Anfang der Eurokrise nämlich – ich dachte Juristen wären immer für eine klare Beweisführung – stand das Wegnehmen und das Brechen von Regeln. Man denke nur an die vom damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und seinem Adlatus Asmussen protegierten Verbriefungen, im Volksmund später Schrottpapiere genannt, und die generell verfolgte Deregulierung der Finanzmärkte. Man denke nur an die umfangreichen Steuersenkungen für Spitzenverdiener, Vermögende und Unternehmen. Letzteres lieferte das Casino-Geld, Ersteres schuf das Casino. Noch viel entscheidender aber ist die ökonomische Regel, dass eine Währungsunion nur dann funktioniert, wenn sich alle an die eine ökonomische Regel halten: ein einmal gemeinsam festgelegtes Inflationsziel auch einzuhalten. Diese existenzielle Regel aber hat Deutschland von Beginn an fortlaufend unterlaufen, andere Länder haben sie gebrochen, indem sie das Inflationsziel überschritten. Die Folge waren und sind gesamtwirtschaftliche Schulden auf der einen Seite und Überschüsse auf der anderen, insbesondere der deutschen Seite. Am Anfang der Eurokrise stand also ein ökonomischer Regelbruch. Ihm folgten – in den Worten des guten alten Stabilitätsgesetztes – außenwirtschaftliche Ungleichgewichte. Der allgemeine Fokus auf die Staatsschulden blendet dieses viel grundsätzlichere Problem vollständig aus. Insofern kann der Jurist Prantl leider auch keinen Rat bei seiner Wirtschaftsredaktion suchen. Denn die Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung ist in diesem Punkt in besonders extremer Weise auf dem falschen Dampfer.

Prantls Denken setzt zu einem Zeitpunkt ein, in dem die Eurokrise bereits voll im Gange ist, dem Zeitpunkt, indem begonnen wurde, umfangreiche “Rettungspakete” zu schnüren. Diese Rettungspakete aber sind nur Ergebnis jenes das gemeinsame Inflationsziel betreffenden Regelbruchs. Wer das nicht mitdenkt, kann auch nicht zum Kern der Eurokrise vordringen. Die Kritik Prantls zeigt das sehr gut. Völlig zurecht beklagt er zwar “eine Art Notverordnungs-Demokratie”, die Europa mittlerweile praktiziere. Den Kern von Notverordnungen – wie sie unter Brüning in der Weimarer Republik an der Tagesordnung waren – erfasst er aber nicht, im Gegenteil, seine Kritik haucht denselben Geist oder Ungeist, den auch die “Rettungspakete”, gegen die sich Prantl wendet, atmen: “Die Haushaltsverantwortung des Bundestags, die dem Grundgesetz und dem Verfassungsgericht so wichtig ist, wird auf diese Weise nicht ernst genommen.”

Arbeitslosenquoten: Griechenland, Spanien 2007-2012, Deutsches Reich, 1927-1933 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Gerade aber, wenn man – in meinen Augen völlig zurecht – den Begriff Notverordnungen bemüht, kann man sich nicht auf den rechtlichen Standpunkt beschränken, sondern muss auch die ökonomischen Zusammenhänge in den Mittelpunkt rücken. Letztere nämlich – dass die Ausgabenkürzungen, die die “Rettungspakete” den betroffenen Ländern auferlegen, diese immer tiefer in die Rezession stoßen, Massenarbeitslosigkeit verursachen und schließlich auch die Demokratie selbst gefährden – bedingen ja immer neue “Rettungspakete”, weil die betroffenen Länder unter dem Spardiktat, das die Wachstumskräfte paralysiert, die vorgegebenen Ziele immer wieder verfehlen müssen. Nur so bekommt der Vergleich mit Notverordnungen überhaupt die Dimension, die er verdient. Prantl aber hat selbst keine größere Sorge als die “Haushaltsverantwortung des Bundestages”. Das ist affig. Und dramatisch zugleich. Prantl endet mit den Worten: “Der Euro ist wichtig; aber das Wichtigste sind Recht und Demokratie.” Das ist soweit richtig. Was Prantl jedoch mit keinem Wort anspricht, geschweige denn problematisiert, ist: Recht und Demokratie, wie wir sie kennen, setzen auch eine ökonomische und soziale Grundlage voraus. Recht und Demokratie brauchen einen ökonomisch fundierten “sozialen Kompromiss”. Wer das nicht verstanden hat und sich allein im rechtlichen Rahmen bewegt, hat nicht viel verstanden.

Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.


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